Ich ging ins Büro und fragte Margaret, ob mein Vater sie telefonisch oder schriftlich um heimliche Berichte gebeten habe. Sie sah mich verlegen an und bejahte.
Als ich an diesem Freitag mit Tommy Hoylake über die Renntaktik sprach, sagte er, ich solle mir keine Sorgen machen, mein Vater habe ihn angerufen und ihm seine Anweisungen gegeben.
«Und wie lauten die?«erkundigte ich mich mit erheblich mehr Zurückhaltung, als ich empfand.
«Oh… ich soll einfach Anschluß zum Feld halten und mich nicht abhängen lassen, wenn ihm ein wenig die Puste ausgeht.«
«Hm… Wenn mein Vater Sie nicht angerufen hätte, wie wären Sie dann geritten?«fragte ich.
«Ich hätte ihn die ganze Zeit über mit dem Feld mitgaloppieren lassen«, sagte er prompt.»Wenn er fit ist, gehört er zu den Pferden, die es gern haben, wenn die anderen versuchen, ihn einzuholen. Ich würde vierhundert Meter vorm Ziel Tempo machen, ihn an die Spitze bringen und einfach beten, daß er dort bleibt.«
«Dann reiten Sie ihn auch so«, sagte ich.»Ich habe hundert Pfund auf ihn gesetzt, und für gewöhnlich wette ich nicht.«
Sein Mund öffnete sich vor Erstaunen.»Aber Ihr Vater.«
«Versprechen Sie mir, daß Sie reiten, um zu gewinnen«, sagte ich freundlich,»sonst setze ich jemanden anders drauf.«
Ich beleidigte ihn. Niemand hatte je vorgeschlagen, Tommy Hoylake zu ersetzen. Er studierte ein wenig unsicher meinen ehrlichen Gesichtsausdruck und kam zu dem Schluß, daß ich mir wegen meiner Unerfahrenheit der Monstrosität dessen, was ich gesagt hatte, nicht bewußt war.
Er zuckte mit den Schultern.»Na schön. Ich werd’s versuchen. Obwohl, was Ihr Vater dazu sagen wird.«
Mein Vater hatte noch eine ganze Menge zu sagen, in sechs oder mehr Telefonanrufen, die, wie es schien, größtenteils der Presse galten. Am Morgen des Lincolns zitierten drei Zeitungen seine Meinung, daß Pease Pudding keine Chance hatte. Ich würde seinetwegen die Rennleitung am Hals haben, überlegte ich grimmig, wenn das Pferd sich einigermaßen gut hielt.
Inmitten seiner ganzen Telefonaktivitäten rief er mich nur ein einziges Mal an. Obwohl die überwältigende Herrschsucht noch nicht in seine Stimme zurückgekehrt war, klang er gespreizt und ungehalten, woraus ich schloß, daß der Champagnerfriede gerade so lange angedauert hatte, wie ich im Zimmer war.
Am Donnerstagabend, nachdem ich von Doncaster zurückgekommen war, rief er mich an, und ich erzählte ihm, wie überaus hilfreich alle gewesen seien.
«Hmph«, sagte er,»ich werde den Rennvereinssekretär morgen anrufen und ihn bitten, die Dinge im Auge zu behalten.«
«Hast du den Telefonwagen endgültig mit Beschlag belegt?«
«Den Telefonwagen? Konnte ich nie lange genug zu fassen kriegen. Zu viele Leute, die dauernd danach fragen. Nein, nein. Ich habe ihnen gesagt, ich brauchte meinen eigenen Privatanschluß, hier in diesem Zimmer, und nach einem Riesentheater und allen möglichen Verzögerungen haben sie mir einen gelegt. Ich habe natürlich insistiert, denn schließlich muß ich ein Geschäft führen.«
«Und du hast heftig insistiert?«
«Natürlich«, sagte er ohne Humor, und ich wußte aus langer Erfahrung, daß das Krankenhaus gegen ihn genausoviel Chancen hatte wie ein Ei gegen eine Dampfwalze.
«Die Pferde sind nicht so schlecht in Form, wie du glaubst«, erklärte ich ihm.»Du brauchst wirklich nicht so pessimistisch zu sein.«
«Du hast keine Ahnung von Pferden«, erwiderte er herrisch; und es war am Tag danach, daß er mit der Presse sprach.
Major Barnette starrte im Führring düster vor sich hin und ließ Verachtung und Mitleid auf meine stattliche Wette niederprasseln.
«Ihr Vater hat mir geraten, kein gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen«, sagte er.»Und ich weiß wirklich nicht mehr, warum ich mich von Ihnen zur Teilnahme habe überreden lassen.«
«Sie können fünfzig von meinen hundert haben, wenn Sie wollen. «Mein Angebot hatte die nobelsten Hintergründe, aber er nahm es als Zeichen dafür, daß ich einen Teil meines Verlustes abwälzen wollte.
«Ganz bestimmt nicht«, sagte er grollend.
Er war ein magerer, ältlicher Mann mittlerer Größe, der bei der geringsten Provokation auf seine Würde pochte. Ein Zeichen tiefgehender Schwäche, diagnostizierte ich unbarmherzig und erinnerte mich an den alten Spruch, daß manche Besitzer schwerer zu trainieren seien als ihre Pferde.
Die neunundzwanzig Starter für das Lincoln stolzierten langbeinig durch den Führring, während alle anderen Besitzer und Trainer in nachdenklichen Grüppchen in der Nähe herumstanden. Heftige, kalte Nordwestwinde hatten die Wolken weggepustet, und die Sonne schien messingfarben von einem gleißend tiefblauen Himmel. Als die Jockeys sich durch die Menge zwängten und im strahlenden Sonnenlicht im Führring erschienen, funkelten und glänzten ihre prächtigen Farben und spiegelten wie Kinderspielzeug das Licht wider.
Die alt-junge Gestalt von Tommy Hoylake in hellem Grün hüpfte mit einer sorglosen Aura von» Nimm’s, wie’s kommt «auf uns zu, ein Umstand, der nichts dazu beitrug, Major Barnette davon zu überzeugen, daß seine Hälfte des Pferdes gut laufen würde.
«Hören Sie zu«, sagte er düster zu Tommy,»lassen Sie sich nur einfach nicht abhängen. Wenn es so aussieht, als würde das passieren, halten Sie um Gottes willen an und springen Sie runter und tun Sie so, als würde das Pferd lahmen oder als wäre der Sattel verrutscht. Alles, was Sie wollen, aber lassen Sie nicht durchsickern, daß das Pferd nichts taugt, sonst wird sein Zuchtwert in den Keller fallen.«
«Ich glaube nicht, daß er sich wirklich abhängen läßt, Sir«, sagte Tommy besonnen und warf mir einen fragenden Blick zu.
«Reiten Sie ihn einfach so, wie Sie vorgeschlagen haben«, meinte ich,»und überlassen Sie nicht alles Gottes Hand.«
Er grinste. Hüpfte auf das Pferd. Schwenkte seine Kappe und verbeugte sich zackig vor Major Barnette. Machte sich unbeschwert auf den Weg.
Der Major wollte das Rennen nicht mit mir zusammen ansehen, was mir sehr entgegenkam. Mein Mund fühlte sich trocken an. Angenommen, daß mein Vater nun doch recht hatte… daß ich ein durchtrainiertes Pferd nicht von einem Briefkasten unterscheiden konnte und daß er in seinem Krankenhausbett die bessere Nase hatte. Na schön, wenn das Pferd hundsmiserabel schlecht lief, würde ich meinen Fehler zugeben und eine heilsame Canossa-Nummer hinlegen.
Pease Pudding lief nicht hundsmiserabel schlecht.
Die Pferde galoppierten eine Meile von den Tribünen weg, gingen an der Startstelle auf dem Zirkel, stellten sich auf und machten sich dann in einem vollen Galopp auf den Rückweg. Ungeübt im Umgang mit Ferngläsern sowie auch in der Beobachtung von Rennen aus einer Entfernung von einer Meile, konnte ich Tommy lange Zeit überhaupt nicht sehen, und das, obwohl ich eine verschwommene Vorstellung davon hatte, wo ich nach ihm suchen mußte; er hatte die Startnummer einundzwanzig gezogen, beinahe im Mittelfeld. Nach einer Weile ließ ich das Fernglas sinken und sah einfach nur zu, wie die Masse sich von ferne auf die Tribünen zubewegte. Ein vielfarbiges Energiebündel, das sich langsam in zwei Gruppen teilte, eine an jedem Ende der Bahn. Beide Gruppen zogen sich zusammen, bis die Mitte der Bahn leer war und es aussah, als fänden zwei verschiedene Rennen gleichzeitig statt.
Ich hörte seinen Namen über Lautsprecher, noch bevor ich die Farben erkannte.