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Ich betrachtete ihn eingehend. War er in der Nacht meiner Entführung noch besonnen und kühl gewesen, wurde er nun von irgendeinem inneren starken Gefühl getrieben. Das machte ihn nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil.

«Alessandro reitet heute nachmittag ein sehr gutes Pferd im Dean Swift Handicap«, sagte ich.

«Er hat mir gesagt, dieses Rennen sei nicht wichtig. Es sei das Great Metropolitan, das zählte. Er wird auch dort reiten.«

«Hat er gesagt, daß er das möchte?«erkundigte ich mich neugierig, denn unser Starter im Great Met war der Durchgänger Traffic, und nicht einmal Tommy Hoylake betrachtete diese Aussicht mit besonderer Freude.

«Natürlich«, behauptete Enzo, aber ich glaubte ihm nicht ganz. Ich hielt es für wahrscheinlich, daß er Alessandro dazu gedrängt hatte, einen solchen Wunsch auszusprechen.

«Ich fürchte«, sagte ich mit unaufrichtigem Bedauern,»daß man den Besitzer nicht dazu überreden kann. Er besteht darauf, daß Hoylake reitet. Er ist unerbittlich.«

Enzo kochte, ließ aber von der verlorenen Sache ab. Statt dessen stellte er fest:»Sie werden sich in Zukunft mehr bemühen. Über die Geschichte von heute werde ich hinwegsehen. Aber es besteht kein Zweifel, nicht der Schatten eines Zweifels, verstehen Sie, daß Alessandro jenes Pferd, von dem wir schon gesprochen haben, im Two Thousand Guineas reiten wird. Nächste Woche wird er Archangel reiten, wie er es sich gewünscht hat. Archangel.«

Ich sagte nichts. Es war nach wie vor unmöglich, daß Alessandro den Ritt auf Archangel bekommen würde, selbst wenn ich es gewollt hätte, was nicht der Fall war. Der Bankier würde niemals einverstanden sein, Tommy Hoylake durch einen Lehrling mit nur fünf Wochen Erfahrung zu ersetzen, nicht bei dem aussichtsreichsten Derby-Kandidaten, den er je besessen hatte. Und auch um meines Vaters willen mußte Archangel den besten Jockey haben, den er kriegen konnte. Enzo nahm mein Schweigen als Zustimmung, begann weniger wütend und deutlich zufriedener dreinzuschauen und wandte mir schließlich den Rücken zu, um mir zu bedeuten, daß ich entlassen war.

Alessandro ritt im Handicap ein schlechtes Rennen. Er wußte, daß das Rennen über die Derby-Distanz ging, und er wußte, daß ich ihm auf den anderthalb Meilen Erfahrung verschaffen wollte, weil ich hoffte, er würde das große Lehrlingsrennen in zwei Tagen gewinnen, das über dieselbe Distanz ging. Aber er schätzte die Dinge hoffnungslos falsch ein, ging in der Tattenham Corner viel zu weit außen durch den Bogen, schaffte es nicht, sein Pferd vor und nach den Sprüngen im Gleichgewicht zu halten, und holte zu keiner Zeit die Geschwindigkeit aus dem Tier heraus, die dieses hätte erreichen können.

Als er abstieg, wich er meinem Blick aus, und nachdem Tommy Hoylake das Great Met gewonnen hatte (zu Traffics Überraschung genausosehr wie zu meiner), war er für den Rest des Tages nicht mehr zu sehen.

Alessandro ritt in dieser Woche noch vier weitere Rennen und zeigte in keinem einzigen sein früheres Flair. Er verlor das Lehrlingsrennen in Epsom durch ein himmelschreiend schlechtes Timing, indem er das ganze Feld eine halbe Meile vorm Ziel davonziehen ließ und dann den dritten Platz um

Kopfeslänge verpaßte, obwohl er im Finish schneller geritten war als zu irgendeiner anderen Zeit des Rennens.

Die beiden Besitzer, für die er am Samstag in Sandown ritt, verkündeten, nachdem er auf ihren geliebten und teuren Dreijährigen im Mittelfeld versackt war, daß er ihrer Meinung nach nicht so gut sei, wie ich behauptet habe, daß mein Vater es besser gewußt hätte und daß sie nächstes Mal einen anderen Jockey wollten.

Ich gab diese Bemerkungen an Alessandro weiter, indem ich in der Umkleidekabine nach ihm schickte und schließlich im Waageraum mit ihm sprach. Mittlerweile bekam ich nur noch selten Gelegenheit, irgendwo anders mit ihm zu reden. Er war vormittags ausgesprochen hölzern und verschwand sofort, nachdem er abgestiegen war, und bei den Rennen wurde er pausenlos von Enzo und Carlo flankiert, die ihn wie Wachposten überallhin begleiteten.

Er hörte mir voller Verzweiflung zu. Er wußte, daß er schlecht geritten war, und unternahm keinen Versuch, sich zu rechtfertigen. Alles, was er sagte, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, war:»Kann ich Archangel im Guineas reiten?«

«Nein«, sagte ich.

Die schwarzen Augen in dem unglücklichen Gesicht brannten.

«Bitte«, flehte er leidenschaftlich,»bitte sagen Sie, ich kann ihn reiten. Ich bitte Sie.«

Ich schüttelte den Kopf.

«Begreifen Sie denn nicht. «Er flehte mich an; aber ich wollte und konnte ihm nicht geben, was er sich wünschte.

«Wenn Ihr Vater Ihnen alles gibt, worum Sie ihn bitten«, sagte ich langsam,»dann bitten Sie ihn, wieder in die Schweiz zu fahren und Sie allein zu lassen.«

Nun war es an ihm, den Kopf zu schütteln, aber es war Hilflosigkeit, nicht Trotz, was aus dieser Geste sprach.

«Bitte«, sagte er noch einmal, aber ohne jede Hoffnung in der Stimme.»Ich muß… Archangel reiten. Mein Vater glaubt, Sie würden es mir erlauben, obwohl ich ihm gesagt habe, daß Sie das nicht tun würden… Ich habe solche Angst, daß er, wenn Sie es nicht tun, den Stall zerstören wird… Und dann werde ich keine Rennen mehr reiten können… Und das wäre… furchtbar.«

Mit letzter Kraft brachte er seinen Satz zu Ende.

«Sagen Sie ihm«, meinte ich ohne besonderen Nachdruck,»daß Sie ihn, wenn er den Stall zerstört, für alle Zeit hassen werden.«

Er sah mich wie betäubt an.»Ich glaube, das würde ich wirklich tun«, erwiderte er.

«Dann sagen Sie es ihm, bevor er es tut.«

«Ich werde. «Er schluckte.»Ich werde es versuchen.«

Am nächsten Morgen erschien er nicht zur Arbeit; es war das erste Mal, seit er abgeworfen worden war, daß er einen Vormittag versäumte. Etty meinte, es sei langsam Zeit, daß einige der anderen Lehrlinge mehr Chancen bekämen als die wenigen, die ich ihnen gegeben hatte, und ließ durchblicken, daß ihre früheren Ressentiments gegenüber Alessandro mit aller Macht zurückgekehrt waren.

Ich stimmte ihr um des lieben Friedens willen zu und brach zu meinem sonntäglichen Besuch nach Süden auf.

Mein Vater trug die Erfolge des Stalls mit Fassung und schöpfte einen gewissen Trost aus den Niederlagen. Er schien sich jedoch aufrichtig zu wünschen, daß Archangel das Guineas gewann, und erzählte mir, er hätte lange Telefongespräche mit Tommy Hoylake geführt, um ihm Anweisungen für das Rennen zu geben.

Er sagte, sein Assistent zeige endlich schwache Anzeichen, aus dem Koma zu erwachen, doch die Ärzte befürchteten irreparable Hirnschäden. Er würde wohl einen Ersatz für ihn finden müssen.

Sein eigenes Bein wachse nun auch endlich wieder richtig zusammen, sagte er. Er hoffe, rechtzeitig zum Derby zu Hause zu sein, und danach werde er mich nicht mehr brauchen.

Die Stunden mit Gillie waren wie üblich ein erholsames und amüsantes Intermezzo, und die Zeit im Bett war noch befriedigender als gewöhnlich.

An diesem Sonntag brachten die meisten Zeitungen Bilanzen des Guineas mit verschiedenen Einschätzungen, was Archangels Chancen betraf. Alle stimmten darin überein, daß Hoylakes großes Rennformat ein beträchtliches Plus sei.

Ich fragte mich, ob Enzo englische Zeitungen las.

Ich hoffte, er tat es nicht.

Für die beiden nächsten Tage waren keine Rennveranstaltungen angesetzt, nicht vor Ascot und Catterick am Mittwoch und dem Newmarketer Guineas am Donnerstag, Freitag und Samstag.

Am Montagmorgen erschien Alessandro mit schleppendem Gang und kohlrabenschwarzen Schatten um die Augen und sagte, sein Vater koche vor Wut, weil Tommy Hoylake immer noch Archangel reiten solle.

«Ich habe ihm erklärt«, sagte er,»daß Sie mir nicht erlauben würden, ihn zu reiten. Ich habe ihm auch erklärt, daß ich verstehen könne, warum Sie das nicht tun würden. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihm nie verzeihen würde, wenn er hier noch weiteren Schaden anrichtete. Aber er hört nicht richtig zu. Ich weiß nicht… er ist irgendwie anders. Nicht mehr so wie früher.«