Ich schwieg.
Enzo erwärmte sich für sein Thema.
«Außerdem werden Sie mir nicht meinen Sohn wegnehmen.«
«Das tue ich nicht.«
«Lügner!«Der Haß flackerte auf wie Magnesium, und seine Stimme stieg um eine halbe Oktave.»Alessandro spricht nur noch von Neil Griffon hier und Neil Griffon dort und Neil Griffon sagt… und ich habe Ihren Namen so oft gehört, daß ich
Ihnen… die Kehle… durchschneiden könnte. «Die letzten drei Worte schrie er fast. Seine Hände zitterten, und der Pistolenlauf wackelte um sein Ziel herum. Ich konnte spüren, wie sich die Muskeln in meinem Magen unwillkürlich zusammenkrampften, und meine Handgelenke zuckten sinnlos gegen die Riemen.
Er trat einen Schritt näher, und seine Stimme war laut und schrill.
«Was mein Sohn will, werde ich ihm geben. Ich… Ich… werde es ihm geben. Ich werde ihm geben, was er will.«
«Ich verstehe«, sagte ich und überlegte, daß ich die Situation zwar verstand, daß mir dies aber nicht im geringsten dabei helfen würde, mich daraus zu befreien.
«Es gibt niemanden, der nicht tut, was ich sage«, schrie er.»Niemanden. Wenn Enzo Rivera den Leuten sagt, sie sollen etwas tun, dann tun sie es.«
Was auch immer ich dazu zu bemerken hatte, würde eher dazu beitragen, ihn zu erzürnen, als ihn zu beruhigen, also sagte ich überhaupt nichts. Er trat noch einen Schritt näher an mich heran, bis ich das Glitzern seiner goldgekrönten Backenzähne sehen und den süßen, schweren Duft seines Rasierwassers riechen konnte.
«Auch Sie«, sagte er.»Auch Sie werden tun, was ich sage. Es gibt niemanden, der sich rühmen kann, Enzo Rivera den Gehorsam verweigert zu haben. Es gibt niemanden, der Enzo Rivera den Gehorsam verweigert hat und noch am Leben ist. «Die Pistole bewegte sich in seinen Händen, und Cal griff nach seiner Lee Enfield, und es war vollkommen klar, was aus den Ungehorsamen geworden war.
«Sie wären jetzt schon tot«, sagte er.»Und ich möchte Sie töten. «Er schob seinen Kopf auf seinem kurzen Hals nach vorn, die kräftige Nase ragte aus seinem Gesicht heraus wie ein Schnabel, und die schwarzen Augen waren so gefährlich wie Napalm.»Aber mein Sohn… mein Sohn sagt, er würde mich für immer hassen, wenn ich Sie töte… Und deshalb möchte ich Sie erst recht töten, mehr als ich jemals irgend jemanden töten wollte.«
Er machte noch einen Schritt und drückte den Schalldämpfer gegen mein dünnes Wollhemd, unter dem mein Herz nur wenige Zentimeter entfernt wie verrückt hämmerte. Ich fürchtete, er würde es riskieren, fürchtete, er würde sich ausrechnen, daß Alessandro mit der Zeit über das Scheitern seiner Rennkarriere hinwegkommen würde, fürchtete, er würde glauben, daß die Dinge irgendwie wieder so werden könnten wie an jenem Tag, an dem sein Sohn beiläufig gesagt hatte:»Ich möchte Archangel im Derby reiten.«
Ich hatte Angst.
Aber Enzo drückte nicht ab. Er sagte, als folge das eine unausweichlich aus dem anderen, wie es das in gewisser Hinsicht wohl auch tat:»Also werde ich Sie nicht töten… Aber ich werde Sie dazu bringen, zu tun, was ich sage. Ich kann es mir nicht leisten, daß Sie nicht tun, was ich sage. Ich werde Sie dazu bringen.«
Ich fragte nicht, wie. Einige Fragen sind so dumm, daß man sie besser nicht stellt. Ich konnte spüren, wie mir am ganzen Körper der Schweiß ausbrach, und ich war sicher, daß er die Angst auf meinem Gesicht lesen konnte — und bisher hatte er überhaupt nichts getan, nichts, als mir zu drohen.
«Alessandro wird Archangel reiten«, sagte er.»Übermorgen. Im Two Thousand Guineas.«
Sein Gesicht war nun so nah, daß ich die Mitesser in seiner ungesunden, wächsernen Haut sehen konnte.
Ich sagte nichts. Er verlangte kein Versprechen. Er gab mir einen Befehl.
Schließlich machte er einen Schritt nach hinten und nickte Carlo zu. Carlo griff nach der Reisetasche und holte daraus einen Knüppel hervor, der dem, den ich ihm in Buckrams Box weggenommen hatte, täuschend ähnlich sah.
Zuerst etwas Promazin?
Kein Promazin.
Sie machten sich keine Umstände, mir die Dinge zu erleichtern, wie sie es für die Pferde getan hatten. Carlo ging einfach direkt auf mich zu, hob seinen rechten Arm mit dem Knüppel und ließ ihn mit der ganzen Wucht, die er aufbringen konnte, niederkrachen. Er schien stolz auf seine Arbeit zu sein. Mit großer Konzentration bemühte er sich darum, daß die Richtung genau stimmte. Und es war auch nicht, was ich am meisten fürchtete, mein verdrehter Ellbogen, auf den er schlug, sondern mein Schlüsselbein.
Gar nicht so schlimm, dachte ich verwirrt in den beiden ersten Sekunden der Betäubtheit, und außerdem brachen sich die Jockeys bei Jagdrennen andauernd das Schlüsselbein, jeden Tag, und machten auch kein Theater deswegen… Aber der Unterschied zwischen einem Rennsturz und Carlos Bemühungen lag in dem Drehmoment und der Spannung, unter der mein ganzer Arm stand. Diese beiden Dinge wirkten wie einer von Archimedes’ kostbaren Hebeln und rissen die Enden meines Schlüsselbeins auseinander. Als das Gefühl mit grausamer Vehemenz zurückkehrte, spürte ich, wie die Sehnen in meinem Hals sich zu Drähten strafften und von der Anstrengung, meinen Mund geschlossen zu halten, hervortraten.
Ich sah auf Enzos Gesicht einen grauen Blick des Leidens: schmale Augen, zusammengepreßte Lippen, kontrahierte Muskeln, ängstliche Linien auf seiner Stirn und um die Augen — und begriff mit heftigem Schrecken, daß das, was ich auf seinem Gesicht sah, ein Spiegel meines eigenen war.
Als sein Kiefer sich ein klein wenig entspannte, wußte ich, daß auch mein Kiefer sich entspannt hatte. Als seine Augen sich ein wenig öffneten und die allumfassende Spannung etwas nachließ, lag es daran, daß bei mir das Schlimmste vorüber war.
Es war jedoch kein Mitleid seinerseits. Eher Phantasie. Er versetzte sich an meine Stelle, um auszukosten, was er angerichtet hatte. Schade nur, daß er es nicht gründlicher tun konnte. Ich würde ihm jederzeit einen Knochen brechen, wenn er mich darum bat.
Er nickte mehrmals heftig, eine Bekundung von Zufriedenheit. Es lag noch immer ein gewaltiger, unverminderter Zorn in seinem Verhalten, und es gab keine Garantie, daß er mit seinem Abendwerk am Ende war. Aber er blickte bedauernd auf seine Pistole hinunter, schraubte den Schalldämpfer ab und reichte beide Teile Cal, der sie unter seinem Regenmantel verstaute.
Enzo trat ganz nah an mich heran. Sehr nah. Er ließ seinen Finger über meine Wange gleiten und rieb den Schweiß davon zwischen Daumen und Zeigefinger.
«Alessandro wird Archangel im Guineas reiten«, sagte er.»Denn wenn er es nicht tut, werde ich Ihnen auch den anderen Arm brechen. Ganz einfach.«
Ich sagte nichts. Konnte nicht, wirklich nicht.
Carlo band den Riemen von meinem rechten Handgelenk los und legte ihn zusammen mit dem Knüppel in die Reisetasche, bevor sie mir alle drei den Rücken zukehrten und quer über das Feld und zurück durch den Wald zu dem wartenden Mercedes gingen.
Es war eine lange, qualvolle Millimeterarbeit, meine rechte Hand zu meiner linken zu bringen und den anderen Riemen zu lösen. Danach setzte ich mich, gegen einen der Pfosten gelehnt, auf den Boden, um darauf zu warten, daß die Dinge besser wurden. Es hatte nicht den Anschein, als würden sie mir den Gefallen tun.
Ich sah auf meine Uhr. Acht Uhr. Zeit zum Abendessen unten im Forbury Inn. Enzo hatte wahrscheinlich seine fetten Knie unterm Tisch und stopfte sich mit bestem Appetit voll.
In der Theorie war es mir vernünftig erschienen, daß die beste
Art und Weise, ihn zu bekämpfen, darin bestand, ihm seinen Sohn zu stehlen. In der Praxis, während ich meinen ernstlich schmerzenden linken Arm behutsam an meine Brust drückte, zweifelte ich daran, daß Alessandros Seele der Mühe wert war. Arroganter, verräterischer, verwöhnter kleiner Bastard… Aber mit Schneid und Entschlossenheit und Talent. Auf einem MiniSchlachtfeld, zerrissen zwischen der Loyalität seinem Vater gegenüber und der Verlockung, aus sich heraus zum Erfolg zu kommen. Ein Bauer, der in einem Machtkampf hin und her geschoben wurde. Aber dieser Bauer war alles… und wer immer ihn eroberte, hatte das Spiel gewonnen.