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«Ich tue mein Bestes«, sagte ich trocken, und Alessandro zitterte beinahe vor Ohnmacht.

«Neil«, sagte er, und es war das einzige Mal, daß er meinen Vornamen benutzte,»ich habe Angst um Sie.«

«Dann wären wir schon zwei«, sagte ich ohne besonderen Ernst, aber es heiterte ihn nicht im mindesten auf. Ich sah ihn mitleidig an.»Nehmen Sie’s nicht so schwer, Junge.«

«Aber Sie… Sie verstehen nicht.«

«Und ob ich verstehe«, sagte ich.

«Aber es scheint Ihnen nichts auszumachen.«

«O doch, das tut es«, sagte ich wahrheitsgemäß.»Ich bin nicht übermäßig versessen auf eine weitere Knochenbrecher-Sitzung mit Ihrem Vater. Aber noch weniger versessen bin ich darauf, am Boden zu kriechen und seine Stiefel zu küssen. Also wird Tommy Archangel reiten, und wir drücken die Daumen.«

Er schüttelte zutiefst besorgt den Kopf.»Ich kenne ihn«, sagte er.»Ich kenne ihn.«

«Nächste Woche in Bath«, sagte ich,»können Sie im Lehrlingsrennen Pullitzer reiten und Clip Clop in Chester.«

Sein Gesichtsausdruck sagte deutlich, daß er Zweifel daran hatte, daß es eine nächste Woche noch geben würde.

«Haben Sie übrigens Geschwister?«fragte ich plötzlich.

Die zusammenhanglose Frage schien ihn zu verwirren.

«Nein… Meine Mutter hatte noch zwei Kinder nach mir, aber es waren beides Totgeburten.«

15

Samstag morgen, 2. Mai. Two-Thousand-Guineas-Tag.

Die Sonne erhob sich zu einer neuerlichen goldenen Reise über die Heide, und ich mühte mich millimeterweise aus dem Bett, mit Unbehagen und weniger Seelenstärke, als ich für bewunderungswürdig gehalten hätte. Den Gedanken, daß Enzo noch mehr Schaden anrichten konnte, schob ich hastig beiseite. Und doch hatte ich selbst alle Punkte auf seiner Abschußliste blockiert und ihm nur eine einzige Zielscheibe übriggelassen. Nachdem ich sozusagen einen vollen Frontalzusammenstoß eingefädelt hatte, war es nun zu spät, um zu wünschen, ich hätte es nicht getan.

Ich seufzte. Waren fünfundachtzig Vollblüter, der Lebensunterhalt meines Vaters, die Zukunft des Stalls und vielleicht Alessandros Freiheit ein gebrochenes Schlüsselbein wert?

Nun, ja, das waren sie.

Aber zwei gebrochene Schlüsselbeine?

Gott behüte.

Durch das Summen meines Rasierapparates erwog ich das Für und Wider einer schnellen Flucht. Eines gut organisierten, verfolgerlosen Rückzugs in die Festung von Hampstead. Leicht genug zu arrangieren. Das schlimme war nur, irgendwann würde ich zurückkommen müssen, und solange ich fort war, würde der Stall zu verletzlich sein.

Vielleicht konnte ich das Haus mit Gästen füllen und dafür sorgen, daß ich niemals allein war… Aber die Gäste würden in ein oder zwei Tagen abreisen, und Enzos Rachedurst hielt sich wohl so gut wie Napoleon-Brandy, die Zeit konnte ihm keinen Abbruch tun.

Ich kämpfte mich in einen Pullover, ging hinunter in den

Garten und gab mich der Hoffnung hin, daß selbst Enzo einsehen würde, wie sinnlos Rache war, wenn man dadurch verlor, was einem das Wichtigste auf Erden war. Wenn er mir noch weiteren Schaden zufügte, würde er seinen Sohn verlieren.

Es war schon vor langer Zeit festgelegt worden, daß Tommy Hoylake die Gelegenheit seiner Übernachtung in Newmarket nutzen sollte, um am Morgen einen Trainingsgalopp zu reiten. Dementsprechend steuerte er um sieben Uhr seinen Jaguar den Kies hinauf und hielt mit einem Ruck draußen vorm Bürofenster.

«Morgen«, sagte er und stieg aus dem Wagen.

«Morgen. «Ich sah ihn genau an.»Sie sehen nicht besonders gut aus.«

Er schnitt ein Gesicht.»Hatte die ganze Nacht Bauchschmerzen. Habe auch mein Abendessen wieder von mir gegeben. Passiert mir manchmal. Nerven, nehme ich an. Wie dem auch sei, jetzt geht es mir etwas besser. Und ich werde am Nachmittag wieder in Ordnung sein, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«

«Sind Sie sicher?«fragte ich besorgt.

«Ja. «Er schenkte mir ein bleiches Grinsen.»Ich bin sicher. Wie ich schon sagte, das passiert mir ab und zu. Nichts Besorgniserregendes. Aber sehen Sie, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich diesen Galopp heute morgen nicht reiten würde?«

«Nein«, erwiderte ich.»Natürlich nicht. Von mir aus lassen Sie es wirklich besser sein… Wir wollen doch nichts tun, was Ihrer Genesung bis heute nachmittag im Wege stehen könnte.«

«Aber ich sag’ Ihnen was. Ich könnte Archangel schon ein bißchen auf Trab bringen. Mit einem schönen, ruhigen Ritt. Wie wär’s?«

«Wenn Sie sicher sind, daß Ihnen das nicht zuviel wird?«sagte ich zweifelnd.

«Klar. Dafür geht es mir gut genug. Ehrlich.«

«Also schön«, erwiderte ich, und er führte Archangel in Begleitung von Clip Clop hinaus, und sie kanterten schnelle achthundert Meter, beobachtet von Hunderten der mehreren tausend Besucher, die ihn am Nachmittag auf der Rennbahn anfeuern würden.

Etty nahm den Rest des Lots mit hinüber nach Waterhall, wo mehrere Pferde für eine halbschnelle Meile über die Line-Galoppbahn vorgesehen waren.

«Wen sollen wir auf Lucky Lindsay setzen, jetzt, da wir Tommy nicht haben?«fragte Etty. Und das stellte ein kleines Problem dar, denn wir waren knapp an geschickten Pflegern.

«Wir sollten sie wohl besser umsetzen«, sagte ich,»und Andy Lucky Lindsay geben und Faddy Irrigate und.«

«Nicht nötig«, unterbrach mich Etty mit einem Blick zur Einfahrt.»Alex ist gut genug, oder?«

Ich drehte mich um. Alessandro kam den Hof hinunter, in Arbeitskleidung. Lange verschwunden waren die geschniegelte Kleidung und die hellen Waschlederhandschuhe. Er erschien nun regelmäßig in einem kamelfarbenen Pullover mit einem blauen Hemd darunter, ein Aufzug, den er Tommy Hoylake abgeguckt hatte, in der Überzeugung, daß, wenn ein Topjockey sich so zum Ausreiten kleidete, es genau das war, was Alessandro Rivera ebenfalls tragen sollte.

Heute war kein Mercedes zu sehen, der hinter ihm in der Einfahrt wartete. Kein wachsamer Carlo, der in den Hof starrte. Alessandro sah meine unwillkürliche Suche nach dem treuen Begleiter und sagte verlegen:»Ich bin ausgebüxt. Sie meinten, ich sollte nicht herkommen, aber Carlo ist irgendwo hingefahren, also dachte ich, ich tu’s trotzdem. Darf ich… ich meine, lassen Sie mich reiten?«

«Warum um alles in der Welt denn nicht?«fragte Etty, die wirklich nicht wußte, warum um alles in der Welt nicht.

«Nur zu«, pflichtete ich Etty bei.»Sie können den Galopp auf Lucky Lindsay reiten.«

Er war überrascht.»Aber in allen Zeitungen stand doch, daß Tommy diesen Galopp heute morgen reiten würde.«

«Er hat Bauchschmerzen«, sagte ich und fügte, als ich die wilde Hoffnung in seinem Gesicht aufflackern sah, hinzu:»Keine unnötige Aufregung. Es geht ihm schon besser, und er wird sicher heute nachmittag wieder in Ordnung sein.«

«Oh.«

Er begrub die zerschmetterte Hoffnung, so gut er konnte, und ging davon, um Lucky Lindsay zu holen. Etty ritt Cloud Cuckoo-land zusammen mit dem Lot, während ich für mich arrangiert hatte, daß George mich später im Landrover hinunterfahren sollte, damit ich mir die Galopps ansehen konnte. Die Pferde ritten aus dem Hof, kreisten eine Weile im Trabring, damit die Reiter umgesetzt werden konnten, verschwanden dann durchs Tor und bogen nach links auf die Trainingsbahn Richtung Waterhall ein.

Auch Lancat war bei ihnen, aber er sollte nach seinem harten Rennen von vor zwei Tagen nur bis zur Kreuzung an der Hauptstraße mitgehen und dann zurückkommen.

Ich sah den Pferden nach, lauter glänzende, elegante Geschöpfe — es war einer jener dunstigen Maimorgen, die schienen wie die ersten Tage der Welt. Ich holte tief und bedauernd Atem. Es war seltsam… Aber trotz Enzo und seinem Sohn hatte ich meine Amtszeit als Rennpferdtrainer genossen. Ich würde traurig sein, wenn ich gehen mußte. Trauriger als ich mir je vorgestellt hätte. Seltsam, dachte ich. Sehr seltsam.