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Ich konnte meinen Vater nicht bitten, selbst zu entscheiden; es ging ihm nicht gut genug, als daß ich ihm hätte davon erzählen können, ganz zu schweigen davon, das Für und Wider mit ihm abzuwägen.

Ich konnte den Stall auch keinem anderen übergeben, genausowenig wie eine scharfe Granate.

Ich wurde in meinem eigenen Job zurückerwartet und war bereits zu spät dran für meinen nächsten Auftrag, überhaupt war ich nur als Lückenbüßer im Stall eingesprungen, weil der tüchtige Assistent meines Vaters, der am Steuer des Rolls gesessen hatte, als sie von einem sich querstellenden Lastwagenanhänger von der Straße gefegt worden waren, jetzt im selben Krankenhaus wie mein Vater im Koma lag.

Das Ganze hatte sich zu einem beträchtlichen Problem entwickelt. Aber schließlich waren Probleme, so überlegte ich ironisch, mein Geschäft. Die Probleme mies gehender Geschäfte waren mein Geschäft.

Im Augenblick sah nichts mieser aus als meine Aussichten in Rowley Lodge.

Mit heftigem Zittern entfernte ich mich Stück um Stück von dem Tisch und dem Stuhl, ging hinaus in die Küche und machte mir einen Kaffee. Trank ihn. Zustandsverbesserung mäßig.

Schob mich millimeterweise nach oben ins Bad. Schabte die nächtlichen Barthaare ab und betrachtete leidenschaftslos das getrocknete Blut auf meiner Wange. Wusch es weg. Pistolenlaufschramme, trocken und schon auf dem Weg der Heilung.

Draußen sah ich durch die blattlosen Bäume die Lichter des Verkehrs, der wie gewöhnlich die Bury Road hinauf und hinunter donnerte. Diese Autofahrer in ihren warmen, rollenden Kisten — sie lebten in einer vollkommen anderen Welt, einer Welt, in der Entführung und Erpressung etwas waren, das immer nur anderen zustieß. Unglaublich, sich vorzustellen, daß ich nun tatsächlich zu diesen anderen gehörte.

Während ich unter einem umfassenden Gefühl körperlichen Unbehagens erschauderte, betrachtete ich mein veilchenäugiges Spiegelbild und fragte mich, wie lange ich weiter tun würde, was der dicke Mann mir sagte. Schößlinge, die sich vor dem Sturm beugten, lebten lange genug, um zu Eichen zu werden.

Lang leben die Eichen!

Ich schluckte ein paar Aspirin, hörte auf zu zittern, versuchte ein wenig mehr Vernunft in meine schwummerigen Gedanken zu bringen und kämpfte mich in Reithosen, Stiefel, zwei weitere Pullover und eine Windjacke hinein. Was immer vergangene Nacht geschehen war, oder was in Zukunft geschehen mochte, da unten warteten immer noch diese fünfundachtzig Sechs-Millionen-Pfund-Pferde darauf, daß man sich um sie kümmerte.

Sie waren auf einem Hof untergebracht, dessen Anlage im Jahre 1870 von großzügiger Geräumigkeit inspiriert gewesen war und der nun, gut hundert Jahre später, noch immer als eine eindrucksvolle, funktionierende Einheit fortbestand. Ursprünglich hatte es zwei einander gegenüberliegende Stallgebäude von jeweils drei Stallgassen gegeben, die wiederum jede zehn Boxen beherbergten. Am hinteren Ende schlossen das Futterlager und eine große Sattelkammer den Hof ab; zwischen ihnen befand sich ein großes Doppeltor. Es hatte ursprünglich auf ein Feld hinausgeführt, aber noch ganz am Anfang seiner Karriere, als sich die ersten Erfolge einstellten, hatte mein Vater hinter dem Tor zwei zusätzliche Stallgassen gebaut, die dort einen weiteren kleinen, in sich abgeschlossenen Hof mit fünfundzwanzig Boxen bildeten. Aus diesem führte ein weiteres Doppeltor nun hinaus auf eine kleine, umzäunte Trainingsanlage.

Zuletzt hatte man noch vier Boxen zur Bury Road hin angebaut, außen an die westliche Abschlußmauer des nördlichen Blocks. Es war die hinterste dieser vier Boxen, in der man gerade ein ausgewachsenes Desaster entdeckt hatte.

Mein Erscheinen in der Tür, die direkt vom Haus auf den Hof führte, setzte die Gruppe, die sich zuvor um die Außenboxen geschart hatte, abrupt in Marsch, und sie kehrte nun in zerfranster, aber zielgerichteter Formation in den Haupthof zurück. Ich sah dem Haufen an, daß ich über die Neuigkeiten nicht glücklich sein würde. Wartete gereizt darauf, sie zu hören. Krisen waren an diesem ganz besonderen Morgen alles andere als willkommen.

«Es ist Moonrock, Sir«, sagte einer der Pfleger besorgt.»Hat sich in seiner Box festgelegt und ein Bein gebrochen.«

«Aha«, sagte ich schroff.»Und jetzt kümmert euch wieder um eure eigenen Pferde. Es ist gleich Zeit fürs Morgentraining.«

«Jawohl, Sir«, bekam ich zur Antwort. Widerwillig und mit einem letzten Blick über die Schulter gingen die Männer über den Hof zu ihren Schützlingen.

«Himmel Donnerwetter!«sagte ich laut, aber ich kann nicht behaupten, daß es viel genützt hätte. Moonrock war das Reitpferd meines Vaters, ein erstklassiger, mittlerweile längst pensionierter Steeple-Chaser, den mein Vater für seine Verhältnisse ungewöhnlich gern hatte. In mancher Hinsicht der wertloseste Stallbewohner, aber auch der, dessen Verlust meinen Vater am meisten bekümmern würde. Die anderen waren außerdem versichert. Aber gegen schmerzliche Gefühle gab es ja sowieso keine Versicherung.

Langsam trottete ich zu Moonrocks Box hinüber. Der ältliche Pfleger, der ihn versorgte, stand an der Tür; das Licht aus dem Stall fiel schräg über die tiefen Sorgenfalten in seiner Schildkrötenhaut und verwandelte sie in Gletscherspalten. Als er mich kommen hörte, drehte er sich um. Die Gletscherspalten verschoben sich wie in einem Kaleidoskop zu einem neuen Bild.

«Nichts mehr zu machen, Sir. Er hat sich das Sprunggelenk gebrochen.«

Ich nickte und wünschte, ich hätte es nicht getan. Dann ging ich hinein. Der alte Moonrock war an seinem gewohnten Platz angebunden. Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein: Er drehte mir den Kopf zu, stellte die Ohren auf, und seine feuchten schwarzen Augen zeigten nichts als die übliche Neugier. Fünf Jahre im hellsten Rampenlicht hatten ihm eine Ausstrahlung gegeben, wie sie nur intelligente und äußerst erfolgreiche Pferde zu entwickeln scheinen, eine Art Bewußtsein ihrer eigenen Größe. Er wußte mehr über das Leben und über das Rennen als irgendeines der vielversprechenden Jungpferde im Haupthof. Moonrock war fünfzehn Jahre alt und seit fünf Jahren meinem Vater ein guter Freund.

Die linke Hinterhand war vollkommen in Ordnung. Auf dieses Bein hatte er sein Gewicht verlagert. Die rechte Hinterhand schien er zu schonen.

Er hatte geschwitzt: Auf Hals und Flanken zeigten sich dunkle Flecken. Im Augenblick wirkte er jedoch soweit ganz ruhig. Kleine Strohhalme hatten sich in seinem Fell verfangen, das ungewöhnlich staubig war.

Etty Craig, die Futtermeisterin meines Vaters, stand neben ihm, tätschelte ihn beschwichtigend und sprach mit nüchterner Stimme auf ihn ein. Bekümmert wandte sie mir ihr freundliches, wettergegerbtes Gesicht zu.

«Ich habe nach dem Tierarzt geschickt, Mr. Neil.«

«Verflixt und zugenäht«, sagte ich.

Sie nickte.»Armer alter Bursche. Man sollte eigentlich denken, er wüßte es besser — nach all den Jahren.«

Ich gab ein zustimmendes Grunzen von mir, trat in die Box, strich Moonrock liebevoll über das feuchte, schwarze Maul und sah mir seine Hinterhand an — so gut ich das konnte, ohne ihn zu bewegen. Es gab absolut keinen Zweifeclass="underline" Das Sprunggelenk war deformiert.

Manchmal wälzte sich ein Pferd im Stroh seiner Box auf den Rücken. Hatte es dabei zu wenig Platz, um sich ganz umzudrehen, konnte es passieren, daß es sich in seiner Box festlegte und wie wild ausschlug, um freizukommen. Die meisten Verletzungen, die dabei auftraten, waren Abschürfungen und Zerrungen, aber es war auch möglich, daß ein Pferd sich so sehr verrenkte oder so heftig ausschlug, daß es sich ein Bein brach. Unglaubliches Pech, so etwas, aber es kam glücklicherweise nur selten vor.

«Er lag noch auf dem Boden, als George reinkam, um die Box auszumisten«, sagte Etty.»George mußte erst ein paar von den Jungs dazurufen, um den alten Burschen in die Mitte der Box zu ziehen. Er ist ein bißchen langsam auf die Beine gekommen, sagt George. Und dann haben sie natürlich gemerkt, daß er nicht mehr laufen konnte.«