»Es kommt davon, daß man nachts gut geschlafen und recht viel Schönes geträumt hat. Aber man darf es nimmer wissen. So geht mir’s heute. Ich habe lauter Pracht und Lustbarkeit zusammengeträumt, aber alles vergessen; ich weiß nur noch, daß es herrlich schön gewesen ist.«
Und noch eh wir das nächste Dorf erreicht und eine Morgenmilch im Leibe hatten, sang er schon mit seiner warmen, leichten, mühelosen Stimme drei, vier nagelneue Lieder in die nüchterne Frühe hinein. Aufgeschrieben und abgedruckt würden diese Lieder vielleicht recht wenig vorstellen. Aber wenn Knulp kein großer Dichter war, so war er doch ein kleiner, und während er sie selber sang, sahen seine Liedchen den schönsten anderen oft ähnlich wie hübsche Geschwister. Und einzelne Stellen und Verse, die ich behalten habe, sind wahrhaft schön und mir noch immer wert. Es ist nichts davon aufgeschrieben worden, und seine Verse kamen, lebten und starben harmlos und verantwortungslos, wie die Lüfte wehen, aber sie haben nicht nur mir und ihm, sondern vielen anderen, Kindern und Alten, manche Viertelstunde schön und lieb gemacht.
Hell und sonntagsangetan Wie ein Fräulein aus dem Tor, Kommt sie rot und aber stolz Überm Tannenwald hervor –
so sang er an jenem Tage von der Sonne, die in seinen Liedern fast immer vorkam und gepriesen wurde. Und sonderbar, so wenig er im Gespräch das Spekulieren lassen konnte, so unbefangen waren seine Verslein, die wie saubere Kinder in hellen Sommerkleidern dahinsprangen. Oft waren sie auch sinnlos drollig und dienten nur dazu, den vorhandenen Übermut entströmen zu lassen.
Den damaligen Tag wurde ich ganz von seiner Laune angesteckt. Wir begrüßten und neckten alle Leute, die uns begegneten, so daß hinter uns her bald gelacht, bald geschimpft wurde, und der ganze Tag verging uns wie eine Festlichkeit. Wir erzählten einander Streiche und Witze aus der Schulzeit, hingen den vorübergehenden Bauern und oft auch ihren Rossen und Ochsen Spitznamen an, aßen uns an einem verborgenen Gartenzaun an gestohlenen Stachelbeeren satt und schonten unsere Kräfte und Stiefelsohlen, indem wir beinahe jede Stunde eine Rast hielten.
Mir schien, seit meiner noch jungen Bekanntschaft mit Knulp hätte ich ihn noch nie so fein und lieb und unterhaltsam gefunden, und ich freute mich darauf, daß von heute an das eigentliche Zusammenleben und Wandern und Lustigsein erst anheben sollte.
Der Mittag wurde schwül, und wir lagen mehr im Grase als wir marschierten, und gegen den Abend hin zog sich Gewitterdunst und drange Luft zusammen, so daß wir beschlossen, für die Nacht ein Dach zu suchen.
Knulp wurde nun allmählich stiller und ein wenig müde, doch merkte ich es kaum, denn er lachte noch immer herzlich mit und stimmte oft in meinen Gesang ein, und ich selber ward noch ausgelassener und fühlte ein Freudenfeuer um das andere in mir angehen. Vielleicht war es bei Knulp umgekehrt, daß in ihm die festlichen Lichter schon zu verglimmen begannen. Mir ist es damals immer so gegangen, daß ich an frohen Tagen gegen die Nacht hin immer lebhafter wurde und kein Ende finden konnte, ja, oft trieb ich mich nach einer Lustbarkeit nachts noch ganze Stunden allein herum, wenn die andern längst ermüdet waren und schliefen.
Dieses abendliche Freudenfieber befiel mich auch damals, und ich freute mich, als wir talwärts gegen ein stattliches Dorf kamen, auf eine lustige Nacht. Vorerst bestimmten wir eine abseits stehende, leicht zugängliche Scheuer zu unserer Nachtherberge, dann zogen wir in das Dorf ein und in einen schönen Wirtsgarten, denn ich hatte meinen Freund für heute als meinen Gast geladen und dachte einen Eierkuchen und ein paar Flaschen Bier zu spendieren, weil es doch ein Freudentag war.
Knulp hatte die Einladung auch willig angenommen. Doch als wir unter einem schönen Platanenbaum an unsrem Gartentisch Platz nahmen, sagte er halb verlegen: »Du, wir wollen aber keine Trinkerei anfangen, gelt? Eine Flasche Bier trink ich gern, das tut gut und ist mir ein Vergnügen, aber mehr mag ich kaum vertragen.«
Ich ließ es gut sein und dachte: Wir werden schon zu so viel oder wenig kommen, als uns Freude macht. Wir aßen den heißen Eierkuchen und ein kräftig frisches, braunes Roggenbrot dazu, und allerdings ließ ich mir bald eine zweite Flasche Bier bringen, während Knulp seine erste noch halbvoll hatte. Mir war, da ich wieder üppig und herrschaftlich an einem guten Tische saß, herzlich wohl zumut, und ich dachte das heute abend noch eine Weile zu genießen.
Als Knulp mit seinem Bier zu Ende war, nahm er trotz meiner Bitten keine zweite an und schlug mir vor, jetzt noch ein wenig durchs Dorf zu schlendern und dann zeitig schlafen zu gehen. Das war nun gar nicht meine Absicht, doch mochte ich nicht geradezu widersprechen. Und da meine Flasche noch nicht leer war, hatte ich auch nichts dagegen, daß er einstweilen vorausging, wir würden uns nachher schon wieder treffen.
Er ging denn auch. Ich sah ihm nach, wie er mit seinem bequemen, genießenden Feierabendschritt, eine Sternblume hinterm Ohr, die paar Treppen hinab auf die breite Gasse und langsam dorfeinwärts bummelte. Und wenn es mir auch leid tat, daß er nicht noch eine Flasche mit mir leeren wollte, dachte ich im Nachschauen doch froh und zärtlich: Du lieber Kerl!
Inzwischen nahm die Schwüle, trotzdem die Sonne schon verschwunden war, noch immer zu. Ich hatte das gern, bei solchem Wetter in Ruhe bei einem frischen Abendtrunk zu sitzen, und richtete mich an meinem Tische noch auf einiges Bleiben ein. Da ich beinahe der einzige Gast war, fand die Kellnerin reichlich Zeit, mit mir ein Gespräch zu pflegen. Ich ließ mir von ihr auch noch zwei Zigarren bringen, von denen ich eine anfänglich für Knulp bestimmte, doch rauchte ich sie nachher in der Vergeßlichkeit selber noch.
Einmal, etwa nach einer Stunde, kam Knulp wieder und wollte mich abholen. Ich war jedoch seßhaft geworden, und da er müde war und Schlaf hatte, wurden wir einig, daß er an unsere Schlafstätte gehen und sich hinlegen sollte. So ging er denn. Die Kellnerin aber fing sofort an, mich nach ihm auszufragen, denn er stach allen Mädchen in die Augen. Ich hatte nichts dagegen, er war ja mein Freund und sie nicht mein Schatz, und ich pries ihn sogar noch mächtig, denn mir war wohl und ich meinte es mit jedermann gut.
Es fing zu donnern und leis im Platanenbaum zu winden an, als ich endlich spät aufbrach. Ich zahlte, schenkte dem Mädchen einen Zehner und machte mich ohne Eile auf den Weg. Im Gehen spürte ich wohl, daß ich eine Flasche zu viel getrunken hatte, denn ich hatte die letzte Zeit ganz ohne starkes Getränk gelebt. Doch machte mich das nur vergnügt, denn ich konnte schon etwas vertragen, und ich sang noch den ganzen Weg vor mich hin, bis ich unser Quartier wiederfand. Da stieg ich leise hinein und fand richtig den Knulp im Schlaf liegen. Ich sah ihn an, wie er hemdärmlig auf seiner ausgebreiteten braunen Jacke lag und gleichmäßig atmete. Seine Stirn und der bloße Hals und die eine Hand, die er von sich weggestreckt hielt, gaben in dem trüben Halbdunkel einen bleichen Schein.
Dann legte ich mich in den Kleidern nieder, doch machte die Erregung und der eingenommene Kopf mich immer wieder wach, und es wurde draußen schon Zwielicht, als ich endlich fest und tief und dumpf einschlief. Es war ein fester, doch kein guter Schlaf, ich war schwer und matt geworden und hatte undeutliche, plagende Träume.
Am Morgen erwachte ich erst spät, es war schon voller Tag, und das helle Licht tat mir in den Augen weh. Mein Kopf war leer und trüb und die Glieder müde. Ich gähnte lange, rieb mir die Augen und streckte die Arme, daß die Gelenke knackten. Aber trotz der Müdigkeit hatte ich noch einen Rest und Nachklang von der gestrigen Laune in mir und dachte den kleinen Jammer am nächsten klaren Brunnen von mir zu spülen.