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Und wieder stand wie ein fernes Gebirge ein Stück Vergangenheit vor Knulps Augen, und wenn es nicht ganz so froh und lustig aussah wie das vorige, so glänzte es dafür viel heimlicher und inniger, wie Frauen lächeln zwischen Tränen, und es standen Tage und Stunden aus ihren Gräbern auf, an die er lange nimmer gedacht hatte. Und mitten inne stand Lisabeth, mit schönen, traurigen Augen, den kleinen Buben auf dem Arm.

»Was für ein schlechter Kerl bin ich gewesen!« fing er wieder zu klagen an. »Nein, seit die Lisabeth tot ist, hätte ich auch nimmer leben dürfen.«

Aber Gott ließ ihn nicht weiterreden. Er sah ihn durchdringend aus den hellen Augen an und fuhr fort: »Hör auf, Knulp! Du hast der Lisabeth sehr weh getan, das ist nicht anders, aber du weißt wohl, sie hat doch mehr Zartes und Schönes von dir empfangen als Böses, und sie hat dir nicht einen Augenblick gezürnt. Siehst du denn immer noch nicht, du Kindskopf, was der Sinn von dem allen war? Siehst du nicht, daß du deswegen ein Leichtfuß und ein Vagabund sein mußtest, damit du überall ein Stück Kindertorheit und Kinderlachen hintragen konntest? Damit überall die Menschen dich ein wenig lieben und dich ein wenig hänseln und dir ein wenig dankbar sein mußten?«

»Es ist am Ende wahr,« gab Knulp nach einigem Schweigen halblaut zu. »Aber das ist alles früher gewesen, da war ich noch jung! Warum hab ich aus dem allem nichts gelernt und bin kein rechter Mensch geworden? Es wäre noch Zeit gewesen.«

Es gab eine Pause im Schneefall. Knulp rastete wieder einen Augenblick und wollte den dicken Schnee von Hut und Kleidern schütteln. Aber er kam nicht dazu, er war zerstreut und müde, und Gott stand jetzt nahe vor ihm, seine lichten Augen waren weit offen und strahlten wie die Sonne.

»Nun sei einmal zufrieden,« mahnte Gott, »was soll das Klagen nützen? Kannst du wirklich nicht sehen, daß alles gut und richtig zugegangen ist und daß nichts hätte anders sein dürfen? Ja, möchtest du denn jetzt ein Herr oder ein Handwerksmeister sein und Frau und Kinder haben und am Abend das Wochenblatt lesen? Würdest du nicht sofort wieder davonlaufen und im Wald bei den Füchsen schlafen und Vogelfallen stellen und Eidechsen zähmen?«

Wieder fing Knulp zu gehen an, er schwankte vor Müdigkeit und spürte doch nichts davon. Es war ihm viel wohler zumute geworden, und er nickte dankbar zu allem, was Gott ihm sagte.

»Sieh,« sprach Gott, »ich habe dich nicht anders brauchen können, als wie du bist, und ich habe dir den Stachel der Heimatlosigkeit und Wanderschaft mitgeben müssen, sonst wärest du irgendwo sitzen geblieben und hättest mir mein Spiel verdorben. In meinem Namen bist du gewandert und hast den seßhaften Leuten immer wieder ein wenig Heimweh nach Freiheit mitbringen müssen. In meinem Namen hast du Dummheiten gemacht und dich verspotten lassen; ich selber bin in dir verspottet und bin in dir geliebt worden. Du bist ja mein Kind und mein Bruder und ein Stück von mir, und du hast nichts gekostet und nichts gelitten, was ich nicht mit dir erlebt habe.«

»Ja,« sagte Knulp und nickte schwer mit dem Kopf. »Ja, es ist so, ich habe es eigentlich immer gewußt.«

Er lag ruhend im Schnee, und seine müden Glieder waren ganz leicht geworden, und seine entzündeten Augen lächelten.

Und als er sie schloß, um ein wenig zu schlafen, hörte er noch immer Gottes Stimme reden und sah noch immer in seine hellen Augen.

»Also ist nichts mehr zu klagen?« fragte Gottes Stimme.

»Nichts mehr,« nickte Knulp und lachte schüchtern.

»Und alles ist gut? Alles ist, wie es sein soll?«

»Ja,« nickte er, »es ist alles, wie es sein soll.«

Gottes Stimme wurde leiser und tönte bald wie die seiner Mutter, bald wie Henriettes Stimme, bald wie die gute, sanfte Stimme der Lisabeth.

»Dann bist du daheim,« sagte die Stimme. »Dann bist du daheim und bleibst bei mir.«

Als Knulp die Augen nochmals auftat, schien die Sonne und blendete so sehr, daß er schnell die Lider senken mußte. Er spürte den Schnee schwer auf seinen Händen liegen und wollte ihn abschütteln, aber der Wille zum Schlaf war schon stärker als jeder andere Wille in ihm geworden.

Ende