»Na schreib und frag«, schlug Hermann vor.
So schrieb ich eben einen kurzen Brief ohne lange hinterhältige Überredungskünste an Erich, Knut und Torstein:
»Reise demnächst auf Floß quer über Pazifik, um meine Theorie zu unterbauen, daß Südseeinseln von Peru aus bevölkert. Kommt ihr mit? Garantiere nichts außer freier Reise nach Peru und Südseeinseln und zurück, und daß eure technischen Kenntnisse dringendst benötigt. Bitte um sofortige Antwort.«
Folgendes Telegramm lief umgehend ein:
»Bin dabei. Torstein.«
Die anderen sagten ebenfalls zu.
Als sechsten Mann setzten wir einen um den anderen auf die Liste, aber immer kam etwas dazwischen. Währenddessen mußten Hermann und ich an das Proviantproblem herangehen. Wir hatten keinerlei Absicht, unterwegs altes Lamafleisch oder getrocknete Kumarakartoffeln zu schlucken, wir hatten ja auch nicht die Absicht zu beweisen, daß wir selbst einmal Indianer waren. Der Sinn unserer Fahrt war, die Qualität des Inkafloßes zu erproben, seine Seetüchtigkeit und Tragfähigkeit, und ob die Elemente es wirklich quer über das Meer nach Polynesien schaukeln würden und dabei Menschen an Bord ließen. Unsere eingeborenen Vorgänger konnten leicht von trockenem Fleisch und Fisch und von gedörrten Kumaras an Bord gelebt haben, da sie sich ja im wesentlichen von denselben Dingen auch an Land ernährten. Während der Reise selbst wollten wir weiterhin untersuchen, ob sie sich frischen Fisch und Regenwasser unterwegs auf dem Meer beschaffen konnten. Als eigene Diät hatte ich mir einfache Feldrationen gedacht, so wie sie uns vom Krieg her nur zu gut bekannt waren.
In diesen Tagen bekam unser Militärattache in Washington einen neuen Herrn zugewiesen. Ich hatte als nächster Untergebener in seiner Kompanie in Finnmarken Dienst gemacht und wußte, daß er ein Feuerkopf war, der mit unbändiger Energie alle Probleme zu Ende führte, die er sich gesetzt hatte. Björn Rörholt gehörte zu jenem vitalen Typ, der sich fehl am Platze fühlt, wenn er sich durch etwas durchgebissen hat und nicht sofort eine neue Aufgabe vor sich sieht, auf die er sich stürzen kann.
Brieflich weihte ich ihn in die Situation ein und bat ihn, all seinen Spürsinn einzusetzen, um einen Verbindungsmann zum Proviantverwalter der amerikanischen Armee ausfindig zu machen. Unsere Chance war, daß das Laboratorium mit einer neuen Feldverpflegung experimentierte, die wir vielleicht auf dieselbe Weise als Versuchskaninchen erproben konnten wie das neue Rettungsgerät der Luftwaffe.
Zwei Tage später rief uns Björn von Washington an. Er hatte Kontakt mit der »Auswärtigen Abteilung« des amerikanischen Kriegsdepartments bekommen. Dort wollte man gern Näheres wissen. Mit dem ersten Zug fuhren Hermann und ich nach Washington. Wir trafen Björn in seinem Zimmer in der Militärdelegation.
»Ich glaube, daß es gehen wird«, sagte er, »wenn wir bloß von unserem Oberst einen entsprechenden Brief bekommen, werden wir morgen im >Auswärtigen< empfangen.«
Der Oberst war Otto Munthe-Kaas, der norwegische Militärattache. Er war uns günstig gesinnt und gerne bereit, uns ein passendes Empfehlungsschreiben mitzugeben, als er hörte, worum es ging.
Als wir am nächsten Morgen uns den Brief abholen kamen, stand er plötzlich auf und meinte, am besten ginge er gleich selbst mit. In seinem
Auto fuhren wir hinaus zum Pentagon-Gebäude, dem größten Block der Welt, in dem das Kriegsdepartment seine Verwaltungsräume hat. Vorne saßen der Oberst und Björn in voller militärischer Gala, und dahinter saßen Hermann und ich. Wir sahen durch die Scheibe auf das mächtige Pentagonhaus, das vor uns aus dem Boden zu gigantischer Höhe emporschoß. Dieser Riesenbau mit dreißigtausend Angestellten und über fünfundzwanzig Kilometern Korridoren sollte den Rahmen für unsere bevorstehende Floßkonferenz mit den Militarchefs abgeben. Ich mußte mich selbst an der Nase zupfen. Niemals vorher noch nachher war mir und Hermann das winzige Floß so rettungslos nichtig erschienen. Nach endlosen Wanderungen in Korridoren und Seitenkorridoren kamen wir an die Tür der »Auswärtigen Abteilung«, und bald saßen wir, umgeben von glänzenden Uniformen, rund um einen großen Mahagonitisch, an dem der Abteilungschef selbst präsidierte.
Der wohlgebaute und kurz angebundene Offizier, dem man die Militärakademie Westpoint von weitem ansah, hatte zuerst gewisse Schwierigkeiten, den Zusammenhang zwischen dem Kriegsdepartment der USA und unserem Floß richtig zu begreifen, aber die wohlgesetzten Worte unseres Obersten und der günstige Ausfall der Erkundigen der Offiziere rund um uns (die sich wie ein Sturzbach über mich ergossen) brachten ihn langsam auf unsere Seite, und so las er mit wachsendem Interesse den Brief von der Versuchsstation der Luftwaffe. Dann erhob er sich, gab seinem Stab freie Hand, uns durch die richtigen Kanäle Hilfe zukommen zu lassen, und verließ, indem er uns für den weiteren Verlauf Glück wünschte, gewichtigen Schrittes den Raum.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, raunte mir ein junger Stabskapitän ins Ohr:
»Ich möchte schwören, Sie kriegen alles, was Sie wollen. Ein bißchen erinnert es doch an eine kleine militärische Operation. Sie glauben nicht, wie wir uns in dem täglichen Bürobetrieb seit dem Frieden nach einer kleinen Abwechslung sehnen! Und außerdem ist es ja wirklich eine prima Gelegenheit, die Ausrüstung planmäßig zu überprüfen.«
Die »Auswärtige Abteilung« arrangierte unverzüglich eine Audienz bei Oberst Lewis in der Versuchsstation des Generalquartiermeisteramtes, und Hermann und ich wurden gleich im Auto hinübergeschickt.
Oberst Lewis war ein gemütlicher Riese von einem Offizier, ein Sportsmann vom Scheitel bis zur Sohle. Unverzüglich rief er die Versuchsleiter der verschiedenen Abteilungen zusammen. Augenblicklich schlugen sie eine Menge von Ausrüstungsgegenständen vor, von denen sie gerne wollten, daß sie ausprobiert würden. Es überstieg unsere kühnsten Hoffnungen, was sie uns hier an irgend Denkbarem aufzählten, von Verpflegungsrationen bis zu Sonnencreme und wasserdichten Schlafsäcken. Sie schleppten uns gleich mit, damit wir einen Blick auf die Sachen tun könnten. Wir kosteten Spezialrationen in handlichen Packungen. Wir probierten Zündhölzer aus, die noch besser brannten, wenn man sie ins Wasser hielt, neumodische Primuskocher und Wassertanks, Gummisäcke und Spezialschuhe, Küchengerät und Klappmesser, kurz alles, was eine Expedition sich nur wünschen konnte.
Oben: Die Teilnehmer der „Kon-Tiki"-Expedition. Von links nach rechts: Knut Haug-land, Bengt Danielsson, der Verfasser, Erik Hesselberg, Torstein Raaby und Hermann Watzinger.
Unten: Die „Kon-Tiki" wird in Peru gebaut. Die Balsastämme werden mit Hanttauen zusammengebunden. Nicht ein Stück Metall wird dabei verwendet.
Ich warf Hermann einen Blick zu. Er sah so erwartungsvoll aus wie ein lieber kleiner Junge, der mit seiner reichen Tante durch ein Schokoladengeschäft geht. Der lange Oberst ging voran und zeigte die verschiedenen Herrlichkeiten, und als wir endlich durch waren, hatte das Stabspersonal bereits alles in Frage Kommende samt der benötigten Menge notiert. Ich hielt also die Schlacht bereits für glücklich gewonnen und verspürte in mir bloß den Drang, möglichst rasch das Hotel zu gewinnen, um mich dort lang zu machen, damit ich endlich in Frieden und Ruhe über den Stand der Dinge nachdenken konnte. Da sagte plötzlich der lange, freundliche Oberst:
»So, und jetzt müssen Sie zum Chef und mit ihm reden, denn er muß uns erlauben, daß wir Ihnen das alles ausfolgen können.«
Das Herz begann mir in die Hosen zu rutschen. Jetzt konnte ich also meinen Sermon wieder von vorn beginnen, und der Himmel allein mochte wissen, von welchem Typ der hiesige Boß war.