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Ein Viertel über fünf am nächsten Morgen rollte ein Jeep vor unseren Hoteleingang, und ein ecuadorischer Ingenieurkapitän sprang heraus ins Dunkel und meldete sich zu Diensten. Er hatte - Schlamm hin, Schlamm her - den Befehl, uns nach Quevedo zu fahren. Der Jeep war mit Benzinkannen vollgestopft, denn es gab kaum Radspuren, geschweige denn Tankstellen längs des ganzen Weges, den wir fahren wollten. Auf Grund der Meldungen über die Bandidos war unser neuer Freund, der Kapitän Agurto Alexis Alvarez, bis zu den Zähnen mit Dolchen und Schießeisen bewaffnet. Nun waren wir jedoch ganz friedfertig ins Land gekommen, in Jacke und Schlips, um für gutes Geld unten an der Küste Stämme zu kaufen, so daß unsere ganze Ausrüstung an Bord des Jeeps nur aus einem wasserdichten Kleidersack bestand, abgesehen davon, daß wir in aller Eile uns noch eine gebrauchte Kamera und jeder die unumgängliche Khakihose beschafft hatten. Darüber hinaus hatte uns dann der Generalkonsul noch seine schweren Parabellum Revolver angehängt samt reichlicher Munition, um alles auszurotten, was unseren Weg kreuzen sollte.

So sauste denn der Jeep los durch die menschenleeren, engen und winkligen Durchgänge, und das Mondlicht leuchtete spukhaft auf den weißgekalkten Adobewänden. Schließlich kamen wir aufs offene Land hinaus, wo wir in rasender Fahrt einen guten Sandweg nach Süden auf die Bergketten zu verfolgten.

Der Weg blieb gut über den ganzen Höhenzug bis zu dem Bergdorf Latakunga, wo sich auf einer mit Palmen bestandenen Ebene fensterlose Indianerhäuser wie blind um eine weißgekalkte Kirche scharten. Hier bogen wir in einen Saumpfad ein, der sich mit vielen Windungen nach Westen über Berg und Tal in die Andenketten hineinschlängelte. Wir kamen in eine Welt, die zu erleben wir uns nie hätten träumen lassen. Es war die ureigenste Welt der Bergindiander, ein Märchenland jenseits von Zeit und Raum. Auf der ganzen Fahrt sahen wir weder Wagen noch Rad. Bloßfüßige Hirten, die, in farbenreiche Ponchos gehüllt, verwirrte Herden von steifbeinigen, würdigen Lamas vor sich hertrieben, stellten den ganzen Verkehr dar. Manchmal kamen auch Indianer familienweise die Straße entlang. Der Mann ritt meist selbstherrlich auf einem Maultier voraus, während seine kleine Frau mit ihrer ganzen Sammlung von Hüten auf dem Kopf und dem Jüngsten der Familie auf dem Rücken hinterhertrippelte und dabei unterm Gehen noch mit flinken Fingern Wolle spann. Hinterdrein trotteten bedächtig Esel und Maultiere, beladen mit Flechtwerk, Binsen und Töpferwaren.

Je länger wir fuhren, desto weniger Indianer verstanden Spanisch, und bald waren Agurtos Sprachkenntnisse ebenso nutzlos wie unsere eigenen. Hie und da lag eine Schar von Hütten oben auf den Bergen. Nur noch selten waren sie aus Lehm gebaut und häufig und immer häufiger aus Büscheln von getrocknetem Gras zusammengesetzt. Es schien, als seien sowohl die Hütten als auch das braungebrannte, zerknitterte Volk, das sie bewohnte, derselben Erde entwachsen, dem kargen Andenboden, auf dem die Bergsonne glühte. Sie gehörten zu Erde und Fels, so natürlich wie die Pflanzen selbst. Arm an irdischen Gütern und klein von Wuchs, haben die Bergindianer die zähe Gesundheit des Wildes und den wachen Kindersinn der Naturmenschen. Je weniger sie mit uns sprechen konnten, desto fröhlicher lachten sie uns an. Strahlende Augen und schneeweiße Zähne leuchteten uns aus allen Gesichtern, die wir sahen, entgegen. Nichts erinnerte daran, daß ein weißer Mann in diesen Gegenden je Geld verloren oder verdient hatte. Hier gab es weder Reklameschilder noch Wegweiser, und wenn wir eine Blechbüchse oder einen Fetzen Papier an den Straßenrand warfen, so wurden sie gleich als brauchbares Hausgerät aufgesammelt.

Wir fuhren über sonnenverbrannte Hänge ohne Busch oder Baum und wieder hinunter in Täler mit Wüstensand und Kakteen, bis wir noch höher kletterten und schließlich den obersten Kamm erreichten. Schneefelder umgaben uns, und der Wind war so beißend kalt, daß wir, wollten wir nicht zu Eiszapfen erstarren, die Fahrt verlangsamen mußten. So saßen wir frierend in unseren Hemden und sehnten uns nach der Dschungelwärme. Aber wir mußten noch lange Strecken fahren, an den Kämmen entlang, über Steilhänge und Grasflecken, und immer wieder nach der nächsten Wegspur suchen. Als wir dann den Westabfall erreichten, wo die Andenkette unvermittelt hinab ins Tiefland stürzt, da war ein schmaler Saumpfad entlang der Abhänge in den brüchigen, lockeren Fels hineingeschlagen, und Schluchten und Abgründe umgaben uns allerorten. Wir setzten unser ganzes Vertrauen auf unseren Freund Agurto, der aussah, als würde er jeden Augenblick über dem Steuerrad einnicken. An allen Abgründen nahm er grundsätzlich die äußere Bahn. Plötzlich fuhr uns ein mächtiger Windstoß entgegen. Wir hatten den äußersten Höhenzug des Andenrückens erreicht, an dem der Fels in steilen Wänden abbricht, senkrecht hinunter in die Dschungeltiefe, die wir in einem bodenlosen Abgrund, viertausend Meter unter uns, ahnten. Aber wir wurden um den schwindelnden Ausblick über das Dschungelmeer betrogen, denn als wir den Abgrund erreichten, wälzten sich eben dicke Wolkenbänke herauf wie Dampf aus einem Hexenkessel. Dafür ging es nun ungehindert hinunter in die Tiefe, ständig bergab in steilen Kurven, an Schneiden und Graten entlang. Dabei wurde die Luft feuchter und wärmer und sättigte sich immer mehr mit dem schweren und erschlaffenden Treibhausdunst aus der Dschungelwelt da unten.

Dann begann der Regen, zuerst langsam, aber bald stürzte er nur so herunter und schlug mit Trommelschlagen auf den Jeep. Das Schokoladewasser rann bald rund um uns auf allen Seiten den Abhang hinunter. Wir flossen förmlich mit hinab. Von den trockenen und kahlen Bergflanken hinter uns kamen wir in eine andere Welt, wo Stock und Stein und Lehmwände überquollen von Moos und grünen Pflanzen. Blätter schossen nur so in die Luft. Bald wurden sie zu mächtigen Riesenfächern, die wie grüne Regenschirme tropfnaß über den Berg hinaushingen. Dann kamen die ersten gebrechlichen Vorposten des Dschungels, behängt mit schweren Moosfransen, Bärten und Schlingpflanzen. Und über alles gluckste und rauschte es dahin. Wegspuren waren kaum noch zu sehen. Eine Armee von grünen Riesengewächsen wälzte sich uns entgegen und verschluckte den winzigen Jeep, der nur mehr langsam auf dem schlammerfüllten Weg weiterplatschte. Jetzt waren wir im Dschungel, und die Luft war beklemmend und gesättigt mit Pflanzenduft.

Als die Dunkelheit einbrach, erreichten wir eine Gruppe von palmengedeckten Hütten. Klatschnaß vom warmen Wasser, versorgten wir den Jeep unter einem trockenen Dach. Was unsere armen Körper in der Nacht an stechenden Schmarotzern sammelten, ertrank erfreulicher weise am nächsten Tag wieder im Regen. Den Jeep mit Bananen und Südfrüchten beladen, ging es weiter durch den Dschungel, tiefer und tiefer hinunter, unserer Meinung zum Trotz, daß wir schon längst am Grunde der Tiefe sein mußten. Der Schlamm wurde immer arger, aber das bekümmerte uns nicht, und die Räuber hielten sich in unbekanntem Abstand.

Erst als der Weg durch einen breiten Fluß versperrt war, der sein lehmiges Wasser durch den Dschungel walzte, mußte der Jeep kapitulieren. Hier saßen wir nun fest und konnten nach keiner Richtung am Strombett entlangfahren. Auf einer Rodung fanden wir schließlich eine Hütte, an deren Sonnenseite soeben einige Halbblutindianer ein Jaguarfell ausspannten. Daneben taten sich Hunde und Hühner an Kakaobohnen gütlich, die zum Trocknen ausgebreitet waren. Als der Jeep herankroch, kam Leben ins Bild. Alles lief zusammen, und ein paar Leute, die Spanisch sprachen, erklärten uns, daß wir am Palenque-Fluß standen, und daß Quevedo gleich auf der anderen Seite lag. Es gab keine Brücke hier, und der Wasserlauf war reißend und tief. Die Indianer aber waren gerne bereit, uns und den Jeep auf einem Floß überzusetzen. Am Ufer drunten lag das Weltwunder. Armdicke Stämme waren mit Bambus und Pflanzenfasern zu einer Art Floß zusammengebunden, doppelt so lang und so breit wie unser Jeep. Eine Planke unter jedem Rad, und mit angehaltenem Atem fuhren wir den Jeep hinaus auf das Balkenwerk. Wenngleich die meisten Balken im Schlammwasser untertauchten, so trugen sie dennoch den Jeep und uns und noch vier halbnackte Schokoladenmänner, die uns mit langen Stangen hinausstakten.