»Ein Kongo«, erklärte Don Federico bedauernd, »das kleine Schwein ist schlimmer als ein Skorpion, aber nicht gefährlich für einen gesunden Mann.«
Hermann war einige Tage lang mürb und steif. Aber er konnte doch mit uns auf Jagd nach weiteren Balsariesen zu Pferd die Dschungelwege entlanggaloppieren. Ab und zu hörten wir Knacken und Brechen, ein dumpfes Dröhnen weiter drinnen im Urwald. Don Federico nickte zufrieden. Das waren seine Halbblutindianer, die einen neuen Balsariesen für das Floß gefällt hatten. Und in einer Woche waren »Ku« die Bäume »Kane«, »Kama«, »Ilo«, »Mauri«, »Ra«, »Rangi«, »Papa«, »Taranga«, »Kura«, »Kukara« und »Hiti« nachgefolgt, zusammen zwölf mächtige Balsariesen, alle getauft zu Ehren der polynesischen Sagenfiguren, deren Namen einmal mit Tiki von Peru übers Meer gebracht worden waren. Saftglänzend wurden die Stämme durch den Dschungel gezogen, zuerst von Pferden und das letzte Stück von Don Gustavos Traktor, der sie bis an die Uferböschung vor dem Bungalow brachte.
So voller Saft waren die Stämme keineswegs leicht wie Kork. Jeder wog sicher eine Tonne, und wir erwarteten mit großer Spannung, wie sie im Wasser schwimmen würden. Wir rollten sie einzeln an die Kante der Böschung, wo wir Seile aus zähen Schlingpflanzen an ihre Ende banden, damit sie uns nicht mit dem Strom davontrieben, wenn wir sie hinunterkippten. Einen nach dem anderen rollten wir sie dann über die Böschung hinab und in den Fluß hinein, so daß große Schlammfontänen in die Höhe schössen. Sie wälzten sich herum. Als sie sich beruhigt hatten, lagen sie etwa zur Hälfte über der Wasserfläche und rührten sich auch nicht mehr, als wir hinausbalancierten. Mit zähen Lianen, wie sie von den Kronen der Dschungelbäume herabhingen, banden wir die Stämme zu zwei mittelgroßen Flößen zusammen, so daß das eine im Schlepp hinter dem anderen hing. Wir beluden sie mit dem, was wir später an Bambus und Lianen brauchen würden, und dann gingen Hermann und ich an Bord, zusammen mit zwei Männern einer geheimnisvollen Mischrasse, mit denen wir leider keinerlei Sprache gemeinsam hatten.
Als wir die Vertäuungen kappten, wurden wir von den wirbelnden Wassermassen erfaßt und zogen in rascher Fahrt den Fluß hinunter. Das letzte, was wir im Duschregen sahen, bevor wir die erste Kurve rundeten, waren unsere prächtigen Freunde, die noch weit draußen auf der Landzunge vor dem Bungalow standen. Dann krochen wir unter ein kleines Regendach von frischen Bananenblättern und überließen die Probleme der Steuerung unseren braunen Experten, deren einer sich vorne, der andere hinten aufgebaut hatte. Mit ihren gewaltigen Rudern beherrschten sie das Floß mit spielender Leichtigkeit, auch in der reißendsten Strömung. So tanzten wir zwischen versunkenen Bäumen und Sandbänken in eleganten Kurven hinunter.
Wie eine geschlossene Mauer stand der Dschungel auf beiden Seiten die Ufer entlang, und Papageien und farbenreiche Vögel schreckten aus dem dichten Laubwerk auf, wenn wir vorbeizogen. Ein paarmal warf sich ein Alligator in den Fluß und verschwand im Schlammwasser. Aber bald bekamen wir noch ein viel merkwürdigeres Ungetüm zu Gesicht. Es war dies eine Rieseneidechse, eine Iguana, groß wie ein Krokodil, mit schwerem Kehlsack und ausgezacktem Rücken. Es lag und döste auf der Schlammbank, als hätte es sich aus prähistorischer Zeit verschlafen, und rührte sich nicht, als wir vorbeiglitten. Die Ruderer machten uns Zeichen, nicht zu schießen. Kurz darauf sahen wir ein kleineres Exemplar, immer noch meterlang. Es kroch einen dicken Ast entlang, der über den Fluß hinaushing. Dort droben lag es in Sicherheit, glänzend blau und grün, und fixierte uns mit kalten Schlangenaugen, als wir vorbeitrieben. Später kamen wir an einem dicht mit Farnkraut überwachsenen Felsen vorüber, und auf der Spitze lag das größte von allen. Wie die Silhouette eines zackigen chinesischen Drachen, phantastisch in Stein gehauen, Brust und Schädel erhoben, zeichnete es sich unbeweglich gegen den Himmel ab. Es bewegte nicht einmal den Kopf, während wir den Felsen rundeten und wieder im Dschungel verschwanden.
Später rochen wir Rauch und glitten an mehreren strohgedeckten Hütten vorüber, die in den Rodungen längs des Flusses lagen. Wir auf dem Floß waren der Gegenstand intensiver Aufmerksamkeit seitens der verdächtigen Individuen an Land, einer ganz unangenehmen Mischung von Indianern, Negern und Spaniern. Ihre Fahrzeuge waren Einbäume, die hochgezogen am trockenen Strand lagen.
Zu den Mahlzeiten lösten wir unsere Freunde am Steuerruder ab. Über einem kleinen Feuer, von nassem Lehm gebändigt, brieten sie Fisch und Brotfrucht. Gebratenes Huhn, Eier und Südfrüchte waren ein anderer Teil des Menüs an Bord.
Und unablässig trugen die Stämme sich und uns in einem rasenden Tempo durch den Dschungel stromab auf dem Weg zum Meer. Was schadeten uns Schlamm und Überschwemmung, je höher der Fluß, desto rascher die Fahrt!
Als die Dunkelheit hereinbrach, begann ein beunruhigendes Konzert an den Ufern. Kröten und Frösche, Zikaden, Sirissen und Moskitos quakten, pfiffen und summten in einem anhaltenden und vielstimmigen Chor. Manchmal schnitt der Schrei einer Wildkatze durch das Dunkel, oft kreischten Vögel, die die nächtlichen Räuber des Dschungels aufgescheucht hatten. Seltener sahen wir den Feuerschein aus einer Eingeborenenhütte und hörten Geschrei und Hundegebell, während wir im nächtlichen Dunkel vorbeiglitten. Meist aber saßen wir allein mit dem Dschungelorchester unter den Sternen, bis uns Schlaf und Regen in die Blätterhütte trieben, wo wir einschliefen, die Pistolen griffbereit.
Je weiter wir den Fluß hinabkamen, desto dichter wurden die Hütten und Plantagen der Eingeborenen. Bald säumten ganze Dörfer das Ufer. Der Verkehr wurde auch hier von Einbäumen besorgt, die man mit langen Stangen vorwärtstrieb. Hie und da trafen wir ein kleines Balsafloß, beladen mit Bergen grüner Bananen.
Wo der Palenque-Fluß in den Rio Guayas mündet, war der Wasserstand so hoch geworden, daß eine lebhafte Schiffsverbindung mit Raddampfern zwischen Vinces und Guayaquil unten an der Küste bestand. Um Zeit zu sparen, verlegten Hermann und ich unsere Hängematte auf das Schiff, und so dampften wir durch das dicht besiedelte Tiefland an die Küste. Unsere braunen Freunde trieben allein mit dem Floß hinterher.
In Guayaquil mußten wir uns trennen. Hermann blieb an der Mündung des Guaya-Flusses zurück, um die Balsastämme in Empfang zu nehmen. Von hier sollte er sie mit dem Küstenschiff weiter nach Peru verfrachten und dort den Bau des Floßes leiten, das eine getreue Kopie von den alten Fahrzeugen der Indianer werden mußte. Ich selbst nahm das Postflugzeug nach Süden, Richtung Lima, der Hauptstadt von Peru, um einen passenden Bauplatz für das Floß ausfindig zu machen.
Der Flug führte mich in großer Höhe an der Küste des Stillen Ozeans entlang. Auf der einen Seite hatte ich die Felswüsten Perus, auf der anderen das blinkende Weltmeer. Von hier aus sollten wir mit dem Floß starten. Das Meer war schier endlos, wenn man es vom Flugzeug betrachtete. Längs einer unbestimmbaren Kontur verschmolzen Himmel und Meer weit drunten im Westen. Ich konnte mich nicht von dem Gedanken frei machen, daß selbst hinter dem Horizont noch Hunderte solcher Meeresflächen sich ausdehnten über ein Fünftel der Erdfläche hinweg, bis es wieder Land gab - in Polynesien. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wir in wenigen Wochen auf der winzigen Fläche eines Floßes geradewegs in das Blau da drunten hineintreiben würden.
Aber rasch schlug ich mir den Gedanken aus dem Kopf. Ich hatte dasselbe unangenehme Gefühl im Magen, das einen ergreift, der bereit sitzt, im Fallschirm auszusteigen.
Von Lima brachte mich der Zug nach Callao hinüber, der Hafenstadt, in der wir das Floß zu bauen gedachten. Man sah auf den ersten Blick, daß der ganze Hafen mit Schiffen, Kränen, Warenschuppen, Zollbuden und Hafenkontoren und allem, was sonst drum und dran hängt, vollgestopft war. Weiter draußen aber, am offenen Strand, wimmelte es von Badeleben. Wir hätten dem Floß und der Ausrüstung nicht einmal den Rücken zuwenden können, da hätten uns die Neugierigen schon Stück für Stück davongetragen. Die Zeiten hatten sich in Peru für Floßbaumeister noch stärker als in Ecuador verändert. Callao ist heute der wichtigste Hafen in einem Land mit sieben Millionen weißer und brauner Landeskinder. So sah ich nur eine einzige Möglichkeit vor mir: hinter die himmelhohen Betonmauern des Marinehafens zu gelangen, wo Seesoldaten an den Eisentoren Wache hielten und mit beängstigendem Mißtrauen mich wie jeden anderen Unwillkommenen beäugten, der außen an den Mauern vorbeistrolchte. Konnte man da hineingelangen, dann war man endlich in einem sicheren Hafen.