Dr. H. Lavachery, der einzige Berufsarchäologe, der die Osterinsel besucht hatte, gab zu, keinerlei Ausgrabungen vorgenommen zu haben, da der Boden unfruchtbar und eine Besiedlung erst zu späterer Zeit denkbar gewesen sei.
Von 1955 bis 1956 charterte ich ein Expeditionsschiff, um ein Jahr lang die Osterinsel und das östliche Polynesien zu erforschen. In unserem Team waren fünf Berufsarchäologen: A. Skjölsvold (Norwegen), E. N. Ferdon, W. Mulloy, C. S. Smith (USA) und G. Figueroa (Chile). Die Ausgrabungen brachten zutage, daß die berühmten »Riesenköpfe« bis zum Hals eingegrabene Statuen waren, deren riesige Körper und Arme noch unter der Erde lagen. Ein Eingeborenen-Stamm auf der Insel, der behauptete, von den Herstellern dieser Statuen abzustammen, demonstrierte uns sehr anschaulich, wie die riesigen Steinfiguren aus Bruchstein gehauen, transportiert und letztlich aufgestellt worden waren. Die Archäologen entdeckten bisher unbekannte Typen von Statuen und Steinhäusern, die den Prototypen aus der Vor-Inka-Zeit in Südamerika ähnelten, und die Radiokarbon-Untersuchung ergab, daß die Insel mindestens 1000 Jahre früher als bisher angenommen bewohnt gewesen war.
Ein Wendepunkt der immer noch andauernden hitzigen Diskussionen trat 1961 ein, als rund 3000, mit den spezifischen Problemen des Stillen Ozeans beschäftigten Wissenschaftler sich zum 10. Kongreß der »Pacific Science« in Honolulu versammelten. Die Ergebnisse unserer Galapagos-und Osterinsel-Expeditionen wurden in Seminaren über Archäologie, physiologische Anthropologie, Botanik und auf einem speziellen Symposium der Galapagos-Gruppe besprochen. Eine Resolution wurde einstimmig angenommen und in dem Kongreßbericht veröffentlicht, der bestätigte, daß »Südostasien mit den angrenzenden Inseln und Südamerika die wichtigsten Ausgangspunkte für die Erforschung der pazifischen Inselvölker und deren Kultur sind«.
Es folgte, an allen Fronten, eine Periode fanatischer Kämpfe, die gelegentlich in scharfe Angriffe ausarteten. Kein Sturm auf See kann einem Mann mehr zusetzen als die Angriffe eines Haufens international anerkannter Autoritäten. Die einzige Waffe gegen solch einen Sturm von Beschuldigungen, die des öfteren sowohl persönlich als auch unfair waren, ist die ehrliche Überzeugung, das Recht auf seiner Seite zu haben. Und doch sind es ja gerade Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen, die die Wissenschaft vorantreiben. Kritikloses Einverständnis und schnelle Billigung regen kaum zu Experimenten und Fortschritt an. Zu dieser Zeit ermöglichten mir Einladungen von Universitäten und wissenschaftlichen Akademien, meinen Standpunkt ohne Vorbehalt vorzutragen und zu verteidigen. Die heftigsten Angriffe kamen von Wissenschaftlern aus den Ländern, in denen die Öffentlichkeit größtes Interesse an der Kontroverse gezeigt hatte: mein Heimatland Norwegen, England, die USA, die UdSSR und Mexiko. Durch diese Länder habe ich später reichlich Anerkennung erfahren. Ehrenprofessuren und Doktorate, wissenschaftliche Auszeichnungen und die Mitgliedschaft an den Akademien der Wissenschaften von New York bis Moskau waren ein Zeichen dafür, daß der Wind sich gedreht hatte.
Auf dem 10. Kongreß der »Pacific Science« wurde die Verantwortung für weitere archäologische Forschungsarbeiten im südöstlichen Polynesien dem Kon-Tiki-Museum übertragen, mit Zuschüssen aus Einnahmen durch eine wachsende - zahlende - Besucherzahl. Ich fühlte mich jetzt frei, mich ozeanischen Forschungen der anderen Seite Amerikas zu widmen. Die Passatwinde und Strömungen des tropischen Atlantiks verliefen ständig von Afrika nach Amerika mit demselben Kurs und derselben Stärke wie von der Pazifikseite Amerikas in Richtung Polynesien. Mit Holzplanken verkleidete Schiffe waren vor Kolumbus' Ankunft in Amerika unbekannt. Schilfboote jedoch waren typisch für die großen vorkolumbianischen Zivilisationen auf beiden Seiten des Atlantiks. Auf der Osterinsel hatten wir in den Rümpfen der Statuen eingeritzte Abbildungen von kleinen Schilfbooten gefunden, wie sie von den Insulanern noch immer gebaut wurden und die denen aus der frühen Inka-Zeit glichen. Diese wiederum ähnelten in erstaunlicher Weise den ältesten Schiffstypen der Entdecker der großen Zivilisationen der Alten Welt in Ägypten, Mesopotamien und am Indus. Ebenso wie von den Balsaflößen nahm man auch von den Schilfbooten an, daß diese nicht wasserdicht seien und sinken würden. 1970 gelang es sieben Wissenschaftlern aus sieben Nationen, von Marokko nach Barbados in Amerika zu segeln; es war unser zweiter Versuch, den Atlantik in einem Papyros-Schilfboot - wie es die alten Ägypter benutzt hatten - zu überqueren. 1977 und 1978 segelten elf Männer aus verschiedenen Nationen fünf Monate lang auf einem Schilfboot sumerischen Typs von Irak nach Oman, zum Indus und nach Afrika. Mit Mannschaften, die mit Schilfbooten und Balsaflößen ebenso wenig vertraut waren wie ich selbst, war es möglich gewesen, in der kurzen Zeit eines Menschenlebens, von Mesopotamien zum Indus, von Asien nach Afrika, von Afrika nach Amerika und von Amerika aus zweimal zur Osterinsel zu segeln. Warum sollte den mutigen Erbauern dieser seetüchtigen Segelboote, innerhalb mehrerer Jahrhunderte, in denen sie Pyramiden erbaut hatten, nicht dasselbe gelungen sein?
Anders als Pyramiden, sinken oder verrotten alte Boote. Mit unseren Ozeanüberquerungen hatten wir bewiesen, daß vorgeschichtliche Seefahrt möglich gewesen war, wenn auch die alten Spuren verwischt waren. Es gab immer noch Stimmen, die behaupteten, daß, auch wenn die Seetüchtigkeit der Wasserfahrzeuge bewiesen worden war, voreuropäische Seefahrer doch wohl vorgezogen hatten, nur in Sichtweite des Festlandes zu segeln.
Der Gegenbeweis wurde 1982 erbracht, als ich zum ersten Mal auf Entdeckungsreise zu den kleinen Malediveninseln, weit draußen im Indischen Ozean, kam. Während der letzten zehn Jahre wurde dieser Archipel vom Flug-Massentourismus überfallen, und da er so weit entfernt von jedem Festland liegt, konnte niemand ahnen, daß er ein archäologisches Paradies sei.
Die Geschichte der Malediven begann im Jahre 1153 mit der Ankunft moslemischer Araber, über drei Jahrhunderte vor Kolumbus' Zeiten. Jede Art von menschlichen Abbildungen war bei den moslemischen Arabern streng verboten. Ich wurde gebeten, mir eine große Steinstatue mit langen, aus der Erde hervorragenden Ohren, anzusehen, die ein paar Insulaner gefunden hatten. Ich eilte zu der Stelle, wo religiöse Fanatiker bereits alles - außer den Kopf - verwüstet hatten. Es war ein großer, schöner Buddha-Kopf. Die Buddhisten waren also schon vor den Arabern hier gewesen. Mit meinem Freund Skjölsvold und anderen Archäologen der Osloer Universität begann ich nun, diese Ozeaninseln zu erforschen. Wir fanden einen steinernen Kopf des rüsselnäsigen Wassergottes Makara, und die Insulaner selbst gruben Statuen aus, die die grinsende indische Teufelsgöttin Shiva, mit langen Ohren und aus dem Mund herausgestreckter Zunge und Raubtierzähnen, darstellten. Die Hindus waren hier also noch früher als die prähistorischen Buddhisten gewesen. Auf Gaaf-Gan, einer unbewohnten Dschungelinsel, genau auf der Höhe des Äquators gelegen, fanden wir einen quadratischen Pyramidentempel, der noch neun Meter aus der Erde herausragte. Er war von vorgeschichtlichen Sonnenanbetern errichtet worden und von allen vier Seiten von Rampen umgeben, die reichlich mit Sonnensymbolen geschmückt waren. Der Tempel war astronomisch exakt nach der Sonne ausgerichtet. Das Dekor enthielt Löwenskulpturen und das Relief eines Ochsen. Einen konkreteren Beweis für vorgeschichtliche Seefahrt hätten wir uns nicht wünschen können.
Die Kon-Tiki-Expedition hatte mir offenbart, was der Ozean wirklich ist. Er ist eine verbindende und keine trennende Macht. Der Ozean war des Menschen erster Verbindungsweg von den Tagen an, als es ihm gelungen war, die ersten Schiffe zu bauen - lange bevor er Pferde zähmte, Räder erfand und Wege durch den Dschungel schlug.
Thor Heyerdahl