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Das waren harte Argumente, gegen die wir taub bleiben mußten. Es hätte genügt, daß eines zutraf, damit uns keine Chancen blieben. Ich fürchte, daß ich mich selbst oft gefragt habe, ob wir wußten, was wir taten. Ich konnte selbst nicht den einzelnen Warnungen begegnen, weil ich kein Seemann war, aber im Hintergrund hatte ich jenen einzigen Trumpf, auf den die ganze Reise aufgebaut war. Mir stand jedoch die ganze Zeit vor Augen, daß eine prähistorische Kultur von Peru hinüber zu den Inseln in einer Zeit verbreitet wurde, als solche Flöße die einzigen Fahrzeuge an dieser Küste waren. Ich schloß daher ganz allgemein, wenn das Balsaholz im Jahre 500 n. Chr. für Kon-Tiki geschwommen war und die Zurrungen gehalten hatten, daß sie dasselbe auch für uns machen würden, wenn wir nur blindlings das Floß ähnlich genug herstellten. Bengt und Hermann hatten sich gründlich in die Theorie eingearbeitet, und während sich die Experten Sorgen machten, nahmen es alle unsere Jungens mit größter Seelenruhe und unterhielten sich königlich in Lima. Nur ein einziges Mal nahm mich Torstein besorgt zur Seite: ob ich auch ganz sicher wäre, daß die Meeresströmung den richtigen Weg einhielt. Wir waren nämlich im Kino gewesen und hatten Dorothy Lamour im Strohröckchen unter Palmen und Hula-Mädchen auf einer entzückenden Südseeinsel herumtanzen gesehen.

»Dort wollen wir hin!« sagt Torstein, »Gnade dir, wenn die Strömung nicht so läuft, wie du gesagt hast!«

Als sich der Tag der Abreise näherte, begaben wir uns zu der üblichen Paßkontrolle, um die Ausreiseerlaubnis zu bekommen. Bengt als Dolmetscher stand als erster in der Schlange.

»Wie heißen Sie?« fragte ein kleiner, eifriger Beamter und schielte mißtrauisch über die Brillengläser auf Bengts mächtigen Bart.

»Bengt Emmerich Danielsson«, antwortete Bengt andächtig.

Der Mann spannte ein langes Formular in die Schreibmaschine.

»Mit welchem Schiff kamen Sie nach Peru?«

»Ja, sehen Sie«, sagte Bengt erklärend und beugte sich über den kleinen, erschreckten Mann, »ich kam nicht im Schiff, ich kam in einem Kanu nach Peru.«

Der Mann sah stumm vor Verwunderung auf Bengt und klapperte »Kanu« in eine der offenen Rubriken.

»Und mit welchem Schiff wollen Sie Peru verlassen?«

»Ja, sehen Sie mal«, sagte Bengt höflich, »ich möchte Peru nicht mit einem Schiff verlassen, sondern mit einem Floß.«

»Was denn nicht noch alles!« rief der Beamte erbost und riß das Papier aus der Maschine. »Ich muß schon sehr bitten um eine anständige Antwort auf meine Frage!«

Ein paar Tage vor der Abreise wurden Proviant, Wasser und unsere gesamte Ausrüstung an Bord des Floßes verstaut. Wir nahmen ausreichend Proviant für sechs Mann und vier Monate, und zwar in Form von kleinen soliden Pappkartons mit Militärrationen. Hermann hatte die Idee, Asphalt zu kochen und in einer gleichmäßigen Lage rund um jede einzelne Schachtel zu gießen. Dann streuten wir Sand darauf, daß die Kartons nicht aneinanderkleben konnten, und verstauten sie unter dem Bambusdeck, wo sie den Zwischenraum zwischen den neun niedrigen Querstämmen, die das Deck trugen, ausfüllten.

In einer kristallklaren Quelle hoch oben auf dem Berg füllten wir 56 kleine Wasserkannen mit zusammen 1100 Litern Trinkwasser, die wir auch zwischen den Querstämmen festzurrten, so daß die See sie ständig umspülen konnte. Auf dem Bambusdeck banden wir den Rest unserer Ausrüstung fest. Hier standen ebenfalls große, geflochtene Körbe voll von Obst und Kokosnüssen.

In der Bambushütte bekamen Knut und Torstein eine Ecke zugewiesen, um hier das Radiogerät zu montieren, und unten zwischen den Querstämmen banden wir acht Holzkisten fest. Zwei wurden für wissenschaftliche Instrumente und Filme beschlagnahmt, die übrigen sechs wurden verteilt, eine für jeden Mann, mit dem Bescheid, daß jeder so viel von seinen privaten Besitztümern mitnehmen konnte, als er in seiner eigenen Kiste unterbringen würde. Da Erich einige Rollen Zeichenpapier und eine Gitarre mitbrachte, wurde seine Kiste so voll, daß er seine Strümpfe nebenan bei Torstein einquartieren mußte. Dann kamen vier Marinesoldaten, die Bengts Kiste schleppten. Er hatte keine anderen Besitztümer als Bücher. Aber es war ihm geglückt, dreiundsiebzig soziologische und ethnologische Werke zu verstauen. Über die Kisten legten wir geflochtene Binsenmatten und jeder seinen Strohsack, und damit waren wir klar zum Start.

Das Floß wurde zuerst aus dem Marinegelände gezogen und ein wenig im Hafen herumgerudert, damit man sah, ob die Last gleichmäßig verteilt war. Dann wurde es zum Jachtclub von Callao hinübergeschleppt, wo geladene Gäste und andere Interessenten am Tag vor der Abreise der Taufe des Floßes beiwohnen durften.

Am 27. April wurde die norwegische Flagge gehißt, und längs einer Rah in der Mastspitze wehten die Flaggen der fremden Länder, die der Expedition tatkräftige Unterstützung erwiesen hatten. Der Kai wurde schwarz von Menschen, die die Taufe des wunderlichen Fahrzeugs sehen wollten. Gesichtsfarbe und -form brachten in Erinnerung, daß viele von denen, die da standen, Nachkommen derer waren, die einst hier die Küste auf Balsaflößen entlanggesegelt waren, aber es gab auch Abkömmlinge der alten Spanier, vor allem unter den Repräsentanten der Marine und der hohen Regierungsstellen. Außerdem waren erschienen: die Gesandten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Chinas, Argentiniens und Cubas, der Exgouverneur der britischen Pazifikkolonien, die Vertreter von Schweden und Belgien und unsere Freunde von der kleinen norwegischen Kolonie mit ihrem Generalkonsul Bahr. Es wimmelte von Presseleuten, die Filmkameras schnurrten, und es fehlten nur Hörnerklang und Trommelwirbel.

Eines war uns Beteiligten allen klar: Wenn das Floß sich vor der Bucht in seine Bestandteile auflöste, so wollten wir lieber jeder auf seinem Balken nach Polynesien paddeln, bevor wir hierher zurückkehrten!

Gerd Vold, Sekretärin der Expedition und Verbindungsglied zum Festland, sollte das Floß mit der Milch einer Kokosnuß taufen, teils um im Stile der Steinzeit zu verbleiben, teils aber auch, weil der Champagner durch ein Mißverständis am Boden von Torsteins Privatkiste gelandet war. Nachdem unsere Freunde auf englisch und spanisch zu wissen bekommen hatten, daß das Floß seinen Namen zur Erinnerung an den mächtigen Vorgänger der Inkas erhielt, jenen Sonnenkönig, der vor eineinhalb Jahrtausenden von Peru über das Meer nach Westen entschwand und in Polynesien wieder auftauchte, wurde das Floß von Gerd Vold »Kon-Tiki« getauft. Sie klatschte die (angespaltene) Kokosnuß so hart gegen den Stamm am Bug, daß die Milch und die Nußkerne allen in die Haare spritzten, die andächtig rundherum standen.

Dann wurde die Bambusrah gehißt, und das Segel entfaltete sich. Mitten darauf prangte groß und rot Kon-Tikis bärtiges Antlitz, eine Schöpfung von Kunstmaler Erich. Es war eine getreue Kopie vom Kopf des Sonnenkönigs, der in rotem Stein in einen Pfeiler oben in der Ruinenstadt Tiahuanaco eingemeißelt war.

»Ah, Senor Danielsson!« rief unser Vorarbeiter überwältigt, als er die bärtige Figur auf dem Segel sah.

Zwei Monate lang hatte er Bengt mit »Senor Kon-Tiki« tituliert, nachdem wir ihm das bärtige Gesicht auf einem Blatt Papier gezeigt hatten. Aber jetzt war ihm endlich eingegangen, daß »Danielsson« Bengts richtiger Name war.