Bevor wir fuhren, waren wir alle in Abschiedsaudienz beim Präsidenten. Dann machten wir noch einen Ausflug weit hinauf in den schwarzen Fels, um uns an Steinen und Abhängen zu sättigen, ehe wir unsere Reise hinaus auf den Ozean begannen. Solange wir am Floß unten an der Küste gearbeitet hatten, wohnten wir in einer Pension in einem Palmenhain vor Lima und fuhren von da hin und zurück im Auto des Luftfahrtministeriums mit einem Privatchauffeur, den Gerd für die Expedition glücklich »geliehen« bekommen hatte.
Nun baten wir den Chauffeur, uns an die Felsen heranzufahren und so weit hinein in die Berge zu bringen, als er in einem Tag schaffen konnte. So fuhren wir die Wüstenstraßen empor, an den alten Bewässerungskanälen der Inkazeit entlang, bis wir in die schwindelnde Höhe von 4000 Metern über dem Mast des Floßes kamen. Hier verzehrten wir förmlich Stein und Bergformen und grünes Gras mit den Augen und versuchten, uns an dem schönen Bergmassiv, in der Andenkette, das vor uns lag, zu überessen. Wir bildeten uns ein, daß wir des Steins und festen Grundes überdrüssig waren, so wollten wir denn hinaus und das Meer kennenlernen.
4. Über den Stillen Ozean
Dramatischer Start. Wir werden auf See geschleppt. Der Wind frischt auf. Kampf mit den Wogen. Das Leben im Humboldtstrom. Das Flugzeug findet uns nicht. Die Stämme ziehen Wasser. Holzwerk Kontra Tauwerk. Fliegende Fischgerichte. Ein rarer Schlafgenuß. Der Schlangenfisch vergreift sich. Inseln im Meer. Meeresspuk. Begegnung mit dem größten Fisch der Welt. Jagd auf Seeschildkröten.
An dem Tag, an dem die »Kon-Tiki« auf See geschleppt werden sollte, herrschte emsiges Leben und Treiben im Hafen von Callao. Minister Nieto hatte den Marineschlepper »Guardian Rio« beordert, uns aus der Bucht zu ziehen und aus dem Küstenverkehr zu lösen, bis in die Gewässer hinaus, wo die Indianer einst mit ihren Flößen gefischt hatten. Die Tageszeitungen brachten die Neuigkeit in roten und schwarzen Schlagzeilen, und das Volk lief schon früh in den Morgenstunden des 28. April auf den Kais zusammen.
Wir sechs, die wir zusammen an Bord gehen sollten, hatten alle unsere kleinen Anliegen in elfter Stunde zu erledigen, und als ich an den Kai herunterkam, war bloß Hermann als Wache auf dem Floß zur Stelle. Absichtlich ließ ich das Auto schon lange vorher halten und schritt die ganze lange Mole aus, um mir die Beine noch einmal ordentlich zu vertreten, das letzte Mal für unbekannte Zeit. Dann sprang ich an Bord des Floßes. Hier sah es schlankweg chaotisch aus. Bananenbüschel, Fruchtkörbe und Säcke hatte man in allerletzter Stunde an Bord geworfen. Sie mußten noch verstaut und vertäut werden, sobald wir uns einigermaßen an Bord eingerichtet hatten. Mittendrauf auf dem wüsten Haufen saß Hermann ergeben und hielt einen Käfig mit einem grünen Papagei, der letzten Abschiedsgabe einer freundlichen Seele in Lima, auf den Knien.
»Paß einen Augenblick auf den Papagei auf«, sagte Hermann, »ich muß noch auf einen Sprung an Land auf ein Glas Bier, es dauert sicher noch ein paar Stunden, bis der Schlepper kommt.«
Kaum war er in dem Gewimmel am Kai verschwunden, als die Leute zu zeigen und zu winken begannen, und um die Ecke kam er denn mit Volldampf, unser Schlepper »Guardian Rio«. Er warf Anker vor dem wiegenden Meer von Masten, das den Weg zur »Kon-Tiki« versperrte, und schickte ein dickes Motorboot herein, um uns zwischen den Segelbooten hindurchzubugsieren. Dieses war gestopft voll von Marinesoldaten, Offizieren und Filmfotografen, und während die Kommandorufe dröhnten und die Kameras schnurrten, wurde ein starkes Tauende am Bug unseres Floßes befestigt.
»Un momento«, rief ich verzweifelt, der ich dasaß mit meinem Papagei,
»es ist zu früh, wir müssen auf die anderen warten, los expedicionarios«, erklärte ich und deutete in die Stadt.
Aber niemand nahm von mir Notiz. Die Offiziere lachten nur höflich, und der Knoten am Bug wurde besonders exemplarisch befestigt. Ich knüpfte die Schlinge los und warf sie mit allerhand Zeichen und Gebärden über Bord. Der Papagei benützte die gute Gelegenheit in diesem Wirbel, seine Krallen aus dem Bauer herauszustrecken und den Türverschluß zu drehen. Als ich mich umwandte, stolzierte er eben vergnügt aufs Bambusdeck. Ich versuchte ihn zu greifen, aber er schimpfte auf spanisch los und flatterte über die Bananenbüschel davon. Ein Auge auf die Matrosen, die den Bug in eine Schlinge zu legen versuchten, startete ich zu einer wilden Jagd auf den Papagei. Schreiend suchte er in der Bambushütte Zuflucht. Dort konnte ich ihn in eine Ecke treiben und ihn an einem Fuß erwischen, als er versuchte, über mich hinwegzukurven. Als ich herauskam und meine flügelschlagende Trophäe wieder im Käfig hatte, hatten die Matrosen an Land glücklich alle Vertäuungen des Floßes gelöst, und so tanzte es hilflos hinaus und herein im Sog der langen Dünungen, die über die Mole hereinschlugen. In meiner Verzweiflung erwischte ich ein Paddelruder und versuchte vergebens, die knirschenden Stöße zu parieren, wenn das Floß gegen die Pfähle des Kais geschleudert wurde. Da sprang das Motorboot an, und mit einem Ruck begann die »Kon-Tiki« ihre lange Fahrt. Mein einziger Begleiter war ein leider nur spanisch sprechender Papagei. Auch er war verbiestert und stierte erbittert aus seinem Käfig. Das Volk an Land jubelte und winkte, und die geschniegelten Filmfotografen fielen fast ins Wasser vor Eifer, alle Details vom dramatischen Start der Expedition von Peru mitzubekommen. In einsamer Verzweiflung stand ich auf dem Floß und spähte nach meinen verlorenen Trabanten, aber niemand kam. Wir näherten uns bereits dem »Guardian Rio«, der unter Dampf lag und unverzüglich Anker lichten und auslaufen würde.
In einem Satz war ich die Strickleiter hinauf und machte so viel Spektakel an Bord, daß der Start gestört wurde. Man schickte ein Rettungsboot an den Kai zurück. Dieses blieb eine gute Weile aus und kam vollbeladen mit schönen Senoritas zurück, aber nicht mit einem einzigen von den vermißten Leuten der »Kon-Tiki«. Das war ja nun schön und gut, aber keine Lösung für meine Probleme, und während das Floß von graziösen Senoritas nur so wimmelte, ging das Rettungsboot neuerlich auf Jagd nach los expedicionarios noruegos.
In der Zwischenzeit kamen Erich und Bengt an den Kai heruntergeeilt, mit ihren Siebensachen und mit Lesestoff beladen. Sie stießen auf den Menschenstrom, der auf dem Heimweg war, und wurden zum Schluß bei der Polizeiabsperrung von einem liebenswürdigen Beamten aufgehalten, der ihnen erklärte, daß es nichts mehr zu sehen gäbe. Bengt teilte dem Constabel unter einer flotten Geste mit der Zigarre mit, daß sie nicht um zu sehen herunterkämen, sie gehörten selbst aufs Floß.
»Nützt leider nichts«, sagte der Constabel bedauernd, »die >Kon-Tiki< ist schon vor einer Stunde ausgelaufen.«
»Unmöglich«, behauptete Erich und zog ein Paket hervor, »hier ist die Lampe.«
»Und er ist der Steuermann, und ich bin der Steward«, ergänzte Bengt.
Sie drängten sich vorbei, aber das Floß war tatsächlich weg. Sie liefen verzweifelt vor und zurück, die Mole entlang, wo sie die übrige Mannschaft trafen, die ebenfalls auf eifriger Suche nach dem verschwundenen Floß war. Endlich bekamen sie das hereinkommende Rettungsboot zu Gesicht, und dann waren wir alle plötzlich wieder vereint. Das Wasser schäumte um das Floß, als uns der »Guardian Rio« auf See schleppte.
Es war später Nachmittag geworden, als wir starteten, und der »Guardian Rio« wollte uns nicht loslassen, bevor wir nicht am nächsten Morgen frei vom Küstenverkehr waren. Gleich außerhalb der Mole bekamen wir unruhige See, und alle die kleinen Boote, die uns begleiteten, wendeten nach und nach und kehrten zurück. Nur einige von den großen Lustjachten folgten uns ganz hinaus bis zum Ausgang der Bucht, um zu sehen, wie es uns da draußen ergehen würde.
Die »Kon-Tiki« folgte dem Schlepper wie ein stoßender Bock an der Leine und steckte den Bug in die stampfenden Seen, daß das Wasser nur so über Bord schäumte. Das sah wenig vertrauenerweckend aus, denn das war hier ruhige See im Vergleich zu dem, was wir zu erwarten hatten. Kaum waren wir mitten in der Bucht, als das Kabel, an dem das Floß hing, riß und das längere Ende auf unserer Seite langsam versank, während der Schlepper weiterdampfte. Wir legten uns entlang der Kante des Floßes platt nieder, um nach dem Ende des Kabels zu fischen, während die Jachten an uns vorbeizogen und den Schlepper anzuhalten versuchten. Nesselquallen, dick wie Bottiche, klatschten mit den Wellen entlang des Floßes auf und nieder und umgaben alle Taue mit einem schleimigen und brennenden Belag. Wenn das Floß sich hob, hingen wir flach über die Kante und angelten mit den Armen gegen die Wasserfläche hinunter, bis die Hände das glitschige Kabel berührten. Wenn dann das Floß wieder hinuntertauchte, steckten plötzlich alle Mann ihren Kopf tief in die Wellen, während sich Salzwasser und Riesenquallen über unsere Rücken ergossen. Wir spuckten und fluchten und zogen uns die Quallenfäden aus dem Haar. Aber als der Schlepper zurückkam, war das Kabelende wieder an Deck und klar zum Spleißen. Als wir es dann an Bord des Schleppers werfen wollten, trieben wir plötzlich unter das überhängende Heck des Schiffes und waren in Gefahr, durch den Wasserdruck zerquetscht zu werden. Wir ließen alles liegen und stehen, was wir in Händen hatten, und bemühten uns, uns mit Bambusstangen und Paddelrudern freizuhalten, bevor es zu spät war. Aber wir kamen nie richtig zurecht, denn wenn wir in einem Wellental waren, erreichten wir das Eisendach über uns nicht, aber wenn das Wasser uns wieder hob, dann schlug der ganze Steven des »Guardian Rio« in den Wasserspiegel und hätte uns flachgedrückt, wenn wir in den Sog geraten wären. Oben an Deck lief das Volk durcheinander und schrie. Endlich begann der Propeller neben uns sich in Gang zu setzen, und das half uns, von dem Strudel unter dem »Guardian Rio« in letzter Minute klarzukommen. Der Bug des Floßes hatte einige kräftige Schläge auszuhalten gehabt und hing nun etwas windschief in den Zurrungen, aber das richtete sich langsam von selbst zurecht.