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Da der Südost rasch an Stärke zunahm, wurde es notwendig, den Kurs des Floßes so zu halten, daß das Segel von achtern gut gefüllt wurde. Wenn das Floß die Seite zu stark gegen den Wind drehte, schlug plötzlich das Segel um und drängte auf Last und Volk und Hütte, während sich das ganze Floß wendete und denselben Kurs zurück nahm. Das wurde ein schwerer Gefechtsgang, wenn dann drei Männer mit dem Segel rauften und die drei anderen an dem langen Steuerruder arbeiteten, um die Nase des Floßes herum - und wieder an den Wind zu bekommen. Und sobald wir es fertiggebracht hatten, mußte der Steuermann aufpassen wie ein Schießhund, daß nicht im gleichen Augenblick das ganze Theater von vorn losging.

Das sechs Meter lange Steuerruder lag frei zwischen zwei Haltepflöcken auf einem mächtigen Klotz am Achterende. Dasselbe Steuerruder hatten unsere eingeborenen Freunde gebraucht, als wir den Palenque-Fluß in Ecuador hinuntergetrieben waren. Die lange Stange aus Mangleholz war zäh wie Stahl, aber schwer genug, um wie ein Stein zu sinken, wäre sie über Bord gegangen. Am Ende der Stange war ein großes Ruderblatt aus Kiefernholz mit einem Tau festgebunden. Es nahm alle unsere Kräfte in Anspruch, dieses lange Steuerruder festzuhalten, wenn die Wogen dagegen schlugen, und die Hände wurden von dem krampfhaften Griff müde, mit dem wir den Schaft umklammerten, damit das Ruderblatt senkrecht in die See niedertauchte Dieses letzte Problem wurde gelost, als wir einen Querstock am Handgriff des Steuerruders befestigten, so daß ein Hebelarm entstand, an dem wir drehen konnten Dabei versteifte sich die Brise ständig.

Schon am Nachmittag blies der Passat mit voller Starke. Bald wühlte er das Meer in brausende Seen auf, die sich von achtern über uns stürzten. Erst jetzt wurde uns allen klar, daß hier das Meer selbst uns entgegenkam. Jetzt war es ernst. Alle Brücken waren abgebrochen. Ob es gut gehen wurde, das hing ganz allein von der Seetüchtigkeit des Balsafloßes ab.

Wir wußten, von jetzt ab würden wir nie wieder den Wind aufs Land zu bekommen und damit auch keine Chance, je wieder umzukehren. Wir waren mitten in den Passat hineingekommen, und jeder Tag würde uns weiter und weiter hinaus aufs Meer führen. Es lag nur mehr daran, jetzt mit vollen Segeln durchzuhalten. Selbst wenn wir versuchen sollten, die Nase heimwärts zu drehen, so wurden wir trotzdem rücklings aufs Meer hinaustreiben. Es gab nur mehr einen einzigen Kurs den Wind von achtern zu nehmen, den Bug gegen Sonnenuntergang gerichtet. Das war ja schließlich und letzten Endes der Sinn unserer Fahrt. Wir wollten der Sonne auf ihrem Weg folgen, wie Kon-Tiki und die alten Sonnenanbeter es einmal gemacht hatten, wenigstens unserer Meinung nach, als sie von Peru aufs Meer getrieben wurden.

Wir bemerkten mit Triumph und Erleichterung, wie sich das Floß über die ersten drohenden Wogenkämme schwang, die wider uns schäumten. Aber es war unmöglich für den Steuermann, das Ruder festzuhalten, wenn sich brausende Seen über ihn wegwälzten und das Ruder aus dem Widerlager hoben oder es zur Seite drückten. Dann wurde er herumgeschleudert wie ein hilfloser Akrobat. Selbst zwei Mann zugleich konnten das Ruder nicht festhalten, wenn sich die Seen gegen uns erhoben und sich über die Steuerwache am Heck ergossen. So verfielen wir darauf, Stricke vom Ruderblatt zu jeder Seite des Floßes zu ziehen. Mit anderen Tauen banden wir das Ruder in seinem Widerlager fest, so daß ihm nur mehr eine begrenzte Bewegungsfreiheit verblieb. Auf diese einfache Art konnten wir auch den schwersten Seen trotzen, wenn wir uns nur selbst festzuhalten vermochten.

 Steuerwache: Wir teilen den Tag in zweistündige Wachen am Steuerruder. Türmen sich auch die Seen in Masthöhe vor uns auf, wir entgehen ihnen doch, wenn der Wind von achtern gegen die Backbordseite kommt. Der Kapitän des Floßes am Ruder.

 

Oben: In voller Fahrt bei steifer Brise.

Unten: Sturzsee über uns. Blick vom Mast auf die Steuerwache.

Als sich die Wellentaler immer tiefer eingruben, wurde uns klar, daß wir in den reißendsten Teil des Humboldtstroms gekommen waren. Hier wirkte die Strömung und nicht nur der Wind. Das Wasser war grün und kühl und umgab uns auf allen Seiten. Die zackigen Berge Perus waren in den dichten Wolkenbänken hinter uns versunken. Als sich die Dunkelheit über das Meer senkte, begann unser erster Zweikampf mit den Elementen. Noch waren wir unsicher auf See, noch war es gänzlich ungewiß, ob sie sich als Freund oder Feind jener engen Gemeinschaft zeigen würde, die wir selbst gesucht hatten. Als wir im Dunkel der Nacht hörten, wie das Heulen des Meeres rund um uns plötzlich von dem Dröhnen eines nahenden Wogenrückens übertönt wurde und ein weißer Kamm in der Höhe des Hüttendaches auf uns zukam, klammerten wir uns fest und warteten düsteren Sinnes, daß die Wassermassen über uns und dem Floß zusammenschlugen. Aber jedesmal erlebten wir dieselbe Überraschung und dieselbe Erlösung: »Kon-Tiki« wippte ruhig ein Ende in die Höhe und hob sich unangefochten in die Luft, während die Wassermassen am Floß vorbeirauschten. Dann sanken wir wieder in ein Wellental und warteten auf die nächste große See. Die größten kamen mit Vorliebe zwei und drei hintereinander, dann kam eine lange Reihe von kleineren. Aber wenn zwei große Wellen allzu dicht hintereinander liefen, dann brach die letzte über das Heck herein, während die erste noch den Bug in die Höhe hob.

Es war daher unverbrüchliches Gesetz, auf Steuerwache ein Tau um den Leib zu haben, dessen anderes Ende am Floß befestigt war, denn es gab keine Reling. Auftrag war, den Achtersteven gegen See und Wind zu wenden und geradewegs aufs Meer zu halten. Wir hatten einen alten Rettungsbootkompaß in einer Kiste achtern montiert, so daß Erich den Kurs kontrollieren und Position und Trift errechnen konnte. Vorläufig war es ungewiß, wo wir uns befanden, denn der Himmel war bewölkt und der Horizont ein einziges Wogenchaos. Zwei Mann zogen immer gleichzeitig auf Wache, und Seite an Seite brauchten sie all ihre Kraft im Kampf mit dem tanzenden Steuerruder, während die anderen in der offenen Bambushütte ein Auge voll Schlaf zu nehmen versuchten. Wenn eine schwere See kam, überließen die zwei die Steuerung dem Tauwerk, sprangen selbst empor und hängten sich an eine Bambusstange am

Hüttenfirst, während die Wassermassen von achtern hervorzischten und zwischen den Stämmen und über die Seiten des Floßes abliefen. Dann mußten sie sofort wieder an das Ruder springen, bevor das Floß sich herumdrehte und das Segel umschlug. Denn hätte die nächste Woge das Floß von der Seite überrascht, dann hätte sie sich geradewegs in die Bambushütte hinein ergossen. Kam sie aber von achtern, so verschwand sie zwischen den auseinander gespreizten Stämmen so rasch, wie sie an Bord gekommen war, und reichte nur selten bis an unsere Hüttenwand heran. Der Vorteil eines Floßes war ganz offenkundig, denn je mehr Zwischenraum, desto besser. Durch die Spalten im Boden strömte das Wasser ab, aber niemals herein.

Um zwölf Uhr nachts passierte ein Schiffslicht in nördlicher Richtung. Schlag drei passierte noch eins mit demselben Kurs. Wir winkten mit unserem kleinen Paraffinlicht und blinkten mit einer Taschenlampe, aber man sah uns nicht, und die Lichter glitten ruhig nach Norden ins Dunkel und verschwanden. Sie ahnten wohl kaum an Bord, daß hier ein quietschlebendiges Inkafloß lag und sich zwischen den Wellen hindurchraufen mußte. Und wir ahnten ebensowenig auf dem Floß, daß dies unser letztes Schiff und unsere letzte Begegnung mit Menschen gewesen war, bevor wir drüben auf der anderen Seite des Meeres ankamen.

Wie Kletten klammerten wir uns in der Finsternis an das Steuerruder und spürten das frische Seewasser aus unseren Haaren rinnen. Das Ruder schlug uns vorn und rückwärts mürbe, und die Fäuste wurden steif in der Umklammerung. Das war eine harte Schule in den ersten Tagen, sie verwandelte uns rasch aus Landratten in Seebären. In den ersten Tagen wechselte jeder Mann unaufhörlich zwischen zwei Stunden Steuerwache und drei Stunden Ruhe. Wir hatten es so eingerichtet, daß jede Stunde ein frischer Posten kam und den ablöste, der schon zwei Stunden gestanden war. Jeder Muskel im Körper war während der Wache bis zum äußersten angespannt, um einigermaßen die Steuerung zu bewältigen. Wenn wir vollständig erschöpft waren vom Drücken des Ruders, so gingen wir auf die andere Seite hinüber und zogen es, und waren Arm und Brust vom Druck wund, nahmen wir den Rücken zu Hilfe. So schlug uns das Ruder auf Brust und Rücken schön gleichmäßig grün und blau. Wenn endlich Ablösung kam, krochen wir halb erstarrt in die Bambushütte, schlangen ein Tau um die Füße und schliefen in den salzigen Kleidern ein, bevor wir noch in den Schlafsack hineinkamen. Und schon zog es wieder brutal am Tau, drei Stunden waren um und wieder mußte man hinaus und einen von den beiden ablösen, die am Steuerruder standen.