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In der nächsten Nacht war es noch schlimmer, die See wilder, statt daß sie sich beruhigt hätte. Zwei Stunden ununterbrochenes Raufen mit dem Steuerruder war zu lang. Wir taugten nicht mehr viel in der zweiten Hälfte der Wache, die Seen bekamen Oberhand und schleuderten uns herum wie einen Ball, während das Wasser über Bord schäumte. So gingen wir dazu über, eine Wache von einer Stunde bei eineinhalb Stunden Ruhe einzurichten. Die ersten sechzig Stunden waren ein einziger Kampf gegen ein Chaos von Wogen, die sich auf uns zuwälzten, eine nach der anderen, unaufhörlich, hohe Wellen und niedrige Wellen, spitze Wellen und runde Wellen, schräge Wellen und Wellen oben auf der Spitze von anderen Wellen. Am ärgsten von uns litt Knut. Er war von der Steuerwache befreit, aber dafür mußte er Neptun opfern und duldete schweigend Qualen in einem Winkel der Hütte. Der Papagei saß melancholisch in seinem Käfig, ließ den Schnabel hängen und schlug jedesmal mit den Flügeln, wenn das Floß einen unerwarteten Sprung machte und die Wellen achtern gegen die Wand klatschten. Dabei rollte die »Kon-Tiki« gar nicht so besonders, sie nahm die Seen gelassener als irgendein Boot der gleichen Ausmaße, aber man konnte unmöglich voraussehen, nach welcher Seite sich das Deck das nächste Mal neigen würde, und wir lernten ewig nicht die Kunst, geschickte Seemannsbeine auf das Floß zu stellen, denn es schaukelte nach der Länge soviel wie nach der Quere.

In der dritten Nacht beruhigte sich die See etwas, obgleich der Wind seine Stärke beibehielt. Um vier Uhr kam ein unerwarteter Nachläufer schäumend durch das Dunkel und drehte das ganze Floß herum, bevor die Männer am Steuer zur Besinnung kamen. Das Segel drückte auf die Hütte los und drohte, diese und sich selbst in Fetzen zu zerschlagen. Alle Mann mußten auf Deck. Wir bargen die Last und zogen an Tauen und Pardunen in der Hoffnung, das Floß wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, damit das Segel sich wieder füllen und sich friedlich über uns wölben konnte. Aber das Floß wollte sich nicht wieder wenden lassen. Es wollte jetzt rückwärts marschieren und damit basta! Wie immer wir zogen, schoben und herumruderten, das einzige Ergebnis war, daß um ein Haar zwei Mann im Seegang über Bord gegangen wären, als das Segel sie im Dunkel erfaßte. Die See war sichtlich ruhiger geworden. Steif, zerschlagen an allen Gliedern, mit wunden Fäusten und verschlafenen Augen waren wir nicht mehr viele saure Heringe wert. Es war besser, die Kräfte zu sparen, wenn der Sturm einen noch härteren Strauß erfordern sollte, man konnte nie wissen. So fierten wir das Segel und rollten es um die Bambusstange. Die »Kon-Tiki« lag seitlich in den Wellen und nahm sie wie ein Kork. Alles an Bord war vertäut, wir bliesen die Wachen ab, und sechs Mann krochen in die winzige Bambushütte, wo wir uns zusammendrängten und schliefen wie Mumien in einer Sardinenbüchse.

Wir hatten keine Ahnung davon, daß wir uns nun durch die härtesten Steuerwachen der Reise hindurch geschlagen hatten. Erst weit draußen auf dem offenen Ozean kamen wir auf die einfache und geniale Art der Inkas ein Floß zu steuern.

Wir erwachten am hellen Tag, als der Papagei anfing, sich aufzuplustern und Krach zu schlagen und in seinem Käfig auf und ab zu hüpfen. Draußen gingen die Wellen immer noch hoch, aber in langen, gleichmäßigen Kämmen und nicht so willkürlich und stoßweise wie am Tag vorher. Das erste, was wir sahen, war die Sonne, die auf dem gelben Bambusdeck lag und dem ganzen Meer rundum ein leuchtendes und freundliches Aussehen gab. Was tat es schon, wenn der Ozean brauste und wogte, solange er uns nur auf dem Floß in Frieden ließ; was tat es schon, wenn er sich vor unserer Nase hoch in die Luft bäumte, wenn wir wußten, daß das Floß in der nächsten Sekunde drüberhüpfen und den brausenden Kamm ausstreichen würde wie eine Dampfwalze, während der schwere, gefährliche, gläserne Berg selbst uns nur in die Höhe hob und wimmernd und gluckernd unter dem Floßboden dahinrollte. Die alten Meister aus Peru wußten genau, was sie taten, als sie einen hohlen Schiffsrumpf vermieden, der sich mit Wasser füllen konnte, wie auch ein Fahrzeug, das so lang war, daß es nicht über eine Welle nach der anderen reiten konnte. Eine Dampfwalze aus Kork, das war der widerspruchsvolle Effekt unseres Balsafloßes.

Erich nahm unsere Position an der Sonnenhöhe, und wir fanden, daß wir zusätzlich zur Segelfahrt eine gewaltige Abtrift längs der Küste nach Norden hatten. Wir lagen noch im Humboldtstrom, der hier etwa hundert Seemeilen vom Lande dahinzieht. Das große Spannungsmoment bestand darin, wie wir in den unsicheren Stromwirbeln südlich der Galapagos weiterkommen würden. Es konnte schicksalsschwere Folgen haben, denn hier droben konnten wir von kräftigen Meeresströmungen nach allen Richtungen, selbst gegen die Küste von Mittelamerika gefegt werden. Aber ging es wie berechnet, so würden wir mit dem Hauptstrom nach Westen über das Meer treiben, bevor wir die Flöhe der Galapagos erreichten.

Der Wind blies weiterhin genau von Südosten. Wir hißten das Segel, bekamen endlich das Floß mit dem Heck in den Wind und setzten die Steuerwachen fort.

Knut hatte nun endlich die Qualen der Seekrankheit überstanden. Mit Torstein zusammen kletterte er in die schwingende Mastspitze, wo sie mit mysteriösen Radioantennen experimentierten, die sie einmal mit einem Ballon, dann wieder mit Drachen in die Luft steigen ließen. Plötzlich rief einer aus dem Radioverschlag, daß er die Marinestation in Lima höre, die nach uns rief. Sie verständigte uns, daß das Flugzeug des amerikanischen Gesandten von der Küste her unterwegs sei, um uns ein letztes Lebewohl zu sagen und um zu sehen, wie wir uns draußen auf dem Meere ausnahmen. Kurz darauf bekamen wir direkten Kontakt mit dem Funker an Bord des Flugzeugs und wenig später ein zweifellos unerwartetes Zwiegespräch mit der Sekretärin der Expedition, Gerd Vold, die an Bord war. Wir gaben unsere Position so genau wie möglich und sendeten stundenlang Peilungssignale, und die Stimme im Äther wurde stärker oder schwächer, je nachdem ARMY-119 näher oder ferner kreiste und suchte. Aber wir hörten die Maschine nie und sahen ebensowenig das Flugzeug. Das niedrige Floß zwischen den Wellenkämmen zu suchen, war nicht so leicht, und unser eigener Ausblick war zu sehr begrenzt, zum Schluß mußte der Flieger aufgeben und wendete zurück zur Küste. Es war dies das letzte Mal, daß jemand nach uns suchte.

In den folgenden Tagen ging die See hoch, aber die Wellen kamen zischend genau in Reih und Glied von Südosten, und die Steuerung ging bedeutend leichter. Wir nahmen jetzt See und Wind schräg von achtern gegen die Backbordseite, so nahm der Steuermann weniger Wellen über, und das Floß lief ruhiger, ohne sich zu drehen. Wir konstatierten mit Spannung, daß der Südostpassat und der Humboldtstrom uns mit jedem Tag näher an die Wirbel um die Galapagosinseln herantrieben. Und so rasch ging es genau nach Nordwesten, daß unser täglicher Durchschnitt in diesen Tagen bei 55 bis 60 Seemeilen lag, mit einem Rekord von 71 Seemeilen oder über 130 Kilometern an einem einzigen Tag.