Um diese Zeit lagen wir mitten im Südaquatorialstrom und trieben in westlicher Richtung ungefähr 400 Seemeilen südlich vor den Galapagos. Wir waren nun sicher davor, in die Galapagosströmungen hineinzutreiben, und das einzige, was wir von dieser Inselgruppe merkten, waren große Seeschildkröten, die sich so weit auf offene See hinaus verirrt hatten. Eines Tages sahen wir einen dicken Brocken von See-Schildkröte, deren Kopf und eine Flosse über der Wasseroberfläche herumschlugen. In der Dünung erkannten wir, daß es grün und blau und gelb im Wasser darunter blinkte und begriffen, daß die Schildkröte mit Dolfinen um ihr Leben kämpfte. Ersichtlich war der Kampf ganz einseitig und bestand darin, daß zwölf bis fünfzehn großköpfige und farbenprächtige Dolfine Hals und Flossen der Schildkröte angriffen und augenscheinlich versuchten, sie zu ermüden, da die Schildkröte nicht tagelang mit Kopf und Gliedern in die Schale eingezogen liegen kann.
Als die Schildkröte das Floß zu Gesicht bekam, tauchte sie und, gefolgt von den glänzenden Fischen, setzte sie Kurs gerade auf uns zu. Sie kam dicht neben dem Floß empor und machte Anstalten, auf die Stämme heraufzukriechen, als sie unser ansichtig wurde, die wir auf dem Floß bereitstanden. Wären wir routinierter gewesen, hätten wir sie ohne Schwierigkeit mit einem Tau hereinziehen können, als der lange Rückenschild ruhig neben dem Floß entlangglitt. Aber wir brauchten die entscheidene Zeit zum Gaffen, und bis wir das Lasso klar hatten, hatte die Riesenschildkröte bereits den Bug passiert. Wir setzten unser winziges Gummifloß ins Wasser, und Hermann, Bengt und Torstein begannen, die Seeschildkröte in der runden Nußschale zu verfolgen, die nicht größer war als das, was vor ihnen schwamm. Bengt als Steward träumte bereits von einem unerschöpflichen Fleischfaß und leckerster Schildkrötensuppe, aber je rascher sie ruderten, desto schneller glitt die Schildkröte dicht unter der Oberfläche durch das Wasser, und sie waren noch keine hundert Meter vom Floß entfernt, als die Schildkröte plötzlich spurlos verschwand. Aber ein gutes Werk hatten sie auf jeden Fall damit getan, denn als das winzige buttergelbe Gummiboot über den Wasserspiegel zurückgetanzt kam, hatte es den ganzen blinkenden Schwärm von Dolfinen hinter sich. Die schlossen einen Ring rund um die neue Schildkröte, und die dreistesten schnappten nach den Ruderblättern, die wie Flossen ins Wasser tauchten.
Inzwischen entschwand die friedliche Seeschildkröte, glücklich befreit von allen ihren gemeinen Verfolgern.
5. Auf halbem Weg
Tägliches Leben und Experimente. Trinkwasser für Floßfahrer. Kartoffel und Flaschenkürbis verraten ein Geheimnis. Die Kokosnuß und die Krabben. Unser zahmer Johannes. Wir segeln in Fischsuppe. Plankton. Eßbares Meerleuchten. Umgang mit Walen. Ameisen und Entenmuscheln. Schwimmende Haustiere. Der Dolfin als Gefolgsmann. Haifang. Die »»Kon-Tiki« wird zum Seeungeheuer. Lotsenfische und Remora als Erbschaft des Haies. Warnung vor Riesenkraken. Fliegende Tintenfische. Unbekannter Besuch. Der Taucherkorb. Mit Thunfischen und Bonitos in deren eigenstem Element. Das falsche Riff. Das Schwert löst sein Rätsel. Auf halbem Weg.
Die Wochen vergingen. Von Schiffen sahen wir keine Spur. Nichts trieb uns entgegen, was verriet, daß es noch andere Menschen auf der Welt gab. Das ganze Meer gehörte uns. Alle Pforten des Horizonts standen offen, und es taute förmlich Friede und Freiheit von der Himmelswölbung herab.
Uns war, als würden der frische Salzgeruch der Luft und die Reinheit, die uns umgab, Körper und Seele waschen und klären. Große Probleme wurden klein und wirkten wie Hirngespinste hier draußen auf dem Meer. Nur die Elemente waren bitterer Ernst. Aber es schien, als ignorierten sie das kleine Floß. Vielleicht hießen sie es auch gut, als ein Stück der Natur, das nicht die große Harmonie des Meeres durchbrach, sondern sich nach Strömung und Seegang richtete wie Meeresvögel und Fische. Statt sich wie furchtbare Feinde geifernd auf uns zu werfen, waren sie vertraute Freunde geworden, die uns stetig und sicher vorwärts halfen. Wenn Wind und Wellen uns stießen und drängten, so zog uns gleichzeitig die Strömung mit sich fort, alle genau in Richtung auf unser Ziel.
Einem Schiff, das an einem durchschnittlichen Tage draußen auf dem Meer unseren Weg gekreuzt hätte, hätte sich wohl ein friedliches Bild geboten: ein Floß, langsam auf und nieder tanzend über weite, rollende Dünungen, gekrönt von zischenden Schaumwirbeln, darüber ein rostgelbes Segel in straffer Wölbung auf Polynesien zu.
Am Heck des Floßes hätte man einen Mann gesehen, nackt, braun und bärtig, der sich entweder an einem langen Steuerruder plagte und an verwickelten Tauen zog oder in ruhigem Wetter auf einer Kiste saß und im Sonnenschein döste, während er das Steuerruder bedächtig mit den Zehen hielt.
Sofern dieser Mann zufälligerweise nicht Bengt war, würde man diesen platt auf dem Bauch im Hütteneingang liegen sehen mit einem von seinen dreiundsiebzig soziologischen Büchern vor der Nase. Im übrigen war Bengt zum Steward ernannt und damit verantwortlich für die Zusammenstellung der täglichen Rationen. Hermann traf man stets und ständig auf Außenposten. Entweder saß er in der Mastspitze mit meteorologischen Instrumenten, oder er tauchte mit Schwimmbrillen unter das Floß, um ein Schwert zu kontrollieren, oder aber er ließ sich im Gummiboot nachschleppen und war mit Ballons und seltsamen Meßapparaten beschäftigt. Er war nämlich unser technischer Chef und verantwortlich für meteorologische und hydrographische Beobachtungen.
Knut und Torstein waren immer in Betrieb mit ihren nassen Trockenbatterien, Lötkolben und Kopplungsschemata. Es bedurfte all ihrer Kriegserfahrung, die kleine Radiostation im Sprühregen und Tau, einen Fuß hoch über dem Wasserspiegel, in Gang zu halten. Jede Nacht sendeten sie abwechselnd unsere Berichte und Wetterbeobachtungen hinaus in den Äther, wo sie von irgendwelchen Radioamateuren aufgefangen wurden, die die Meldungen ans Meteorologische Institut in Washington und an andere Bestimmungsorte weitergaben. Erich flickte meistens an Segeln und spliß Taue, wenn er nicht schnitzte oder Skizzen von bärtigen Männern und merkwürdigen Fischen zeichnete. Jeden Mittag nahm er den Sextanten zur Hand, kroch auf eine Kiste und sah nach der Sonne, um herauszufinden, wie weit wir seit dem gestrigen Tag gekommen waren. Ich selbst hatte genug zu tun mit Logbuch und Berichten, Planktonsammeln, Fischen und Filmen. Jedermann hatte so seine Verantwortung und Aufgabe, und keiner mischte sich in die Arbeit des anderen. Alle saueren Geschäfte, wie Ruderwache und Küchendienst, wurden gerecht verteilt. Jeder von uns hatte seine zwei Stunden Tagwache und zwei Stunden Nachtwache. Und der Küchendienst ging die Runde von einem Tag zum anderen. So gab es kaum Gesetze und Regeln an Bord mit Ausnahme dessen, daß der Nachtposten eine Schlinge um den Leib und das Rettungstau seinen festen Platz haben mußte, daß vor der Hütte gegessen wurde und daß gewisse unumgängliche Geschäfte nur achtern am äußersten Ende der Stämme erledigt wurden. Sollte ein wichtiger Entschluß an Bord getroffen werden, riefen wir zu einem Pow-vow nach Indianermanier und diskutierten die Sache gründlich, bevor wir eine Bestimmung trafen.