Ein solcher Tag auf der »Kon-Tiki« begann damit, daß die letzte Nachtwache Leben in den Koch hineinschüttelte, der schläfrig auf das taunasse Deck hinauskroch und in der Morgensonne fliegende Fische zu sammeln begann. Da wir keine Lust hatten, den Fisch roh (nach polynesischer wie auch peruanischer Vorschrift) zu schlucken, brieten wir ihn über einem kleinen Primus auf dem Boden einer Kiste, die auf Deck festgebunden vor der Hüttentür stand. Diese Kiste war unsere Küche. Hier war Schutz vor dem Südostpassat, der ständig schräg von achtern gegen die andere Seite blies. Nur wenn Wind und See allzusehr mit der Primusflamme jonglierten, kam es vor, daß die Kiste einmal Feuer fing. Eines schönen Tages war der Koch eingeschlafen. Da stand plötzlich sein ganzer Laden in Flammen, die rasch auf die Wand der Bambushütte übersprangen. Aber der Brand wurde schnell gelöscht, als sich der Rauch in die Hütte wälzte, denn zum Wasser hatten wir es an Bord der »Kon-Tiki« nie weit.
Dem Duft des gebratenen Fisches gelang es nur höchst selten, die schnarchenden Individuen in der Bambushütte zu wecken, so daß der Koch sie öfters mit der Gabel stechen oder sein »Backen und Banken« in so falschen Tönen singen mußte, bis keiner ihn länger anzuhören vermochte. Wenn es keine Haiflossen längs der Floßkante gab, begann der Tag mit einem raschen Sprung in den Stillen Ozean. Dann folgte das »Frühstück im Blauen« am Rand des Floßes.
Über das Essen an Bord konnte man kaum klagen. Unsere Kostverhältnisse verteilten sich auf zwei Experimente, eines dem Quartiermeister und dem zwanzigsten, das andere Kon-Tiki und dem fünften Jahrhundert gewidmet. Torstein und Bengt waren als Versuchsobjekte ausersehen und begrenzten ihre Diät auf die netten kleinen Packungen mit Spezialproviant, die wir in dem Hohlraum zwischen den Holzstämmen und dem Bambusdeck versenkt hatten. Fisch und Seeproviant waren auch nie ihre starke Seite gewesen. Alle paar Wochen lösten wir die Verschnürungen, die das Bambusdeck niederhielten, und nahmen neue Proviantschachteln heraus, die wir vor der Bambushütte festzurrten. Es erwies sich, daß die zähe Asphaltschicht auf der Pappe standhielt, während die Konservenbüchsen, die lose danebenlagen, vom Meerwasser, das ständig den Proviant umspülte, angefressen und ausgelaugt wurden.
Hätte aber die »Kon-Tiki« wie auf der ursprünglichen Fahrt über den Ozean weder Asphalt noch Patentbüchsen gekannt, hatten sich trotzdem keine ernsteren Ernährungsprobleme ergeben. Auch die Versorgung in der Vergangenheit bestand ja aus dem, was man von Land mitnahm und sich unterwegs zu verschaffen wußte. Zwei Absichten müssen wir in Erwägung ziehen, als Kon-Tiki Peru nach der Niederlage bei Titicaca verließ. Als priesterliche Verkörperung der Sonne unter einem Volk von Sonnenanbetern ist es höchst wahrscheinlich, daß er sich aufs Meer hinauswagte, um der Sonne selbst auf ihrer Reise zu folgen in der Hoffnung, ein neues und friedlicheres Land zu finden. Die andere Möglichkeit war, seine Flöße die Küste Südamerikas entlangsegeln zu lassen, um weiter nördlich wieder an Land zu gehen und dort ein neues Reich zu gründen. Bei dem Versuch, die Küste und die feindlichen Stämme an Land zu vermeiden, konnte er dann - wie wir - eine leichte Beute für den Südostpassat und den Humboldtstrom werden. Dann trieben ihn die mächtigen Elemente genau in demselben großen Halbkreis nach Sonnenuntergang.
Was auch immer diese Sonnenanbeter für Pläne hatten: als sie ihr Heimatland verließen, sorgten sie sicher für Proviant. Getrocknetes Fleisch, Fisch und Süßkartoffeln waren der wichtigste Teil ihrer primitiven Nahrung. Wenn die Floßfahrer der Vergangenheit von der Wüstenküste Perus in See stachen, hatten sie reichlich Wasservorrat an Bord. An Stelle von Tongefäßen verwendeten sie gerne die Haut der großen Flaschenkürbisse, die gegen Stoß und Schlag unempfindlich waren. Vielleicht noch besser geeignet für die Flöße waren dicke Rohre aus Riesenbambus. Die Segmente wurden durchbohrt und Wasser durch ein kleines Loch am Ende eingefüllt, das mit einem Pflock abgedichtet wurde. Dreißig bis vierzig von diesen dicken Bambusrohren konnten längsseit des Floßes unter Deck festgeknotet werden, wo sie im Schatten lagen, kühl umspült vom frischen Seewasser, das im Äquatorstrom etwa 26 bis 27 Grad Celsius hat. So erhielt man einen doppelt so großen Wasservorrat, wie wir selbst für die ganze Reise brauchten. Noch mehr konnte man verladen, wenn man die Bambusrohre unter dem Floß im Wasser befestigte, wo sie weder Gewicht noch Platz wegnahmen.
Wir fanden heraus, daß nach zwei Monaten das Frischwasser schal wird und übel schmeckt. Aber wenn man den ersten, regenarmen Teil des Meeres gut hinter sich gebracht hat, so kommt man in Striche, wo kräftige Regenschauer den Wasservorrat ergänzen. Wir teilten eineinviertel Liter Wasser pro Mann und Tag zu. Nicht immer wurde diese Ration verbraucht.
Selbst wenn unsere Vorgänger mangelhaft versorgt von Land getrieben wurden, wären sie durchgekommen, solange sie mit dem fischreichen Strom über das Meer trieben. Es verging nicht ein Tag auf der ganzen Reise, ohne daß wir Fische um das Floß hatten, die sich leicht und bereitwillig fangen ließen, ganz zu schweigen von den fliegenden Fischen, die freiwillig an Bord sprangen. Es geschah sogar, daß große, wohlschmeckende Bonitos mit den Wassermassen achtern an Deck geschwemmt wurden und zappelnd auf dem Floß liegenblieben, wenn das Wasser wie in einem Sieb zwischen den Stämmen verschwand. Es war unmöglich, zu verhungern.
Die alten Eingeborenen kannten den Trick genau, zu dem auch viele Schiffbrüchige während des Krieges sich durchfanden, daß man nämlich durststillende Beutel mit rohem Fisch kauen kann. Man kann auch den Saft auspressen, dadurch, daß man die Fischstücke in einem Tuch auswindet, oder, wenn der Fisch groß ist, kann man einfach Gruben in seine Seite schneiden, die sich rasch aus den Lymphen des Fisches anfüllen. Wenn man etwas Besseres zu trinken hat, so schmeckt das nicht gut. Aber der Salzgehalt ist gering genug, um den Durst zu löschen.
Der Bedarf an Trinkwasser wurde stark reduziert, weil wir ständig Bäder nahmen und uns feucht in die schattige Hütte legten. Wenn ein Hai uns majestätisch umkreiste und damit ein richtiges Tauchbad unmöglich machte, brauchte man sich bloß achtern auf die Stämme zu legen, Finger und Zehen gut ins Tauwerk gekrallt, so bekamen wir binnen ein paar Sekunden mehrere Badewannen kristallklaren Pazifik über uns geschüttet.
Wenn man in der Wärme von Durst geplagt wird, nimmt man es gerne für gegeben, daß der Körper nach Wasser verlangt. Und das kann eine überflüssige Kerbe in die Wasserrationen schlagen, ohne im Mindesten zu helfen. An einem richtig heißen Tag in den Tropen kann man sich mit lauwarmem Wasser anschlabbern, bis man es oben im Hals stehen spürt, und trotzdem durstig bleiben. Da braucht der Körper nämlich nicht Feuchtigkeit, sondern, merkwürdig genug, Salz. Die Spezialrationen an Bord enthielten deshalb auch Salztabletten zum fleißigen Gebrauch an besonders warmen Tagen, denn der Schweiß beraubt den Körper des Salzgehaltes. Wir erlebten solche Tage, wenn sich der Wind legte und uns die Sonnenhitze ungehindert an Deck zu fassen bekam. Die Wasserrationen konnten auf einen Zug hinuntergehen, so daß es uns im Bauch förmlich gluckerte, und der Hals verlangte heimtückisch immer noch mehr. An solchen Tagen setzten wir zwanzig bis vierzig Prozent Seewasser der Frischwasserration zu und fanden zu unserer Überraschung, daß dieses Brackwasser den Durst löschte. Noch lange hinterdrein spürten wir den Seegeschmack, aber nie wurde uns übel. So wurde unser Wasservorrat bedeutend gestreckt. Eines Morgens, als wir beim Frühstück saßen, schlug ein Brecher unerwartet herauf und in unsere Hafergrütze. Er lehrte uns ganz unaufgefordert, daß der Haferbrei den dumpfigen Seegeschmack in der Salzwassermischung überdeckt.