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Die alten Polynesier bewahrten eigentümliche Überlieferungen. Sie berichteten nämlich, daß ihre ältesten Vorväter, als sie über das Meer einwanderten, Blätter einer bestimmten Pflanze mitführten. Wenn man diese kaute, legte sich der Durst. Die Pflanze bewirkte auch, daß sie in einer Zwangslage schieres Meerwasser trinken konnten, ohne davon krank zu werden. Solche Pflanzen wuchsen nicht auf den Südseeinseln und mußten daher aus der Heimat ihrer Vorväter stammen. Diese Behauptungen der polynesischen Historiker waren so hartnäckig, daß moderne Forscher begannen, die Sache zu untersuchen. Sie kamen dabei zu dem Resultat, daß die einzige bekannte Pflanze mit einer solchen Wirkung die Koka ist, die bekanntlich nur in Peru wächst. Und im prähistorischen Peru wurde eben diese Koka, die das Kokain enthält, sowohl von den Inkas wie von deren verschwundenen Vorgängern fleißig verwendet. Dies wissen wir aus den Grabfunden der Vorinkazeit. Auf mühsamen Fahrten über die Berge und zur See führten sie Bündel von solchen Blättern mit sich, die sie Tage hindurch kauten, um Durst und Müdigkeit fernzuhalten, und über kürzere Zeiträume kann das Kauen von Kokablättern auch gegen Seewasser immun machen.

Wir wollten die Kokablätter nicht an Bord der »Kon-Tiki« erproben, aber wir hatten auf dem Vorderdeck große, geflochtene Körbe voll von anderen Pflanzen, die den Südseeinseln tiefere Spuren aufgeprägt hatten. Die Körbe standen im Schutz der Hüttenwand befestigt, und gelbe Sprossen und grüne Blätter schössen im Lauf der Zeit länger und länger aus dem Flechtwerk hervor, wie ein kleiner Tropenwald an Bord des Floßes. Als die ersten Europäer auf die Südseeinseln kamen, fanden sie große Plantagen mit Süßkartoffeln auf der Osterinsel, genauso wie auf Hawaii oder auf Neuseeland. Dieselbe Kartoffel wurde auch auf den anderen Inseln gepflanzt, aber ausschließlich auf polynesischem Gebiet. Sie war in jenen Erdteilen, die weiter gegen Westen lagen, völlig unbekannt. Die Süßkartoffel war eine der wichtigsten Kulturpflanzen auf diesen entlegenen Inseln, wo die Menschen im Wesentlichen von Fischen lebten. Viele Legenden der Polynesier kreisten um diese Pflanze. Nach ihren Mythen war sie von keinem geringeren als Tiki selbst mitgebracht worden, als er mit seiner Frau Pani die Heimat seiner Vorväter verließ, wo die Süßkartoffeln ein wichtiges Nahrungsmittel gewesen waren. Legenden auf Neuseeland betonen, daß die Süßkartoffel mit Fahrzeugen über das Meer gebracht wurde, die keine richtigen Kanus waren, sondern aus ganzen Stämmen, »mit Tauen zusammengebunden«, bestanden.

Nun war, wie bekannt, Amerika der einzige Platz in der ganzen Welt, wo die Kartoffel vor der Zeit der Europäer wuchs. Und die Süßkartoffel, die Kon-Tiki mit sich auf die Inseln brachte, Ipomoea batatas, ist genau dieselbe, die die Indianer in Peru seit den ältesten Zeiten bauen. Getrocknete Süßkartoffeln waren der wichtigste Reiseproviant sowohl für die Seefahrer Polynesiens als auch für die Eingeborenen im alten Peru. Auf den Südseeinseln will die Süßkartoffel nur unter sorgfältiger Pflege des Menschen gedeihen, und da sie das Seewasser nicht verträgt, kann ihre Verbreitung auf diesen isolierten Inseln kaum damit erklärt werden, daß sie 8000 Kilometer mit den Meeresströmungen von Peru angetrieben sei. Besonders schwierig ist das Wegerklären eines so wichtigen Indiziums, nachdem die Sprachforscher aufgezeigt haben, daß alle die zerstreuten Südseeinseln die Süßkartoffel Kumara nannten. Kumara war auch die Benennung derselben Süßkartoffel bei den alten Indianern von Peru. Der Name folgte der Kartoffel über das Meer.

Eine andere wichtige polynesische Kulturpflanze, die wir mit uns auf der »Kon-Tiki« hatten, war der Flaschenkürbis, Lagenaria vulgaris. Genauso wichtig wie die Frucht selbst war ihre Schale, die die Polynesier über dem Feuer trockneten und als Wasserbehälter gebrauchten. Auch diese typische Tropenpflanze, die sich noch weniger dadurch verbreiten kann, daß sie allein über das Meer treibt, hatten die Polynesier mit der Urbevölkerung in Peru gemeinsam. Solche Flaschenkürbisse, zu Wasserbehältern hergerichtet, wurden in den prähistorischen Wüstengräbern an der Küste von Peru gefunden. Solche Kürbisse wurden hier von der Fischerbevölkerung verwendet, Jahrhunderte bevor die ersten Menschen die Inseln im Stillen Ozean erreichten. Die polynesische Bezeichnung für den Flaschenkürbis, Kimi, findet sich bei den Indianern in Mittelamerika wieder, wo die Kultur Perus ihre tieferen Wurzeln hat.

Außer einer Reihe von zufälligen Südfrüchten, die wir verspeisten, bevor sie im Verlauf von ein paar Wochen schlecht wurden, hatten wir eine dritte Pflanze an Bord, die neben der Süßkartoffel die größte Rolle in der Geschichte des Stillen Ozeans gespielt hat. Wir hatten zweihundert Kokosnüsse mit, die unseren Zähnen etwas zu arbeiten gaben und einen erfrischenden Trank lieferten. Einzelne Nüsse begannen sofort zu sprossen, und als wir zehn Wochen auf See lagen, hatten wir ein halbes Dutzend Palmenbabys, bis zu einem halben Fuß hoch, an Bord, die bereits ihre Sprossen öffneten und dicke, grüne Blätter formten. Die Kokosnuß wuchs bereits in vorkolumbianischer Zeit sowohl auf der Panamahalbinsel wie in Südamerika. Der Chronist Oviedo schreibt, daß die Kokospalme bereits bei der Ankunft der Spanier in großen Mengen in Peru vorkam. Gleichzeitig existierte sie längst auf allen Inseln des Pazifik. Die Botaniker haben noch keinen sicheren Beweis, in welcher Richtung sie sich über das Meer verbreitet hat. Aber etwas hat man heute herausgefunden: sogar die Kokosnuß in ihrer berühmten Schale kann ein Weltmeer nicht ohne menschliche Hilfe überwinden. Die Nüsse, die wir an Deck in Körben stehen hatten, hielten sich eßbar und keimkräftig bis nach Polynesien. Aber etwa die Hälfte unseres Vorrats hatten wir im Wogengischt beim Spezialproviant unter Deck. Jede einzelne verdarb im Seewasser. Und keine Kokosnuß kann rascher über das Meer treiben als ein Balsafloß, das den Wind zur Hilfe hat. Es zeigten sich Stellen auf den Nüssen, die Wasser gezogen hatten und aufgeweicht waren, so daß das Seewasser eindringen konnte. Und außerdem gab es in Neptuns Ernährungsamt Polizeiorgane genug, die dafür sorgten, daß nichts Eßbares von der einen Hälfte der Welt nach der anderen schwamm.

Mitten draußen auf dem Meer geschah es an ruhigen Tagen, daß wir in einen weißen Vogelschwarm hineinsegelten, der sich auf den Wellen wiegte. Vereinzelte Sturmschwalben und andere Seevögel, die auf See schlafen konnten, trafen wir nämlich Tausende von Seemeilen vom nächsten festen Punkt. Sahen wir uns dieses kleine Federvolk im Näherkommen an, so bemerkten wir, daß sie zwei bis drei Passagiere an Bord hatten, die auf ihnen elegant mit dem Winde dahinsegelten.

Als die »Kon-Tiki« wie ein anderer Goliath daherkam, bemerkten diese Passagiere, daß hier ein Schiff mit besserer Fahrt und mehr Raum vorbeizog, und dann kamen sie alle seitlich in rasender Geschwindigkeit über die Wasserfläche daher und herauf auf unsere »Kon-Tiki«, während die Vögel ihre Fahrt allein fortsetzen konnten. So begann es bald von blinden Passagieren an Bord der » Kon-Tiki« zu wimmeln. Es waren kleine Meerkrabben von der Größe eines Fingernagels bis zu der eines Fünförestücks. Sie stellten einen Leckerbissen für die Goliaths an Bord dar, wenn diese sie zu fassen bekamen. Solche kleine Krabben nun waren die Polizeipatrouillen Neptuns. Sie waren immer geschwind zur Stelle, wenn etwas Eßbares zu haben war. Als der Koch eines Tages einen fliegenden Fisch zwischen den Stöcken übersah, war dieser am nächsten Tag von acht bis zehn kleinen Krabben bedeckt, die ihn mit ihren Scheren in sich hineingabelten. Meistens waren sie ängstlich, verschwanden und versteckten sich, wenn wir kamen, aber achtern in einem kleinen Loch am Steuerklotz wohnte eine, die Johannes hieß und ganz zahm war. Außer dem Papagei, der unser aller lustiges Nesthäkchen war, wurde auch die Krabbe Johannes in unsere Gemeinschaft an Deck aufgenommen. Ohne Gesellschaft von Johannes fühlte sich der Steuermann, wenn er so dasaß mit dem Rücken zur Hütte und durch den Sonnenschein steuerte, ganz einsam draußen auf dem großen, blauen Meer. Andere kleine Krabben zottelten lichtscheu herum und stahlen Kleinigkeiten, wie Kakerlaken, auf einem gewöhnlichen Schiff, aber Johannes saß breit und rund in seiner Türöffnung und wartete mit Stielaugen auf den Wachwechsel. Jeder neue Posten brachte ein Keksbröckchen oder einen Fischhappen für Johannes mit. Wir brauchten uns bloß über das Loch zu beugen, so kam er ganz heraus auf die Treppe und streckte die Scheren vor. Er nahm uns das Stückchen aus den Fingern und lief in sein Loch zurück, wo er sich in die Türöffnung setzte und wie ein Schulbub mummelte, der das Essen in den Mund stopft, ohne seine Fäustlinge auszuziehen.