6. Polynesien kommt näher
Ein lächerliches Fahrzeug. Ausflug im Gummiboot. Gnadenlose Trift hinaus ins Unendliche. In einer Bambushütte mitten auf dem Ozean. Auf dem Längengrad der Osterinsel. Das Geheimnis der Insel. Riesengötter und Steinkolosse. Perücken aus rotem Fels. Die Technik der »»Langohren«. Verbindungen mit Amerika. Sprechende Ortsnamen. Tauziehen mit Haifischen. Haifang mit der Faust. Der Papagei. LI2B ruft. Der Sternenkompaß. Drei rätselhafte Wogen. Sturm. Blutbad in der See. Blutbad an Deck. Mann über Bord. Noch ein Sturm. » Kon-Tiki« wird schlotterig. Erste Botschaft aus Polynesien.
Wenn die See nicht allzu wild war, paddelten wir oft mit dem winzigen Gummifloß hinaus, um von draußen zu fotografieren. Niemals werde ich den ersten von unseren Schlauchbootausflügen vergessen. Das Meer war so ruhig, daß zwei Mann Lust bekamen, das ballonartige kleine Ding aufs Wasser zu setzen und damit ein Stück hinaus in die Wogen zu rudern. Sie waren kaum vom Floß abgestoßen, als sie die kleinen Ruder schon ausließen und brüllend zu lachen begannen. Und als die Wellen sie davontrugen, so daß sie, auf und nieder geschaukelt, immer wieder hinter den Kämmen verschwanden, da platzten sie erst richtig los, sooft sie einen Blick von uns erhäschen konnten, und lachten so, daß es weit hinaus über den offenen Pazifik schallte. Wir auf dem Floß blickten mit gemischten Gefühlen um uns und konnten nichts Komisches entdecken außer unseren eigenen zerzausten und bärtigen Gesichtern. Die aber mußten die zwei da draußen eigentlich schon gewohnt sein, so daß uns der schleichende Verdacht befiel, sie hätten am Ende wohl den Verstand verloren. Vielleicht ein Sonnenstich? Vor Lachen hatten die beiden erkleckliche Mühe, zurück zur »Kon-Tiki« zu rudern. Sie blieben uns jede Erklärung schuldig. Sich schier verschluckend und mit Tränen in den Augen forderten sie uns kurzerhand auf, erst einmal selber das Floß von draußen zu begucken.
Zwei von uns anderen sprangen in das tanzende Schlauchboot und wurden sofort von einer Woge ergriffen, die uns davontrug. Bums, setzten auch wir uns nieder und lachten schallend los. Nun mußten wir so rasch wie möglich zurück zum Floß paddeln, um auch die beiden letzten zu beruhigen, die noch nicht draußen gewesen waren. Sie meinten schon allen Ernstes, wir wären alle miteinander vollständig übergeschnappt.
Wir selber waren es und unser eigenes stolzes Fahrzeug, das uns einen so vollständig hoffnungslosen und blödsinnigen Anblick bot, als wir das Ganze zum ersten Mal aus größerem Abstand sahen. Wir hatten uns auf offener See bisher noch nie von »außerhalb« betrachtet. Die Stämme verschwanden bereits unter den kleinsten Wellen. Zu sehen war eigentlich nur die niedrige Hütte mit der breiten Türöffnung und dem zerzausten Blätterdach, die immer wieder aus den Wogen auftauchte. Das sah genauso aus, als würde eine alte norwegische Scheuer hoffnungslos und verloren auf dem offenen Meer herumtreiben, eine windschiefe Heuhütte, voll von sonnverbrannten und bärtigen Lazzaronis. Wenn jemand in einer Badewanne dahergepaddelt wäre, so hätte uns das nicht weniger spontan zum Lachen gereizt. Schon ganz gewöhnliche Wellen stiegen bis zur halben Höhe der Hüttenwand empor, und es sah aus, als müßten sie sich ungehindert in das weit offene Scheunentor hineinwälzen, wo die bärtigen Brüder lagen und glotzten. Aber da schwamm der gebrechliche Bau schon wieder oben auf dem Wasser, und die vier Landstreicher lagen noch immer so trocken, ruppig und unbeteiligt da wie zuvor. Kam eine größere Welle vorbeigerauscht, konnte es geschehen, daß Hütte, Segel und der ganze Mast hinter dem Wasserberg verschwanden. Aber mit unbeirrbarer Sicherheit war die Hütte mit den Landstreichern im nächsten Augenblick wieder obenauf. Das sah ja schlimm genug aus, und wir konnten es kaum fassen, daß es uns an Bord dieses Fahrzeuges bisher so gut gegangen war.
Als wir das nächste Mal hinausruderten, um zu einem gesunden Lachen über uns selbst zu kommen, wäre es um ein Haar schief gegangen. Wind und Wellen waren stärker, als wir angenommen hatten, und so glitt die »Kon-Tiki« weit rascher durch die Wogen, als uns klar war. Wir mußten ums Leben rudern, um mitten auf dem offenen Meer das unsteuerbare Floß wiederzugewinnen, das nicht halten und warten konnte und noch weniger wenden und zurückkommen. Wenn auch die Jungens auf der »Kon-Tiki« das Segel in aller Eile einholten, so drückte doch der Wind derart gegen das Hüttendach, daß das Balsafloß rasch gegen Westen trieb. Wir plantschten hinterdrein in dem tanzenden kleinen Schlauchboot mit den winzigen Spielzeugrudern und kamen bei aller Mühe nicht schneller vorwärts als das Floß. Nur ein Gedanke beherrschte uns: zurück zur »Kon-Tiki«! So durfte sich unsere Mannschaft nicht auflösen! Es waren unangenehme Minuten draußen auf dem Meer, bis wir das entlaufene Floß einholten und zu den anderen an Bord krochen, hinauf auf die Balsastämme, die unsere Heimstatt waren. Von diesem Tage an war es streng verboten, im Gummiboot hinauszuziehen, ohne eine lange Leine am Bug befestigt zu haben, so daß die anderen an Bord das Boot einholen konnten, wenn es notwendig war. Wir kamen deshalb nie weit vom Floß weg, außer der Wind war flau und der Stille Ozean wellte sich in schwachen Dünungen. Solche stille Tage aber hatten wir genug, als die »Kon-Tiki« mitten auf dem Pazifik trieb und das Meer nach allen Richtungen sich einförmig um die Erdkugel wölbte. Da konnten wir unbesorgt unsere Heimstatt verlassen und davonrudern, hinein in den blauen Raum zwischen Himmel und See. Wenn wir dann sahen, wie die Silhouette unseres Fahrzeuges immer kleiner und kleiner wurde und das Rahsegel schließlich zu einem winzigen, unbestimmbaren Viereck am Horizont zusammenschrumpfte, so beschlich uns da draußen manchmal das würgende Gefühl trostloser Verlassenheit. Endlos wölbte sich das Meer unter uns, blau wie der Himmel darüber. Und dort in der Ferne, wo beide zusammentrafen, floß das Blau des Himmels mit dem des Wassers zusammen. Beinahe hatten wir das Gefühl, im leeren Raum zu schweben. Die ganze Welt war leer und blau und kein einziger fester Punkt in ihr, außer der Tropensonne, die uns in den Nacken brannte, gelb und warm. Weit draußen am Horizont stand das Segel des einsamen Floßes und zog uns an wie ein magnetischer Punkt. Wir ruderten zurück und krochen an Bord. Hier fühlten wir uns daheim, in unserer eigenen Welt, und geborgen, auf sicherem und festem Boden. Drinnen in der Hütte fanden wir Schatten, den Geruch von Bambus und von welken Palmenblättern. Die sonnenerfüllte, blaue Reinheit da draußen wurde nun durch die offene Hüttenwand begrenzt und gemildert. So waren wir es gewohnt. So war es gut. Wenigstens eine Zeitlang, bis die blaue Ferne uns erneut verlockte.
Es war höchst eigentümlich, welch starke psychologische Wirkung die löcherige, kleine Bambushütte auf unser Gemüt hatte. Sie maß nicht mehr als acht mal vierzehn Fuß und war, um den Winddruck zu vermindern, so niedrig gebaut, daß wir unter ihrem First nicht aufrecht stehen konnten. Wände und Dach bestanden aus einem zusammengeknüpften, kräftigen Bambusgestänge und waren mit zähem Flechtwerk aus gespaltenem Bambus verschalt. Die grünen und gelben Sprossen und die Blattansätze, die vom Dachrand herunterhingen, gaben eine ganz andere Ruhe für das Auge als eine weiß bemalte Wand. Obwohl die Steuerbordlängswand zu einem Drittel offen war und auch Dach und Wände Sonne und Mond hereinließen, gab uns diese primitive Höhle doch ein weit größeres Sicherheitsgefühl, als weißgestrichene Schotten und verschalte Bullaugen es unter denselben Verhältnissen getan hätten. Wir versuchten, eine Erklärung für diese wunderliche Tatsache zu finden und kamen zu folgendem Ergebnis: Unser eigenes Bewußtsein war es schlechterdings nicht gewohnt, ein palmengedecktes Bambushaus mit der Vorstellung einer Seereise zu verbinden. Es bestand keine natürliche Harmonie zwischen dem großen, rollenden Meer und der kleinen, schattigen Palmenhütte, die zwischen den Wellen umherschwamm. Daher mußte entweder die Hütte inmitten des Meeres durchaus fehl am Platz erscheinen, oder die Wogen rund um die Hüttenwände mußten deplaciert wirken. Das zweite war denn auch der Fall, solange wir uns an Bord hielten. Vom Gummiboot aus gesehen, tauschten Wellen und Hütte ihre Rollen. Die Tatsache, daß die Balsastämme immer wie eine Möwe auf den Seen schaukelten und das Wasser am Heck durchließen, gab uns ein unerschütterliches Zutrauen zu dem trocken gelegenen Teil mitten auf dem Floß, wo die Hütte stand. Je länger die Reise dauerte, desto sicherer fühlten wir uns in unserer gemütlichen Höhle, und wir sahen auf die sich aufbäumenden Wogen, die an der Türöffnung vorbeitanzten, wie auf ein imponierendes Stück im Kino, das uns selber absolut nicht betraf. Wenngleich die offenstehende Wand nur fünf Fuß vom ungeschützten Floßrand entfernt war und nicht höher als eineinhalb Fuß über der Wasserlinie lag, so fühlten wir uns, als wären wir auf unserer Reise viele Meilen weit weg vom Meer entfernt. Augenblicklich waren wir in eine richtige Dschungelwohnung versetzt und geborgen vor den Gefahren des Ozeans, wenn wir nur durch die Tür hereinkrochen. Hier konnten wir uns auf den Rücken legen und in das merkwürdige Dach hinaufschauen, das sich wie Astwerk im Winde wiegte, und es uns bequem machen, während uns der Dschungelduft von rohem Holz, Bambus und welken Palmblättern umschmeichelte.