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Aus Bast und anderen Pflanzenfasern wurden unzerreißbare Seile geflochten, und mit festgefügten Holzrahmen zog die Menschenmasse den Steinkoloß über Stämme und kleine Rollsteine, glatt geschmiert mit Tarowurzeln. Daß das alte Kulturvolk meisterhaft verstand, Tauwerk zu flechten und Seile zu drehen, ist von den Südseeinseln und vielleicht noch mehr aus Peru wohlbekannt, wo die ersten Europäer Hunderte Meter lange Hängebrücken über Wasserfälle und Schluchten mit Hilfe von geflochtenen Tauen ausgespannt fanden, stark wie der Leib eines Mannes.

Waren die Steinkolosse auf ihrem auserwählten Platz angelangt und sollten nun aufgestellt werden, dann entstand das nächste Problem. Aus Stein und Sand baute die Menge eine Hilfsrampe und zog den Riesen die sanfte Seite mit den Füßen voran hinauf, ließ ihn über die scharfe Kante kippen und hinuntergleiten, so daß das Fußende in einer fertigen Grube landete. Solange die Schrägfläche noch stand und gegen das Hinterhaupt des Riesen führte, rollten sie einen besonderen Steinzylinder hinauf und brachten ihn über dem Scheitel an. Dann erst wurde der Hilfsbau abgetragen. Solche fertige Rampen stehen an vielen Stellen der Osterinsel und warten auf Riesenfiguren, die nie mehr kamen. Die Technik ist bewunderungswürdig, aber keineswegs mysteriös, wenn wir nur aufhören, die Intelligenz der vorzeitlichen Baumeister und ihren Vorrat an Zeit und Menschenmaterial zu unterschätzen.

Warum aber errichteten sie diese Steinbilder? Und warum war es notwendig, aus einem anderen Steinbruch, sieben Kilometer weit von der Kraterwerkstatt, einen Block von einer besonderen roten Felsart herbeizuschaffen, um ihn der Statue aufs Haupt zu setzen? Sowohl in Südamerika wie auf den Marquesasinseln war oft die ganze Statue aus solchem roten Stein, und er mußte oft weit hergebracht werden. Roter Kopfschmuck für hochstehende Personen war in Polynesien so wichtig wie in Peru.

Betrachten wir zunächst, wen die Statuen eigentlich darstellen. Als die ersten Europäer die Insel besuchten, sahen sie seltsame weiße Männer an Land mit langwallendem Bart, etwas ganz Ungewöhnliches unter diesen Volksstämmen. Diese waren Nachkommen von Frauen und Kindern, die von der ersten Bevölkerung der Insel am Leben geblieben waren. Die Eingeborenen erzählten selbst, daß manche von ihren Vorvätern weiße Hautfarbe besaßen, während die anderen braunhäutig waren. Nach ihrer sorgfältigen und genauen Überlieferung waren die Braunen von den anderen polynesischen Inseln her eingedrungen, während die Weißen schon vor siebenundfünfzig Generationen, also ungefähr 400 bis 500 n. Chr., mit großen Fahrzeugen vom Osten her gekommen waren. Die Leute aus dem Osten wurden »Langohren« genannt, weil sie sich Gewichte in die Ohrläppchen hängten und diese künstlich so dehnten, daß sie ihnen bis auf die Schultern herabhingen. Es waren die mystischen »Langohren«, die erschlagen wurden, als die »Kurzohren« die Insel in Besitz nahmen. So haben denn auch alle Steinfiguren auf der Osterinsel bis auf die Schultern herabreichende Ohren, nicht anders als die Bildhauer selber sie getragen hatten.

Nun erzählen jedoch die Inkalegenden in Peru, daß der Sonnenkönig Kon-Tiki über ein Volk von weißen und bärtigen Männern geherrscht habe, die von den Inkas »Großohren« genannt wurden, weil sie ihre Ohren künstlich verlängerten, daß sie ihnen bis auf die Schultern gingen.

Diese Legenden sagen ausdrücklich, daß es Kon-Tikis »Großohren« waren, die jene verlassenen Riesenstatuen in den Anden aufgerichtet hatten, bevor sie von den Inkas selber in einer Schlacht auf einer Insel des Titicacasees ausgerottet oder vertrieben wurden.

Also:    Kon-Tikis weiße »Großohren«, die allein jene kolossalen Steinstatuen herstellten, verschwanden mit ihren Kenntnissen und ihrer reichen Bildhauererfahrung von Peru nach Westen, und Tikis weiße »Langohren« kamen aus dem Osten bei der Osterinsel an, wohlbewandert in eben dieser Kunst. Dort haben sie denn auch ihre Skulpturarbeiten mit so vollendetem Können wieder aufgenommen, daß sich auf der kleinen Osterinsel nicht die geringste Spur einer Entwicklung feststellen läßt, die zu den Meisterwerken auf der Insel emporführen würde.

Oft gleichen sich die großen Steinstatuen in Peru und die auf einzelnen Südseeinseln mehr, als die Riesenstatuen auf den verschiedenen Südseeinseln untereinander. Auf den Marquesasinseln und auf Tahiti führen diese Skulpturen den Sammelnamen Tiki. Sie stellen verehrte Ahnen aus der Inselgeschichte dar, die nach ihrem Tod den Rang von Göttern erhielten. Und darin liegt zweifellos die Erklärung für die wunderlichen roten Kalotten auf dem Scheitel der Osterinselfiguren.

Wie erwähnt, leben auf allen Inseln in Polynesien vereinzelte Menschen und ganze Familien mit rötlichem Haar und heller Haut. Die Eingeborenen behaupten selber, daß eben diese Leute von dem ersten weißen Volk auf den Inseln abstammen. Auf einzelnen Eilanden färbten die Teilnehmer bei bestimmten religiösen Festen ihre Haut weiß und das Haar rot, um ihren ältesten Ahnen zu gleichen. Bei den jährlichen Zeremonien auf der Osterinsel wurde den Hauptpersonen des Festes das Kopfhaar geschoren, so daß der Haarboden rot bemalt werden konnte. Auch bei den Götterbildern waren die riesigen roten Steinkalotten sorgfältig in einer Art und Weise zugehauen, die der lokalen Männerfrisur vollkommen entsprach. Sie hatten einen runden Knoten über dem Scheitel, genau wie die Männer selber das Haar in einem kleinen traditionellen Knoten in der Kopfmitte zusammenbanden.

Darum haben die Statuen auf der Osterinsel lange Ohren, weil die Bildhauer sich selber die Ohren verlängerten. Sie erhielten einen besonderen roten Kopfschmuck, weil auch ihre Schöpfer rötliches Haar hatten. Sie hatten das Kinn zu einer spitzen und hervorstehenden Kante zugehauen, weil ihre lebenden Vorbilder lange Bärte trugen. Alles in allem zeigen sie die typische Physiognomie der weißen Rasse mit schmalem, hervorstehendem Nasenrücken und dünnen, scharfen Lippen, weil eben die »Langohren« nicht der braunen Rasse angehörten. Und wenn die Statuen gewaltige Köpfe und winzige Beine zeigten und die Hände über dem Leib gefaltet hielten, so entsprach das eben der aus Peru überkommenen Art, Götterbilder zu schaffen. Der einzige Schmuck der Osterinselfiguren ist ein Gürtel, der rund um den Leib aus dem Stein herausgemeißelt wurde. Denselben symbolischen Gürtel tragen auch Tikis alte Riesenbildwerke am Titicacasee. Es ist der Regenbogengürtel, das mystische Emblem des Sonnengottes. Auf der Mangarevainsel gab es eine alte Mythe. Sie erzählte, daß der Sonnengott den Regenbogen, der sein magischer Gürtel war, von sich streckte und entlang des Gürtels vom Himmel herab nach Mangareva stieg, um die Insel mit seinen weißhäutigen Kindern zu bevölkern. Genauso wie in Peru war auch auf allen diesen Inseln die Sonne einmal als ältester Stammvater angesehen worden.

Wir saßen an Deck unter dem Sternenhimmel und durchlebten die eigentümliche Geschichte der Osterinsel. Unser Floß freilich führte uns direkt in das Herz Polynesiens, so daß wir von diesem verlorenen Eiland nicht mehr zu sehen bekamen als den Namen auf der Karte.

Doch diese Insel ist so voll von Spuren aus dem Osten, daß selbst ihr Name als Wegweiser dienen kann.

Auf der Karte steht »Osterinsel«, weil irgendein zufälliger Holländer die Insel an einem Ostertag »entdeckt« hat. Wir haben darüber vergessen, daß die Eingeborenen, die damals schon lange auf der Insel wohnten, weit lehrreichere und bedeutungsvollere Bezeichnungen für ihre Heimat besaßen. Ein liebes Kind hat viele Namen, und diese bedeutsame kleine Insel hat in der polynesischen Sprache nicht weniger als drei.

Der erste Name »Te-Pito-te-Henua« bedeutet »Nabel der Inseln«. Diese poetische Bezeichnung zeigt nun deutlich genug eine Sonderstellung der Osterinsel gegenüber den anderen Eilanden weiter im Westen. Nach der Tradition der Polynesier ist es der älteste Name des Eilandes. Auf der Ostseite der Insel, nahe der Stelle, an der nach der Überlieferung die ersten »Langohren« gelandet sind, liegt ein besonders sorgfältig behauener Stein. Er heißt »Goldener Nabel« und wird als Nabel der Osterinsel selber angesehen. Jeder, der die dichterische Mentalität der Polynesier kennt, wird verstehen, daß diese symbolische Bezeichnung auf die ursprüngliche Entdeckung des Inselreiches oder auf seine »Geburt« gemünzt ist. Die abgeschiedene und weit nach Westen vorgelagerte Osterinsel wird als Nabel der anderen Eilande, d. h. als Ursprungsort und Bindeglied zum fernen Mutterland, verehrt.