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Erich entwickelte von neuem, diesmal mit glänzendem Resultat.

Das Wellenreich im Äther, das uns von Torstein und Knut verdolmetscht wurde, war natürlich in Kon-Tikis fernen Tagen ein noch unbekannter Luxus gewesen. Aber das Wellenreich unter uns war das gleiche, damals wie heute, und unser Balsafloß zog unbeirrt nach Westen, nicht anders, als es seine Vorgänger vor 1500 Jahren getan hatten.

Das Wetter wurde veränderlich. Da wir den Südseeinseln näher kamen, gab es vereinzelte Regenschauer. Auch der Passatwind änderte seine Richtung. Früher hatte er stetig und zuverlässig von Südost geblasen, bis wir ein gutes Stück draußen im Äquatorstrom waren. Dort hatte er sich dann mehr und mehr in genau östliche Richtung gedreht. Am 10. Juni hatten wir mit 6 Grad 19 Minuten südlicher Breite unsere nördlichste Position erreicht. Wir waren so dicht am Äquator, daß es aussah, als sollten wir selbst an den nördlichsten Inseln der Marquesasgruppe vorbeisegeln und vollständig ins Meer hinaustreiben, ohne je Land zu sichten. Aber da drehte sich der Passat von Osten nach Nordosten und schob uns in weitem Bogen herunter bis in die Breitengrade der Inselwelt.

Draußen auf dem Meer kam es oft vor, daß Wind und Strömung mehrere Tage hindurch völlig konstant blieben. Abgesehen von den Nächten, in denen der Steuerposten allein an Deck war, vergaßen wir da oft ganz, wer gerade Steuerwache hatte. Denn das Steuerruder wurde festgebunden, wenn das Wetter so beständig war, und das Segel der »Kon-Tiki« straffte sich im stetigen Wind, ohne unsere Aufmerksamkeit zu brauchen. Da konnte dann auch die Nachtwache in aller Ruhe an der Hüttenöffnung sitzen und nach den Sternen gucken. Wechselten die Sternbilder am Himmel ihren Platz, so war es an der Zeit, aufzustehen und nachzusehen, ob der Wind oder das Steuerruder sich gedreht hatten. Es war unglaublich leicht, den Kurs nach den Sternen zu nehmen, nachdem wir sie erst einmal einige Wochen hindurch über das Himmelsgewölbe kreisen gesehen hatten. Es gab ja überhaupt kaum anderes, das wir in der Nacht betrachten konnten. Bald wußten wir, wo wir die einzelnen Sternbilder Nacht für Nacht erwarten konnten. Als wir gegen den Äquator kamen, stieg der Große Bär so hoch über den Horizont im Norden, daß wir schon fürchteten, einen Blick vom Polarstern zu erhaschen. Der taucht nämlich auf, wenn man von Süden kommend den Äquator kreuzt. Aber der Große Bär versank wieder, als der Nordostpassat einsetzte.

Die alten Polynesier waren große Seefahrer. Sie steuerten am Tag nach der Sonne und in der Nacht nach den Sternen. Ihre astronomischen Kenntnisse waren verblüffend. Sie wußten, daß die Erde rund ist, und hatten Namen für so komplizierte Begriffe wie Äquator, Ekliptik und nördlichen und südlichen Wendekreis. Auf Hawaii schnitten sie Seekarten ihrer Meeresumgebung in die Schale von runden Flaschenkürbissen, und auf einzelnen anderen Inseln stellten sie Detailkarten aus Flechtwerk her, wobei Perlmuttschalen die Inseln darstellten und Knoten bestimmte Strömungsrichtungen markierten. Die Polynesier kannten fünf Planeten, die sie wandernde Sterne nannten, und unterschieden sie von den Fixsternen, für die sie fast dreihundert verschiedene Namen geprägt hatten. Ein guter Steuermann im alten Polynesien wußte ganz genau, wo die einzelnen Sterne am Himmel heraufkommen und wo sie zu den verschiedenen Zeiten der Nacht und zu den verschiedenen Zeiten des Jahres stehen würden. Er wußte auch, welche Sternbilder über den einzelnen Inseln kulminierten. Es kam vor, daß eine Insel denselben Namen hatte wie der Stern, der über ihr stand, Nacht um Nacht, Jahr um Jahr.

Weil der Sternenhimmel wie ein Riesenkompaß über ihnen von Osten nach Westen rotierte, erkannten sie bald, daß die Sterne gerade über ihnen immer verrieten, wie weit nördlich oder südlich sie sich befanden. Da die Polynesier das ganze Meer fast bis Amerika erforscht und unterworfen hatten, konnten sie auch viele Generationen hindurch Verkehr zwischen den einzelnen Inseln aufrechterhalten. Geschichtliche Überlieferungen berichten, daß die Häuptlinge von Tahiti Hawaii besuchten, das über zweitausend Seemeilen weiter nördlich und einige Grade weiter westlich liegt.

Da steuerte dann der Mann am Ruder nach der Sonne und nach den Sternen zuerst direkt nach Norden, bis die Sterne gerade über seinem Kopf ihm sagten, daß er den Breitengrad Hawaiis erreicht hatte. Dann schwenkte er im rechten Winkel mit Kurs nach Westen, bis er so nahe kam, daß Vögel und Wolken ihm verrieten, wo die Inselgruppe lag.

Woher hatten die Polynesier ihr großartiges astronomisches Wissen und ihren Kalender, der so verblüffend genau errechnet war? Sicherlich nicht von den melanesischen und malaiischen Völkerschaften im Westen. Aber dasselbe verschwundene alte Kulturvolk, die »weißen und bärtigen Männer«, die den Azteken, Inkas und Mayas ihre verblüffende Kultur in Amerika gebracht hatten, hatte ebenfalls einen bemerkenswert ähnlichen Kalender ausgearbeitet und besaß das gleiche astronomische Wissen, mit dem Europa in der entsprechenden Zeit nicht konkurrieren konnte.

Wo das Festland gegen den Stillen Ozean absinkt, steht heute noch in Peru ein uraltes Observatorium im Wüstensand, eine Erinnerung an dasselbe rätselhafte Kulturvolk, das Steinkolosse meißelte, Pyramiden erbaute und Süßkartoffeln und Flaschenkürbisse zog.

Am 2. Juli konnte die Nachtwache nicht in Frieden sitzen und den Sternenhimmel studieren. Nach vielen Tagen mit flauer Nordostbrise bekamen wir kräftigen Wind und schwere See. Gegen Nacht hatten wir bei strahlendem Mondschein eine wirklich frische Segelfahrt. Wir maßen die Geschwindigkeit, indem wir ganz vorne am Seitenbalken einen Span hinauswarfen und dann die Sekunden zählten, bis wir ihn mit dem Heck passierten. Dabei stellten wir fest, daß wir jetzt unseren privaten Fahrtrekord erreicht hatten. Für eine Strecke in Länge des Seitenbalkens brauchten wir im Durchschnitt zwölf bis achtzehn Sekunden oder, in unserem Jargon, zwölf bis achtzehn »Späne«. Jetzt aber hielten wir uns eine Zeitlang auf einer Geschwindigkeit von sechs Spänen, und das Meerleuchten wirbelte in einem anständigen Kielwasser hinter dem Floß.

Vier Mann lagen in der Bambushütte und schnarchten. Torstein klapperte mit der Morsetaste, und ich hatte Steuerwache. Da bemerkte ich knapp vor Mitternacht eine ungewöhnlich große Woge, die sich überschlug und hinter uns quer über das ganze unruhige Gesichtsfeld daherjagte. Ab und zu konnte ich hinter ihr den brausenden Kamm von ein paar anderen, ähnlichen Riesenwogen sehen, die ihr auf den Fersen folgten. Hätten wir nicht selber vor kurzem die Stelle gekreuzt, so wäre ich überzeugt gewesen, daß es hohe Brandungswellen seien, die sich über einer gefährlichen Untiefe auftürmten. Schon kam die erste See wie eine lange Mauer hinter uns im Mondlicht einhergefegt. Ich rief eine Warnung und drehte das Floß in die rechte Stellung, um zu nehmen, was da kam. Als die See uns erreichte, warf das Floß den Achtersteven seitlich in die Luft und schwang sich auf den Wogenrücken, der im selben Augenblick tosend zusammenbrach, so daß es über den ganzen Kamm hin zischte und sprühte. Wir ritten durch tanzende, schäumende Wirbel, die brodelnd zu beiden Seiten über das Floß hereinquollen, während die schwere See sich unter uns vorbeiwälzte. Der Bug schwang sich zuletzt empor, als die Woge passierte, und wir glitten rücklings hinunter in ein breites Wellental. Doch da kam schon die nächste Wasserwand dahergejagt und türmte sich vor uns auf. Von neuem wurden wir elegant in die Luft gehoben. Brechend schlugen die klaren Wassermassen über unserem Steven zusammen, als wir die Kurve nahmen. Nun hatten uns die Wogen gänzlich quer gestellt, und es war unmöglich, das Floß rasch genug zu wenden. Die nächste See brauste daher und hob sich wie eine blinkende Wand aus dem Schaumstreifen. Und in dem Augenblick, da sie uns erreichte, überschlug sie sich in einem gewaltigen Brecher. Tosend stürzte er auf uns nieder. Ich wußte mir keinen Ausweg und hängte mich mit aller Kraft an einen Bambuspfosten, der aus dem Hüttendach herausstand. Da klammerte ich mich fest und hielt den Atem an, bis ich merkte, daß wir in die Höhe geschleudert wurden und alles umher in brausenden Schaumwirbeln verschwand. Plötzlich waren wir mit der »Kon-Tiki« wieder über dem Wasser und glitten langsam einen sanften Wogenrücken auf der anderen Seite hinab. Die Wellen waren wieder wie gewöhnlich. Vor uns jagten die drei schweren Wogenwände weiter übers Meer, und hinter uns tanzte eine lange Reihe von Kokosnüssen.