Die letzte Woge hatte der Hütte einen kräftigen Stoß gegeben, so daß Torstein im Radiowinkel herumgeschleudert wurde. Erschreckt von dem Krachen fuhren die anderen aus dem Schlaf, während das Wasser zwischen den Stämmen heraufspritzte und durch die Wände hereinrann. Auf der Backbordseite des Vorderdecks war das Bambusflechtwerk aufgerissen wie ein kleines Kraterloch, und der Taucherkorb am Bug war flachgeschlagen. Aber sonst war alles wie früher.
Wir erhielten nie eine sichere Erklärung, woher diese drei großen Wogen gekommen waren. Vermutlich wurden sie durch Veränderungen am Meeresboden verursacht, die in diesen Breiten nicht selten sind.
Zwei Tage später bekamen wir unseren ersten Sturm. Es begann damit, daß der Passat vollständig wegstarb. Auch die federleichten weißen Passatwolken verschwanden, die über uns im obersten Blau geschwommen waren. Rasch wurden sie von einer dicken, schwarzen Wolkenbank verdrängt, die über den Horizont im Süden herauf rollte. Schon kamen auch, meist aus ganz unerwarteten Richtungen, die ersten Böen dahergejagt. Der Steuerposten konnte nicht länger Ordnung halten. Kaum hatte er das Achterende gegen den neuen Wind gedreht, so daß das Segel wieder steif und sicher stand, so warfen sich die Windstöße schon wieder aus einer anderen Richtung auf uns und drückten die stolze Wölbung aus dem Segel, das sich knatternd wand und schlug und eine Gefahr für Last und Leute wurde. Plötzlich fuhr der Wind direkt aus der Richtung des Unwetters auf uns los. Schwarze Wolkenkulissen schoben sich drohend über den ganzen Himmel. Die steife Brise wurde immer stärker und entwickelte sich zu einem veritablen Sturm.
In unglaublich kurzer Zeit wurden die Seen um uns bis zu fünf Meter Höhe aufgewühlt. Vereinzelte Kämme schäumten sechs bis sieben Meter über den Wellentälern. Waren wir selber unten im Tal, reichten sie bis zur Mastspitze. Da hieß es »Alle Mann an Deck!« Gebückt wanden sie sich aus der Hütte.
Um die Radiostation zu schützen, spannten wir Segeltuch über die Hinterwand und die Backbordseite der Hütte. Alles Lose wurde sicher vertäut. Wir zogen das Segel ein und banden es an die Bambusrah. Da der Himmel sich bezog, wurden die Seen dunkel und drohend. Über das ganze Gesichtsfeld hin war das Meer rundum aufgewühlt und von weißschäumenden Brechern gekrönt. Lange Streifen toten Schaumes lagen in der Windrichtung hinter dem Rücken der Wellen. Überall, wo sich die Wogenkämme überschlagen hatten, standen diese langen, grünen Schlagspuren und schäumten in der blauschwarzen See. Die sich überschlagenden Kämme wurden vom Sturme fortgeblasen, und ein salziger Sprühregen hing über dem Meer. Ein richtiger Tropenregen kam hinzu. Mit heftigsten Windstößen prasselte Schauer um Schauer hernieder und peitschte die wogende Meeresfläche. Was uns aber an Haar und Bart herunterlief, das schmeckte nach Brackwasser, so sehr vermischten sich Regen und sprühende See. Nackt und frierend tasteten wir uns gebückt auf dem Deck umher und trafen die letzten Vorbereitungen für den Sturm. Es war wohl ein wenig gespannte Erwartung und Besorgnis in unseren Blicken, als das Unwetter sich über den Horizont heraufwälzte und uns einfing. Es war ja unser erster Sturm. Doch als er dann mit voller Wucht über uns herfiel und die »Kon-Tiki« sich über alles, was daherkam, so spielend leicht und elegant hinwegschwang, da wurde schließlich der Kampf mit dem Unwetter für uns zu einem spannenden Sport. Alle Mann freuten sich über die Wildheit rings um uns, die das Balsafloß so gut beherrschte. Immer wieder tanzte es wie ein Kork zuoberst auf den Spitzen, und die drohenden Wellenberge glitten unter uns fort. Das Meer hatte bei solchem Wetter viel mit dem Gebirge gemeinsam. Es war wie auf einer Hochebene im Sturm, hoch droben zwischen den obersten, grauen, nackten Bergflanken. Mochten wir auch mitten im Herzen der Tropen sein: Wenn das Floß über die wogende Meeresweite auf und nieder schlitterte, so dachten wir ständig an Fahrten an stiebenden Schneewächten und Abhängen entlang.
Die Ruderwache freilich mußte bei solchem Wetter höllisch aufpassen. Wenn steile Seen die vordere Hälfte des Floßes passierten, dann hoben sich die Stämme am Heck hoch aus dem Wasser. Doch in der nächsten Sekunde kippten sie nach unten und kletterten einen neuen Wogenkamm empor. Folgten die Seen so dicht aufeinander, daß uns die hintere erreichte, während die vordere noch unseren Bug in die Luft drückte, dann donnerten mit einem schreckenerregenden Brausen mächtige Wassermassen über die Ruderwache herein. Aber im nächsten Augenblick wippte der Achtersteven wieder in die Luft, und die Wasserflut verschwand zwischen den Stämmen wie durch die Zinken einer Gabel.
Wir rechneten aus, daß bei ruhiger See gewöhnlich alle sieben Sekunden ein Wogenkamm auf den anderen folgte und wir dabei an einem Tag rund zweihundert Tonnen Wasser übers Heck hereinbekamen. Diese Wassermenge merkten wir kaum, weil sie um die bloßen Beine der Steuerwache ruhig hereinströmte und ebenso ruhig zwischen den Stämmen wieder verschwand. Aber im tollen Unwetter wälzten sich im Laufe eines Tages mehr als zehntausend Tonnen Seewasser über unser Heck. Oft mochten das nur ein paar Liter sein, oft zwei bis drei Kubikmeter und in einzelnen Fällen sogar noch erheblich mehr, die da alle fünf Sekunden über Bord schäumten. Manchmal brachen sie mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag über das Heck herein, daß der Mann am Ruder bis zum Bauch im Wasser stand und das Gefühl hatte, sich gegen einen reißenden Gebirgsbach zu stemmen. Einen Augenblick stand das Floß gleichsam zögernd da. Aber dann rann die ungleichmäßige Last wieder in großen Kaskaden von Bord.
Hermann war mit seinem Anemometer ständig unterwegs und maß die Sturmstöße, die einen Tag anhielten. Dann flauten sie zu einer steifen Brise mit vereinzelten Regenböen ab, die weiterhin die See um uns im Kochen hielten. Wir aber segelten mit frischer Fahrt nach Westen.
Um zwischen den turmhohen Seen eine richtige Windmessung durchzuführen, mußte Hermann, soweit das möglich war, auf die schwankende Mastspitze hinaufklettern. Dort aber hatte er allem mit dem Festhalten mehr als genug zu tun.
Als der Sturm abflaute, schienen die Großfische rund um uns vollständig verrückt geworden zu sein. Das Wasser um das Floß war voll von Haien, Thunfischen, Dolfinen und vereinzelten verstörten Bonitos, die sich alle dicht unter den Bohlen oder in den nächsten Wogen um uns herumtrieben. Es war ein ständiger und wilder Kampf ums Leben. Große Fischrücken schnellten über das Wasser und schössen wie Raketen hintereinander her. Das Wasser um das Floß färbte sich mehr und mehr mit dickem Blut. Es waren vor allem Thunfische und Dolfine, die aneinandergerieten. Die Dolfine kamen in großen Schwärmen, die sich weit rascher und wacher bewegten als gewöhnlich. Der Thunfisch aber war der Angreifer. Mit seinen siebzig bis achtzig Kilogramm fuhr er oft hoch in die Luft, einen blutigen Dolfinschädel im Maul. Sausten auch einzelne Dolfine davon, verfolgende Thunfische dicht auf den Fersen, so blieb der übrige Dolfinschwarm doch eng beisammen an seinem Platz. Aber immer mehr zogen mit großen, klaffenden Wunden im Nackenkamm dahin. Ab und zu wurden auch die Haie blind vor Raserei. Wir sahen sie mit großen Thunfischen kämpfen, die dabei auf einen überlegenen Gegner stießen.