Torstein, der zunächst stand, warf sich über die Bambustrommel mit der Leine, die wir fürs Gummiboot brauchten, denn er hatte sie in Reichweite. Doch gerade jetzt, das einzige Mal auf der ganzen Reise, verklemmte sie sich. All das geschah im Laufe von wenigen Sekunden. Hermann war jetzt auf gleicher Höhe mit dem Heck, und seine letzte Chance bestand darin, gegen das Blatt des Steuerruders zu schwimmen und sich dort festzuhängen. Doch das ging nicht. Er streckte sich nach dem Ruderblatt, aber immer wieder glitt es ihm davon. Und jetzt war er hinter dem Floß und lag genau dort, wo wir schon soviel anderes gesehen hatten, das wir nie mehr wieder bekamen. Während Bengt und ich das Schlauchboot aufs Wasser setzten, warfen Knut und Erich die Rettungsweste aus, die an einer langen Leine unter dem Hüttendach bereithing. Doch heute war der Winddruck so stark, daß sie auch beim kräftigsten Wurf wiederum zurück aufs Deck flog. Nach ein paar vergeblichen Versuchen lag Hermann bereits weit hinter dem Steuerruder und kraulte ums Leben, um dem Floß nachzukommen. Doch mit jedem Windstoß vergrößerte sich der Abstand zwischen ihm und uns. Er erkannte, daß von nun an der Zwischenraum immer größer werden würde, doch hoffte er schwach auf das Gummiboot, mit dem wir vom Floß abgestoßen waren. Ohne bremsende Leine wäre es vielleicht möglich gewesen, mit dem Schlauchboot den schwimmenden Mann zu erreichen. Ob jedoch das Gummifloß die »Kon-Tiki« jemals wieder einholen würde, das war eine andere Frage. Immerhin, drei Mann im Schlauchboot hatten eine Chance. Ein Mann im Meer hatte keine.
Plötzlich sahen wir Knut einen Anlauf nehmen und sich mit einem Satz kopfüber in die Wogen stürzen. Er hatte die Schwimmweste in der einen Hand und hielt sich daran fest. Jedesmal, wenn Hermanns Kopf auf einem Wogenrücken in Sicht kam, war Knut verschwunden. Jedesmal, wenn Knut in die Höhe kam, war Hermann weg. Aber dann sahen wir auf einmal beide Köpfe nebeneinander. Sie waren einander entgegengeschwommen und klammerten sich nun alle zwei an die Rettungsweste. Knut winkte mit dem Arm. Da wir in der Zwischenzeit das Gummiboot wieder hochgezogen hatten, packten wir alle vier die Leine zur Schwimmweste und zogen ums Leben. Denn draußen bewegte sich hinter den beiden etwas Großes und Dunkles in den Wellen. In wilder Hast holten wir die Leine ein und starrten wie gebannt auf die geheimnisvolle Bestie dahinten im Wasser, die ein großes, grünschwarzes Dreieck über die Wogenkämme herausstreckte. Diese dreieckige Rückenflosse hatte schon Knut einen Schock versetzt, als er hinaussprang, um Hermann entgegenzuschwimmen. Nur Hermann allein wußte, daß dieses Dreieck weder zu einem Hai noch zu einem anderen Ungeheuer gehörte. Es war ein luftgefülltes Eck von Torsteins wasserdichtem Schlafsack. Doch der Schlafsack schwamm nicht lange hinterher. Als wir die zwei an Bord zogen, war er plötzlich verschwunden.
Je nun, wer auch immer den Schlafsack in die Tiefe gezogen haben mochte, er hatte eben eine bessere Beute versäumt.
»Bin ich froh, daß ich nicht drinstecke!« sagte Torstein und griff wieder nach dem Steuerruder.
Im übrigen aber war er an diesem Abend sehr sparsam mit munteren Antworten. Uns allen ging es noch lange eisig durch Mark und Bein, sooft wir daran dachten. Doch in das kalte Gruseln mischte sich warme Dankbarkeit, daß wir weiterhin sechs Mann an Bord waren. Wir hatten Knut sehr viel Schönes zu sagen an diesem Tag, Hermann und auch wir anderen.
Doch es blieb uns nicht viel Zeit, an das zu denken, was geschehen war. Rund um uns wurde es schwarz, und die Windstöße nahmen ständig an Stärke zu. Bevor noch die Nacht kam, ritten wir schon in einen neuen Sturm hinein. Endlich kamen wir auf den Gedanken, die Rettungsweste an einer langen Leine hinter dem Floß nachzuziehen. Nun hing sie weit hinter dem Steuerruder, und wir konnten auf sie zuschwimmen, wenn einer von uns mit einer Bö wieder über Bord gehen sollte. Die Nacht brach herein. Im tobenden Unwetter wurde es völlig finster um uns. Wir konnten den Sturm nur noch hören und fühlen. Der Wind heulte in den Masten und Pardunen und warf sich mit so wilden Stößen gegen die ächzende Hütte, daß wir glaubten, sie müsse über Bord fliegen. Doch wir hatten Segeltuch darüber gedeckt und es gut verankert. Bald spürten wir, wie die »Kon-Tiki« in den schäumenden Wogen umhergeworfen wurde und die Stämme unseres Floßes in ständigem Auf und Ab über die brechenden Kämme hinwegtanzten. Wir waren immer wieder erstaunt, daß keine Wasserkaskaden durch die klaffenden Spalten zwischen den Bohlen heraufspritzten. Doch die Zwischenräume wirkten nur wie ein richtiggehender Blasebalg, durch den eine scharfe Luft auf und nieder pfiff.
Fünf volle Tage tobte die See. Sturm wechselte mit steifem Wind. Tief aufgewühlt wogte das Meer. Die weiten Wellentäler waren erfüllt vom brausenden Rauch zerstäubender, graublauer Seen. Heulende Windstöße peitschten die Wogenrücken, die unter dem Druck des Sturmes gleichsam lang und flachgepreßt einherfegten. Dann, am fünften Tag, riß die unheildrohende schwarze Wolkendecke auseinander, und ein Stückchen Blau guckte hindurch. Langsam verzog sich das Unwetter, und bald strahlte der ewig siegende blaue Himmel wieder im Sonnenglast. Wir hatten den Sturm überstanden. Das Steuerruder war geknickt, das Segel zerfetzt, und die Senkkiele hingen lose. Sie hatten alle Taue abgestreift, von denen sie unter Wasser festgehalten wurden, und schlugen nun wie Brecheisen zwischen den Stämmen.
Aber wir selbst und die Ladung waren allesamt völlig unbeschädigt.
Nach zwei Stürmen war die »Kon-Tiki« recht schlottrig geworden. Das ganze Gefüge hatte sich gelockert. Durch die Belastung bei der Fahrt über steile Wogenrücken hatten sich alle Taue gedehnt. Dauernd bewegten sich die Stämme, und so hatten sich die Seile tief in das weiche Balsaholz hineingefressen. Wir dankten dem Schicksal, daß wir dem Vorbild der Inkas gefolgt waren und keine Stahltrossen verwendet hatten. Die hätten uns im Sturm das ganze Floß einfach zu Kleinholz gesägt. Und hätten wir knochentrockenes, hochhinausschwimmendes Balsaholz zum Floßbau benützt, so wären die Bohlen schon längst, vollgesogen mit Seewasser, unter uns im Meer versunken. Doch der Saft in den frischen Stämmen wirkte als Imprägnierung und hinderte das Wasser, in das poröse Balsaholz hineinzusickern. Nun aber ließ das Tauwerk so viel Spielraum, daß man leicht mit dem Fuß zwischen die Stämme rutschen konnte. Das war gefährlich genug. Drückten die Bohlen nämlich mit gewaltiger Kraft zusammen, so quetschten sie einem bestimmt das Bein ab. Vorn und achtern, wo kein Bambus darüberlag, mußten wir daher höllisch aufpassen. Da standen wir nun mit je einem Bein auf einem schwankenden Stamm. Die Bohlen gingen auf und nieder, und wir versuchten, ihre Bewegung mit den Knien auszugleichen. Die Stämme waren glatt wie Bananenblätter und von glitschigen Wasserpflanzen überzogen. Wir säuberten unseren Weg zum Ruder von allem lästigen Grünzeug und befestigten ein Brett, auf dem der Steuerposten stehen konnte. Trotzdem war es nicht leicht, bei hohem Seegang festen Fuß zu fassen. Auf Backbord war einer von den neun großen Riesen besonders ungebärdig. Er stieß und stampfte Tag und Nacht mit dumpfem, nassem Schlag gegen die Querbalken. Auch das Tauwerk, das die beiden schrägen Masten an der Spitze zusammenhielt, gellte und schrie ganz fürchterlich, denn sie waren auf zwei verschiedenen, weit auseinanderliegenden Stämmen aufgesetzt und bewegten sich dauernd gegeneinander.
Wir versteiften das Steuerruder durch zwei lange Schienen aus eisenhartem Mangleholz, die wir an beiden Seiten festbanden. Erich und Bengt als Segelmacher nahmen sich der zerrissenen Leinwand an, und bald stand der Kon-Tiki-Kopf wieder vor unserem Mast und spannte die Brust in straffer Wölbung gegen Polynesien. Das Steuerruder tanzte hintennach in den Wogen, die bei diesem guten Wetter sanft und mild unter uns dahinglitten. Nur die Senkkiele wurden nie mehr ganz die alten. Sie nahmen den Wasserdruck nicht mit voller Kraft, sondern gaben nach, und da die Pardunen unter dem Floß sie nicht mehr festhielten, pendelten sie dauernd hin und her. Doch es war sinnlos, das Tauwerk an der Unterseite zu kontrollieren. Es war ganz von Tang übergrünt. Wir trugen das ganze Bambusdeck ab und fanden, daß nur drei von den Haupttauen gerissen waren. Sie hatten schlecht gelegen und wurden von der Last, die gegen sie drückte, durchgewetzt. Die Stämme waren viel schwerer geworden. Sie hatten ersichtlich eine gewaltige Menge Wasser aufgesogen. Doch die übrige Last war leichter geworden. Es kam so ziemlich auf das gleiche heraus. Das meiste von Proviant und Trinkwasser war ja bereits verbraucht, ebenso die Trockenbatterien für die Telegraphisten. Die Stämme würden schon noch eine Weile zusammenhalten und uns bis zu den Inseln hinübertragen. Nach dem letzten Sturm waren wir überzeugt, daß unser Floß durchhalten würde.