Aber woher konnte diese späte Einwanderungswelle kommen? Die wenigsten Forscher scheinen den entscheidenden Faktor in Betracht gezogen zu haben, daß es ein rein steinzeitliches Volk war, das die Inseln in so später Zeit erreichte. Trotz Intelligenz und erstaunlich hoher Kultur in allen anderen Bereichen brachten diese Seefahrer eine bestimmte Art von Steinbeilen mit sich und eine Reihe anderer charakteristischer steinzeitlicher Geräte, die sich auf den Inseln verbreiteten. Wir dürfen nicht vergessen, daß es, abgesehen von dem primitiven, isolierten Volk der Urwälder und gewissen tiefstehenden Stämmen, keine fortpflanzungsfähige Kultur in der Welt gab, die sich noch um 500 oder 1100 n. Chr. im Steinzeitalter befand, außer denen in der Neuen Welt. Dort war selbst den höchsten Indianerkulturen der Gebrauch des Eisens völlig unbekannt. Sie verwendeten Steinäxte und -Geräte derselben Typen, die auch auf den Südseeinseln bis zur Zeit der Entdeckung in Gebrauch waren.
Diese zahlreichen Indianerkulturen waren die nächsten Verwandten der Polynesier im Osten. Im Westen wohnten nur Australiens oder Melanesiens dunkelhäutige und primitive Naturvölker, entfernte Verwandte der Neger, und dahinter lagen wieder Indonesien und Asiens Küste, wo die Steinzeit weiter zurückliegt als vielleicht irgendwo anders in der Welt.
So richteten sich meine Aufmerksamkeit und meine Vermutungen immer mehr fort von der Alten Welt, wo schon so viele gesucht und noch keiner gefunden hatte, hinüber auf Amerikas bekannte und unbekannte Indianerkulturen, die bisher keiner in Erwägung gezogen hatte. Und gerade auf der nächsten Küste, genau ostwärts, wo die südamerikanische Republik Peru sich heute vom Stillen Ozean in die Berge hinauf erstreckt, fehlte es nicht an Spuren, wenn einer nur suchen wollte. Hier hat einmal ein unbekanntes Volk gelebt und eine der seltsamsten Kulturen der Welt begründet, bis es plötzlich in der Vorzeit wieder verschwand, wie vom Erdboden verschluckt. Es hinterließ ungeheure, menschenähnliche Steinstatuen, die an die von Pitcairn, Marquesas und von der Osterinsel erinnern, und mächtige Stufenpyramiden, die denen auf Tahiti und Samoa entsprechen. Steinblöcke, so groß wie Eisenbahnwagen, meißelten diese Menschen mit Steinbeilen aus dem Berg und transportierten sie meilenweit durch die Gegend, stellten sie auf oder schichteten sie übereinander, um Tore, Zyklopenmauern und Terrassen zu bauen gleich denen, die wir auf einzelnen Südseeinseln finden.
Als die ersten Spanier nach Peru vordrangen, hatten die Inka-Indianer ihr gewaltiges Reich in diesem Bergland. Sie erzählten ihnen, daß die ungeheuren Denkmäler, die so verlassen in der Landschaft standen, von einem Geschlecht weißer Götter erbaut worden seien, die hier gewohnt hätten, bevor die Inkas selbst die Macht übernahmen. Diese verschwundenen Baumeister wurden als weise und friedliebende Lehrer geschildert, die ursprünglich einmal, im Anfang der Zeiten, von Norden hergekommen waren und die primitiven Vorväter der Inkas in Baukunst und Ackerbau wie auch in Sitten und Gebräuchen unterwiesen hatten. Sie unterschieden sich von allen anderen Indianern durch weiße Haut und lange Bärte und waren auch höher an Wuchs. Schließlich verließen sie Peru so plötzlich, wie sie gekommen waren. Die Inkas übernahmen selbst die Macht im Lande, und die weißen Lehrmeister verschwanden für allezeit in westlicher Richtung von Südamerikas Küste in den Stillen Ozean.
Nun war es so, daß die Europäer, als sie auf die Südseeinseln kamen, blaß erstaunten, wie viele von den Eingeborenen fast weiße Hautfarbe besaßen und Bärte trugen. Auf vielen Inseln waren es ganze Familien, die durch ihre auffallend helle Haut und ihr rötliches bis blondes Haar, durch ihre blaugrauen Augen und ein fast semitisches Aussehen infolge ihrer Adlernase hervorstachen. Die Polynesier selbst hatten ansonsten goldbraune Haut mit rabenschwarzem Haar und flache, stumpfe Nasen. Die Rothaarigen nannten sich selbst »Urukehu« und erzählten, daß sie direkt von den ersten Häuptlingen auf der Insel abstammten, die weiße Götter waren wie eben Tangaroa, Kane und Tiki. Die Legenden um die geheimnisvollen weißen Männer, von denen diese Insulaner sich herleiteten, waren über ganz Polynesien verbreitet. Als Roggeween die Osterinsel im Jahre 1722 entdeckte, traf er zu seinem Erstaunen auch dort hellhäutige Männer an. Die Osterinselleute wußten selbst noch recht gut, daß ihre Vorväter einmal alle weiße Hautfarbe gehabt hatten, damals zu Tikis und Hotu Matuas Zeit, als sie über das Meer gekommen waren »aus einem gebirgigen Lande im Osten, das unter der Sonne verdorrt war«.
Nach allem, was ich las, tauchten in Peru überraschende Spuren kultureller, mythologischer und sprachlicher Art auf, die mich ständig tiefer und konzentrierter nachschürfen ließen, um die Ursprungsstätte des polynesischen Stammvaters Tiki zu identifizieren.
Und ich fand, was ich erhoffte. Eines Tages saß ich und las die Legenden der Inkas vom Sonnenkönig Virakocha, der selbst der Führer des verschwundenen weißen Volkes in Peru gewesen war. Hier stand:
»Der Name Virakocha stammt aus der Inkasprache (ketchua) und ist folglich neueren Datums. Der ursprüngliche Name des Sonnengottes Virakocha, der scheinbar in der alten Zeit Perus verwendet wurde, war Kon-Tiki oder Illa-Tiki, was Sonnen-Tiki oder Feuer-Tiki bedeutet. Kon-Tiki war der oberste Priester und Sonnenkönig der weißen Männer aus den Legenden der Inkas, die die ungeheuren Ruinen am Titicacasee hinterlassen haben. Die Legende berichtet, daß Kon-Tiki von einem Häuptling namens Cari angegriffen wurde, der aus dem Coquimbo-Tal kam. In einer Schlacht auf einer Insel des Titicacasees wurden die geheimnisvollen weißen und bärtigen Männer vollständig massakriert, während Kon-Tiki selbst und seine nächsten Gefolgsleute entkamen und schließlich an die Küste gelangten, Von der sie am Ende über das Meer nach Westen entschwanden.«
Ich war nun nicht mehr länger im Zweifel, daß der weiße Häuptlingsgott Sonnen-Tiki, von dem die Inkas berichteten, daß ihn ihre Vorväter auf den Stillen Ozean getrieben hatten, mit dem weißen Häuptlingsgott Tiki identisch war, mit Tiki, dem Sohn der Sonne, den alle Bewohner der östlichen Südseeinseln als ihren ursprünglichen Stammvater feierten. Die Details um Sonnen-Tikis Leben in Peru mit den alten Ortsnamen rund um den Titicacasee tauchten in den historischen Erzählungen der Eingeborenen der Südsee wieder auf.
In ganz Polynesien fanden sich aber auch andere Spuren, die darauf hindeuteten, daß die Inseln nicht lange allein Sonnen-Tikis friedlichem Geschlecht verblieben. Es gibt Zeichen dafür, daß seetüchtige Kriegskanus, groß wie Wikingerschiffe, zwei und zwei zusammengebunden, Nordwestindianer über das Meer nach Hawaii und weiter über den Ozean zu all den anderen Inseln gebracht hatten. Ihr Blut vermischte sich mit dem Geschlecht Kon-Tikis, und sie brachten eine neue Kultur nach dem Inselreich. Das war das andere Steinzeitvolk, das Polynesien erreichte, ohne Metall, ohne Töpferei, ohne das Rad, ohne Webstuhl und ohne Getreide, in den Jahren um 1100 n. Chr.
Und das war nun auch die Ursache, daß ich in Britisch-Columbien saß und Felsbilder in altpolynesischem Stil unter den Nordwestindianern ausgrub zu der gleichen Zeit, als der Krieg in Norwegen begann.