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Wir drehten das Steuerruder herum und nahmen genau den gleichen Kurs, mit dem die Vögel verschwunden waren. Spät in der Nacht noch hörten wir den Schrei vereinzelter Nachzügler, die unter dem Sternenhimmel über uns dahinzogen. Wir fuhren in der gleichen Richtung. Es war eine wunderbare und seltsame Nacht. Im Laufe unserer Reise auf der »Kon-Tiki« war nun der Mond fast zum dritten Mal voll geworden.

Am Tag darauf gab es noch mehr Vögel über uns. Aber wir brauchten nicht zu warten, bis sie uns am Abend erneut den Weg zeigen würden. Wir entdeckten eine wunderliche stillstehende Wolke am Himmelssaum. Die anderen Wolken waren stets kleiner, federleichter Wollflaum. Sie tauchten im Süden auf, trieben mit dem Passat über die Himmelswölbung und verschwanden hinter dem Horizont im Westen. So hatte ich die Passatwolken auf Fatuhiva kennengelernt. Nicht anders waren sie auch über uns an Bord der »Kon-Tiki« Tag und Nacht dahingezogen. Doch die einzelne Wolke am Horizont da drunten im Südwesten bewegte sich nicht. Ruhig stand sie wie eine Säule aus Wasserdampf, während die Passatwolken vorbeitrieben. Kumulonimbus ist der lateinische Name für diese Wolkenart. Das wußten zwar die Polynesier nicht, aber sie wußten, daß unter solchen Wolken Land liegt. Wenn nämlich die Tropensonne über heißem Sand brütet, dann steigt ein Strom warmer und feuchter Luft in die Höhe, der oben in den kälteren Schichten kondensiert wird.

Wir steuerten nach dieser Wolke, bis sie nach Sonnenuntergang verschwand. Der Wind war stetig, und mit festgezurrtem Steuerruder hielt die »Kon-Tiki« ihren Kurs selbst. So waren wir bei gutem Wetter schon oft übers Meer gesegelt. Die Ruderwache hatte den Auftrag, soviel als möglich Ausguck zu halten. So saß denn der Steuerposten die meiste Zeit auf einem blankgeschliffenen Brett in der Mastspitze und spähte nach allem, was auf Land deutete.

Ohrenbetäubende Vogelschreie gellten über uns die ganze Nacht hindurch, und der Mond war fast voll.

7. Vor den Südseeinseln

Land in Sicht. An Puka-Puka vorbei. Ein Festtag vor dem Angatauriff. An der Schwelle zum Himmelreich. Die ersten Eingeborenen. Neue Besatzung auf der »»Kon-Tiki«. Knut auf Landurlaub. Gegen übermächtige Gew alten. Wieder auf See. In gefährlichem Fahrwasser. Von Takume nach Raroia. In den Hexenkessel! In der Gewalt der Brandung. Havarie. Als Schiffbrüchige auf einem Korallenriff.

In der Nacht zum 30. Juli herrschte eine neue und eigentümliche Atmosphäre um die »Kon-Tiki«. Vielleicht gab uns der ohrenbetäubende Spektaktel der Seevögel die Gewißheit, daß etwas Neues bevorstand. Die vielstimmigen Vogelschreie muteten uns leidenschaftlich und erdgebunden an. Drei lange Monate hatte uns nur der Lärm des Meeres und das fühllose Kreischen unbeseelter Taue umgeben. Auch der Mond wirkte besonders groß und rund, wenn er die Wache in der Mastspitze umtanzte. In unserer Einbildung reflektierte er Palmenkronen und warmblütige Romantik. Über den kalten Fischen draußen auf dem Meer hatte er nicht so strahlend gelb geleuchtet.

Schlag sechs kam Bengt von der Mastspitze, weckte Hermann und kroch in die Koje. Als Hermann auf den knirschenden und schwankenden Mast kletterte, begann der Tag gerade zu blauen. Zehn Minuten später kam er die Strickleiter herunter und zog mich am Bein.

»Komm, schau dir deine Insel an!«

Er strahlte über das ganze Gesicht. Ich fuhr in die Höhe, gefolgt von Bengt, der noch nicht richtig eingeschlafen war. Als dichter Klumpen hingen wir zuoberst im Mastkreuz. Es waren viele Vögel um uns, und ein schwacher, blauvioletter Schleier über den Himmel spiegelte sich im Wasser, eine letzte Erinnerung an die weichenden Schatten der Nacht. Über den Horizont im Osten zog sich ein rötlicher Schein. Gegen diesen langsam wachsenden Hintergrund hob sich im Südosten ein schwacher Schatten ab - wie ein blauer Bleistiftstrich, den Himmelssaum entlang.

Land! Eine Insel! Wir schluckten sie begierig mit den Augen und schüttelten die anderen munter. Die taumelten schläfrig an Deck und stierten herum, als erwarteten sie, der Bug müsse jeden Augenblick auf Strand stoßen Schreiende Seevogel spannten eine Brücke über den Himmel auf die ferne Insel zu, die immer scharfer gegen den Horizont hervortrat. Der rote Hintergrund breitete sich aus und überzog sich mit goldenem Licht. Die Sonne kam mit dem Tag herauf.

Unser erster Gedanke war, daß die Insel nicht dort lag, wo sie liegen sollte. Weil sich die Insel nicht bewegt haben konnte, so war es wohl das Floß, das die Strömung im Laufe der Nacht nach Norden abgetrieben hatte. Warfen wir einen Blick hinaus aufs Meer, so sahen wir rasch am Lauf der Wellen, daß wir im Dunkeln bereits alle Chancen verspielt hatten. So, wie wir jetzt lagen gestattete der Wind nicht mehr, dem Floß einen Kurs gegen die Insel aufzuzwingen. Das Meer um den Tuamotuarchipel ist reich an starken lokalen Strömungen. Sie sind ganz unberechenbar wenn sie gegen Land stoßen. Viele davon variieren auch in ihrer Richtung, je nachdem sie auf kräftige Gezeitenströmungen treffen, die über Riffe und Lagunen aus und ein fließen.

Wir legten das Ruder um, wußten aber wohl, daß es nutzlos war. Um halb sieben Uhr ging die Sonne über dem Meer auf und stieg rasch in die Höhe, wie immer in den Tropen. Das Inselchen lag wenige Seemeilen vor uns. Wir sahen einen niedrigen Waldstreifen, der immer weiter über den Horizont herauftauchte. Die Bäume drängten sich dicht hinter einem dünnen, hellen Strand, der so niedrig lag, daß er ständig hinter den Wogen verschwand. Nach Erichs Positionen war das Puka-Puka, der erste Vorposten der Tuamotugruppe. Die »Sailing Directions Pacific Islands 1940«, unsere zwei verschiedenen Seekarten und Erichs Beobachtungen ergaben zusammen vier ganz verschiedene Positionen für diese Insel, aber nachdem es keine anderen in der ganzen Nachbarschaft gab, konnte kein Zweifel aufkommen. Die Insel, die wir sahen, war Puka-Puka.

Es war kein überschwenglicher Ausbruch an Bord zu hören Nachdem wir das Segel gedreht und das Ruder herumgelegt hatten, hingen wir alle stumm in der Mastspitze oder standen auf Deck und starrten auf das Land, das plötzlich am Horizont aufgetaucht war, draußen in dem bisher unendlichen und alleinherrschenden Meer. Endlich hatten wir einen sichtbaren Beweis, daß wir uns in diesen Monaten bewegt hatten. Wir hatten uns doch nicht nur im Zentrum desselben ewigrunden Gesichtskreises geschaukelt. Wir waren erfüllt von einer warmen und ruhigen Zufriedenheit, Polynesien richtig erreicht zu haben. Damit verband sich eine kleine, augenblickliche Enttäuschung, daß wir uns hilflos dreinfinden mußten, die Insel liegen zu sehen wie eine Fata Morgana und selbst unsere ewige Trift übers Meer nach Westen fortzusetzen.

Gleich nach Sonnenaufgang stieg eine dicke, schwarze Rauchsaule über die Baumkronen auf der linken Hälfte der Insel empor. Wir folgten ihr mit den Augen und dachten uns, jetzt stehen die Eingeborenen auf und kochen ihr Frühstück! Wir ahnten nicht einmal, daß uns die Ausguckposten gesehen hatten und Rauchsignale in die Luft sendeten, um uns zur Landung einzuladen. Um etwa sieben Uhr verspürten wir den schwachen Rauch von verbranntem Boraoholz, der uns in den versalzenen Nasenhöhlen kitzelte. Das brachte mir rasch halb vergessene Erinnerungen an die Feuer am Strand von Fatuhiva zurück. Eine halbe Stunde später roch es nach Wald und frischgeschlagenem Holz. Die Insel begann jetzt wieder einzuschrumpfen und lag hinter uns, so daß wir jetzt den Wind von ihr bekamen. Fünfzehn Minuten lang hingen Hermann und ich in der Mastspitze und ließen den warmen Duft von Blättern und Grün durch die Nasenlocher einströmen. Das war Polynesien! Ein herrlicher, üppiger Geruch von trockenem Land nach dreiundneunzig salzigen Tagen zwischen den Wogen.