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Schlag zehn gaben wir die letzte kleine Hoffnung auf, Knut wiederzusehen. Wir setzten uns stumm auf die Floßkante und knabberten ein paar Kekse. Immer noch gaben wir abwechselnd Blinksignale von der kahlen Mastspitze, die sich ohne das breite Kon-Tiki-Segel so leer über uns spreizte.

Wir beschlossen, die Blinksignale die ganze Nacht lang fortzusetzen, solange wir nicht wußten, wo Knut sich befand. Wir weigerten uns, zu glauben, daß die Brandungswellen ihn ereilt hätten. Knut kam immer wieder auf die Füße - gefährliches Wasser oder Brandung -, am Leben war er auf alle Fälle. Es war nur so ein verfluchtes Gefühl, ihn zwischen den Braunen auf einer einsamen Insel hier draußen im Stillen Ozean sitzenzulassen. Etwas so Saudummes, die ganze lange Reise waren wir mit einem blauen Auge davongekommen, und jetzt ließen wir einen Mann auf einer vergessenen Südseeinsel zurück, um wieder weiterzufahren. Und kaum waren die ersten Polynesier freundlich lächelnd an Bord gekommen, mußten sie schon Hals über Kopf stiften gehen, um nicht selbst mitgeschleppt zu werden auf »Kon-Tikis« böser und gnadenloser Jagd nach Westen. Es war eine verfluchte Situation. Es sehne häßlich aus dem Tauwerk in dieser Nacht, keiner von uns machte Anstalten, schlafen zu wollen.

Es war halb elf geworden. Bengt kletterte gerade die Wanten herunter, um Ablösung auf der wiegenden Mastspitze zu bekommen. Da fuhren wir alle Mann hoch. Wir hatten deutlich draußen auf dem Meer im Dunkeln Stimmen gehört. Und da war es wieder: es waren Polynesier, die da redeten. Wir schrien aus Leibeskräften hinaus in die schwarze Nacht. Da schrie es zurück - und Knuts Stimme war darunter. Ich weiß nicht, was wir nicht alles vor Begeisterung getan hätten, die Müdigkeit war fort, die ganze Unglückswolke über unserem Haupt war verschwunden. Was tat es uns, wenn wir von Angatau davon trieben, es gab Inseln genug im Meer. Jetzt konnten die neun reiselustigen Balsastämme treiben, wohin sie wollten, wenn sie uns nur alle sechs an Bord beisammen hatten.

Drei Auslegerkanus kamen aus dem Dunkel über die Wogen geritten. Knut war der erste, der auf die liebe alte »Kon-Tiki« herübersprang, gefolgt von sechs Braunen. Es war wenig Zeit zu Erklärungen. Die Eingeborenen mußten ihre Geschenke bekommen und wieder losziehen auf ihre waghalsige Fahrt zurück zur Insel. Ohne Licht oder Land zu sehen, ja kaum noch die Sterne, mußten sie vorsichtig gegen Wogen und Wind paddeln, bis sie das Licht des brennenden Holzstoßes sahen. Wir belohnten sie reichlich mit Proviant, Zigaretten und anderen Geschenken, und jeder von ihnen schüttelte uns bewegt die Hand zu einem letzten Lebewohl.

Sie waren sichtlich bekümmert über unsere Wege und zeigten gegen Westen, daß wir auf dem Weg in gefährliche Riffe wären. Ihr Anführer hatte Tränen in den Augen und küßte mich gerührt aufs Kinn, daß ich der Vorsehung für meinen Vollbart dankte. Dann krochen sie auf ihre Kanus, und wir sechs Kameraden saßen wieder vollzählig und allein auf dem Floß.

Wir überließen es seinen Launen und hörten uns Knuts Geschichte an.

Knut hatte sich im Schlauchboot im guten Glauben landwärts begeben, mit dem Anführer der Eingeborenen an Bord. Der saß selbst an den kleinen Paddeln und ruderte auf die Öffnung im Riff zu, als Knut zu seiner Verwunderung die Lichtsignale der »Kon-Tiki« sah, die ihn baten, zurückzukommen. Er machte dem braunen Ruderer Zeichen, er solle wenden, aber der Polynesier weigerte sich, zu gehorchen. Knut griff jetzt selbst in die Ruder, aber der Insulaner riß ihm die Hände weg, während das Riff um sie herum im Dunkeln toste. Es war sinnlos, einen Kampf aufzunehmen. Sie waren davongetanzt, genau durch die Öffnung im Riff, und setzten auf der Innenseite ihren Weg fort, bis sie direkt hinauf auf einen soliden Korallenblock innen auf der Insel geschleudert wurden. Ein Schwärm von Eingeborenen packte das Schlauchboot und zog es weit an Land. Und hier stand Knut allein unter Palmen, umgeben von einem gewaltigen Haufen von Eingeborenen, die in einer Sprache darauflosplapperten, die er nicht verstand. Braune und barfüßige Männer, Frauen und Kinder in allen Altersstufen umschwärmten ihn und befühlten den Stoff seines Hemdes und seiner Hose. Sie selbst hatten alte und zerfetzte europäische Kleider, aber es war kein Weißer auf der Insel.

Knut bekam einige von den flottesten Kerlen zu fassen und machte ihnen Zeichen, sie sollten ihm im Schlauchboot hinausfolgen. Da kam ein großer, fetter Mann dahergewackelt, von dem Knut annahm, es mußte der Häuptling sein, denn er hatte eine alte Uniformmütze auf dem Schädel und sprach mit lauter, bestimmter Stimme. Alle machten ihm Platz. Knut erklärte sowohl auf norwegisch wie auf englisch, daß er Leute brauche und unverzüglich zum Floß zurückfahren müsse, bevor wir anderen unseres Weges trieben. Der Häuptling strahlte wie die Sonne und verstand absolut nichts, und trotz Knuts wildesten Protesten schleppte ihn der ganze schreiende Haufe mit hinauf ins Dorf. Hier wurde er von Hunden, Schweinen und Hühnern empfangen, schöne Südseemädchen brachten ihm frische Früchte. Es war klar, daß sich die Eingeborenen bemühten, Knuts Aufenthalt so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Aber Knut ließ sich nicht verführen, er dachte mit Wehmut ans Floß, das gegen Westen entschwand. Die Absicht der Eingeborenen war offenkundig. Sie sehnten sich nach Abwechslung und Gesellschaft und wußten, daß es auf den Fahrzeugen der weißen Männer sehr angenehm war. Wenn es ihnen glückte, Knut an Land zu behalten, kamen wohl wir anderen und das merkwürdige Boot auch herein. Kein Fahrzeug verließ einen weißen Mann auf einer so abgelegenen Insel wie Angatau.

Nach bemerkenswerten Abenteuern kam Knut los und erzwang sich seinen Weg hinunter ins Schlauchboot, umringt von Bewunderern beiderlei Geschlechts. Seine internationalen Laute und Gebärde waren nicht länger mißzuverstehen. Er mußte und wollte zurück zu dem merkwürdigen Fahrzeug da draußen in der Nacht, das es so eilig hatte, daß es, ohne anzulegen, weiterwollte.

Da versuchten es die Eingeborenen mit einer List und deuteten ihm, daß wir eben hinter der Landspitze anliefen. Knut war einen Augenblick verwirrt, aber da hörte er die lauten Stimmen drunten am Strand, wo Frauen und Kinder das qualmende Feuer unterhielten. Es waren die drei Kanus, die soeben zurückgekommen waren. Die Burschen kamen herauf und brachten Knut unseren Zettel. Er war in einer verzweifelten Situation. Hier war die strikte Anweisung, nicht allein wieder aufs Meer hinauszurudern, und alle Eingeborenen schlugen rundweg ab, mit ihm zu kommen.

Unter den Einheimischen wurde in den höchsten Tönen gestritten und debattiert. Die, die draußen gewesen waren und das Floß gehalten hatten, verstanden nur zu gut, daß es zwecklos war, Knut zurückzuhalten in der Hoffnung, uns andere damit an Land zu bekommen. Schließlich bewogen Knuts Versprechungen und Drohungen in internationalem Tonfall drei Kanumannschaften, ihm hinaus aufs Meer auf Jagd nach der »Kon-Tiki« zu folgen. Und mit dem Schlauchboot im Schlepp ging es wieder in die Tropennacht hinaus. Bewegungslos stand alt und jung am sterbenden Feuer und sah dem neuen hellhäutigen Freund nach, der ebenso rasch verschwand, wie er gekommen war.

Weit draußen auf dem Meer bekam Knuts Gefolge die schwachen Lichtsignale des Floßes zu sehen, wenn die Wogen die Kanus in die Luft hoben. Die schmalen und schlanken Polynesierkanus, die sich auf einen zugespitzten Ausleger stützen, schnitten wie Messer durch die Wasserfläche, aber Knut schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis er die runden, dicken Stämme der »Kon-Tiki« wieder unter seinen Füßen spürte.

»War es schön an Land?« fragte Torstein neidisch.

»Oi, oi«, meinte Knut, »die Hula-Mädchen müßtest du gesehen haben!«

Wir ließen das Segel eingeholt und das Ruder oben an Deck. So krochen wir alle sechs in die Bambushütte und schliefen wie die Rollsteine auf Angataus Strand.

Drei Tage lang trieben wir nun übers Meer, ohne Land zu sichten.