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Wir trieben direkt gegen die schicksalsschwangeren Takume- oder Raroiariffe, die zusammen siebzig bis achtzig Kilometer des Meeres vor uns absperrten. Wir machten verzweifelte Versuche, an der Nordseite dieser gefährlichen Riffe vorbeizusteuern. Es sah aus, als ob es gut gehen würde, bis der Posten eines Nachts hereingefahren kam und alle Mann weckte.

Der Wind hatte sich gedreht. Er ging genau gegen das Takumeriff. Regen hatte eingesetzt, und alle Sicht war vollkommen weg. Das Riff konnte nach unseren Berechnungen nicht weit entfernt sein.

Mitten in der Nacht hielten wir eine Beratung. Jetzt ging es um unser Leben. An dem Nordende vorbeizukommen, war jetzt hoffnungslos. Wir mußten statt dessen versuchen, die Südseite zu erreichen. Wir drehten das Segel und legten das Ruder herum. So begaben wir uns auf eine gefährliche Segelfahrt, den labilen Nordwind im Rücken. Wenn der Ostwind wiederkam, bevor wir die ganze Lange dieser achtzig Kilometer langen    Riffe passiert hatten, wurden wir hilflos in die Gewalt der Brandung hineingeschleudert.

Wir einigten uns über alle Vorkehrungen, falls es zum Schiffbruch kam. Wir mußten uns um jeden Preis an Bord der »Kon-Tiki« halten. Wir durften nicht auf den Mast klettern, von wo wir wie eine reife Frucht abgeschüttelt wurden, sondern wir mußten uns an die Stangen klammern, wenn sich die Wogen über uns walzten. Wir legten das Gummifloß lose auf Deck, und darauf banden wir einen kleinen, wasserdichten Radiosender fest, etwas Proviant, Wasserflaschen und Medizingerät. Das würde    an Land gewaschen werden, unabhängig    von    uns, falls wir wohlgeborgen, aber mit leeren Händen über das Riff kommen sollten. Am Heck der »Kon-Tiki« befestigten wir ein langes Seil mit einem Schwimmer. Der mußte auch an Land gespült werden, so daß wir dann versuchen konnten, das ganze Floß hereinzuziehen, falls es draußen am Riff hangenbleiben sollte. Und dann krochen wir in die Koje und überließen die Wache dem Steuermann da draußen im Regen.

Solange der Nordwind hielt, glitten wir sacht, aber sicher, die Front der Korallenriffe entlang, die hinter dem Horizont auf uns lauerte. Aber eines Nachmittags erstarb der Wind völlig, und als er sich wieder rührte, war er nach Osten umgeschlagen. Erichs Position zufolge lagen wir allerdings schon so weit südlich, daß wir jetzt Hoffnung hatten, an der äußersten Spitze des Raroiariffs vorbeizusteuern. Wir wollten versuchen, dahinter zu kommen und damit in Lee, bevor es uns gegen andere Riffe weitertrieb.

Als die Nacht kam, waren wir hundert Tage auf See gewesen. In der Nacht wachte ich auf und fühlte mich ruhelos und unbehaglich. Es stimmte etwas auf den Wogen nicht. Die »Kon-Tiki« bewegte sich gewissermaßen ein wenig anders, als sie sonst unter solchen Verhaltnissen zu tun pflegte. Wir wurden eine Veränderung im Rhythmus der Stämme gewahr. Ich dachte sofort an den Rückprall von einer Küste, die sich näherte, und war ständig draußen auf Deck und oben im Mast. Es war nur Meer zu sehen, aber ein ruhiger nächtlicher Schlaf wurde es nicht. Die Zeit verging.

Die Vögel sind die ersten Boten Polynesiens, noch viele Tage, bevor wir Land sichten. Sehnsüchtig blicken wir ihnen nach.

Land in Sicht! Nach 93 Tagen auf offener See erblicken wir zum ersten Mal Land bei Puka-Puka. Aber Wind und Strömung treiben uns rasch vorbei, und die Insel verschwindet wieder am Horizont.

 

Die „Kon -Tiki" steuert aufs Land zu. Ein Inferno von Brechern sperrt den Weg ins Korallenriff. Fürchterlich mitgenommen, wird das Floß endlich von Wogen und Sog freigegeben und auf die Korallenklippen hinaufgeschleudert.

Auf dem Riff liegt die „Kon-Tiki" viele Tage lang, während die Wellen das Wrack ständig weiter den Strand hinaufschieben.

Bei Tagesgrauen, kurz vor sechs, kam Torstein von der Mastspitze heruntergefahren. In der Ferne konnte er eine ganze Reihe von kleinen Palmeninseln vor uns sehen. Als erstes warfen wir das Ruder nach Süden herum, soweit wir konnten. Was Torstein gesehen hatte, mußten die kleinen Koralleninseln sein, die, wie Perlen auf einer Schnur aufgefädelt, hinter dem Raroiariff liegen. Ein nordgehender Strom mußte uns wieder ergriffen haben.

Schlag halb acht waren kleine Palmeninseln in Reih und Glied entlang des ganzen westlichen Horizonts aufgetaucht. Auf die südlichste wies unser Bug, und von hier setzten sich Inseln und Palmenhaine über den ganzen Meeressaum auf Steuerbord fort, bis sie wie Punkte oben im Norden verschwanden. Die nächsten lagen vier bis fünf Seemeilen entfernt.

Ein einziger Überblick von der Mastspitze verriet, daß, sogar wenn der Bug gegen die unterste Insel in der Reihe zeigte, die Seitentrift so groß war, daß wir uns nicht in der Richtung des Buges vorwärts bewegten. Wir trieben schräg mitten auf das Riff zu. Mit straffen Senkkielen hätten wir noch Hoffnung gehabt, vorbeizusteuern, aber Haie folgten uns dicht auf den Fersen, so daß es unmöglich war, unter das Floß zu tauchen und die lockeren Senkkiele mit neuen Pardunen zu versteifen.

Wir sahen ein, daß wir nur mehr ein paar Stunden auf der »Kon-Tiki« übrig hatten. Die mußten verwendet werden, um uns auf unsere unvermeidliche Havarie am Korallenriff vorzubereiten. Jedermann bekam Anweisung, was er zu tun hatte, wenn der Augenblick da war, jeder einzelne von uns wußte, wofür er verantwortlich war, so daß wir nicht herumfahren und uns auf die Zehen treten konnten, wenn der Zeitpunkt kam, in dem die Sekunden zählten. Die »Kon-Tiki« schaukelte im Wind, der uns langsam hinüberdrückte. Es war kein Zweifel, daß hier, wo die Wogen vom ohnmächtigen Schlag gegen die Ringmauern zurückprallten, ein höllisches Chaos auf uns wartete.

Wir lagen noch immer unter vollen Segeln, in der Hoffnung, dennoch vorbeisteuern zu können. Wie wir so langsam halbseitlich nähertrieben, sahen wir vom Mast, wie die ganze Perlenreihe durch ein teilweise überseeisches und teilweise unterseeisches Korallenriff zusammenhing. Wie vor einer Mole stand das Meer weißschäumend auf und sprang hoch gegen den Himmel empor. Das Ringriff von Raroia ist oval und hat einen Durchmesser von 40 Kilometer, die ganze Langseite wendet sich gegen das Meer im Osten, woher wir angeschaukelt kamen. Das Riff selbst, das sich von Horizont zu Horizont zieht, ist nur wenige hundert Meter breit, und dahinter liegen idyllische kleine Inseln in Reih und Glied um die stille Lagune in der Mitte.

Wir sahen mit gemischten Gefühlen, wie der blaue Pazifik rücksichtslos aufgerissen entlang unseres ganzen Gesichtsfeldes in die Luft zischte. Ich wußte, was wir da drinnen zu erwarten hatten. Ich hatte schon früher einmal die Tuamotugruppe besucht. Damals war ich sicher an Land gestanden und hatte den mächtigen Anblick im Osten bewundert, wo die Brandung des offenen Ozeans über das Riff hereinbrach. Nach und nach tauchten immer neue Riffe und Inseln auf, bis weit hinunter nach Süden. Wir mußten wohl mitten vor der Front der ganzen Korallenmauer liegen.

An Bord der »Kon-Tiki« stand alles im Zeichen des Aufbruchs. Was einigermaßen von Wert war, wurde in die Hütte hineingetragen und festgebunden. Dokumente und Papiere wurden in wasserdichte Hüllen verpackt, da hinein verschwanden auch Filme und alles andere, was ein Seebad nicht aushielt. Die ganze Bambushütte wurde mit Segeltuch bedeckt und besonders solide Taue wurden darüber festgezurrt. Da wir sahen, daß wir jenseits aller Hoffnung waren, öffneten wir das Bambusdeck mit Machetenmessern und zerhieben alles Tauwerk, das die Senkkiele hinunterhielt. Es war eine schwere und mühevolle Arbeit, diese Schwerter heraufzubekommen, denn alle waren dicht mit fetten Entenmuscheln besetzt. So reichte das Floß nicht tiefer als bis zum Boden der Baumstämme. Wir würden deshalb leichter über das Riff hineingeschoben werden. Ohne Senkkiel und mit gestrichenem Segel trieb das Floß ganz nach der Seite und war eine leichte Beute für Wind und Wellen.