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Noch schwammen wir frei in den Wellen.

In höchster Eile klammerte ich mich wieder fest, Arme und Beine um das solide Tau geschlungen. Knut ließ sich hinuntergleiten. Mit einem Tigersprung war er drüben auf den Kisten bei den anderen, wo die Hütte den Stoß auffing. Ich hörte beruhigende Ausrufe von drüben, sah aber gleichzeitig, wie eine neue grüne Wand sich emporhob und donnernd auf uns zukam. Ich schrie einen Warnungsruf und hängte mich wieder so klein und fest wie möglich in mein Tau. Und plötzlich war die Hölle wieder über uns losgebrochen, und die ganze »Kon-Tiki« verschwand unter den Wassermassen. Das Meer riß und zog mit aller Kraft, die es gegen einen kleinen Menschenkörper aufbieten konnte. Diese zweite See jagte über uns hinweg und noch eine dritte. Da hörte ich einen triumphierenden Ruf von Knut, der jetzt in der Strickleiter hing:

»Schaut euch das Floß an, es hält! Es hält!«

Nach drei Wellen waren nur der Doppelmast und die Hütte ein wenig schiefgeschlagen worden. Aufs neue fühlten wir den Triumph über die Elemente. Und der Siegesrausch verlieh uns neue Kräfte.

Da sah ich die nächste Woge donnernd heraufkommen, höher als alle, und ich brüllte aufs neue eine Warnung zurück zu den anderen, während ich, so hoch ich konnte, das Tau heraufkletterte und mich festkrallte. Da verschwand ich bereits mitten in der grünen Wasserwand, die sich hoch über uns auftürmte. Die anderen, die weiter rückwärts standen und mich als ersten verschwinden sahen, veranschlagten die Wasserwand mit acht Meter Höhe, während der schäumende Kamm fünf Meter über dem Teil der Wand passierte, von dem ich verschluckt wurde. Da aber erreichte die Wogenwand sie, und alle hatten nur mehr den Gedanken: Halten! Halten! Und noch mal halten!

Diesmal müssen wir wohl gegen das Riff gestoßen sein. Selbst spürte ich bloß den Druck gegen das Tau, das ausschwang und schwach den Stößen nachgab. Aber ob die Schläge von oben oder unten kamen, merkte ich nicht, da ich ja hing.

Das Ganze dauerte Sekunden, aber es forderte mehr Kraft, als wir gewöhnlich im Körper haben. Es gibt noch andere Kräfte in der Menschenmaschinerie als die Muskeln allein. Ich beschloß, sollte ich sterben, so wollte ich in dieser Stellung sterben, wie ein Knoten im Tau. Jetzt donnerte die See weiter, darüber vorbei. Als sie brüllend passierte, enthüllte sie einen schlimmen Anblick. Wie mit einem Zauberschlag war die ganze »Kon-Tiki« verändert. Das Fahrzeug, das wir wochen- und monatelang auf See kannten, bestand nicht mehr. In Sekunden war unsere gemütliche Welt zu einem Wrack zerschlagen.

Ich sah einen einzigen Menschen an Bord außer mir. Er lag flach mitten auf das Hüttendach gepreßt, Gesicht und Arme zur Seite gestreckt. Die Hütte selbst war wie ein Kartenhaus nach rückwärts und Steuerbord zusammengedrückt. Das reglose Geschöpf war Hermann. Sonst war kein Zeichen eines anderen Lebens zu entdecken, als die Wassermassen über das Riff hinein weiter donnerten. Der eisenharte Mast auf der Steuerbordseite war wie ein Zündholz geknickt, im Sturz hatten die oberste Spitze das Hüttendach durchschlagen, so daß der Mast mit allem Tauwerk schräg nach Steuerbord über das Riff hing. Am Heck war der Steuerbock verdreht und der Querbalken gebrochen, das Steuerruder war Kleinholz geworden. Die soliden Kieferplanken am Bug waren wie Zigarrenbrettchen zerschlagen, und das ganze Deck war aufgerissen. Der Druck hatte es wie nasses Papier gegen die Vorderwand der Hütte geklatscht samt Kisten, Kannen, Segeltuch und anderer Last. Bambussprossen und Tauenden standen überall heraus: der Gesamteindruck war ein vollständiges Chaos.

Ich spürte einen eisigen Schreck durch den ganzen Körper. Was half es, wenn ich allein festhing. Wenn ich einen einzigen Mann hier im Endspurt verlor, war der ganze Erfolg in Frage gestellt. Und vorläufig war überhaupt nur ein einziger nach dem letzten Wogenanprall zu sehen. Aber im selben Augenblick tauchte Torsteins zusammengekrümmte Gestalt neben der Seite des Floßes auf. Es glückte ihm, an Bord zu kommen, und er kroch hinauf auf den Wirrwarr vor der Hütte. Hermann drehte jetzt auch den Kopf und preßte ein aufmunterndes Grinsen hervor, ohne sich zu rühren. Ich brüllte eine Frage nach den anderen und hörte Bengts ruhige Stimme antworten, es seien noch alle an Bord. Sie lagen ins Tauwerk geklammert hinter der Barrikade, die das zähe Flechtwerk des Bambusdecks aufgebaut hatte.

All das geschah im Laufe von Sekunden, während die »Kon-Tiki« mit dem Rücksog auf dem Weg aus dem Hexenkessel war. Da wälzte sich eine neue See herein. Zum letztenmal brüllte ich »Festhalten!« mit aller Kraft meiner Lungen ins Tosen, und das war auch alles, was ich selbst tat. Wieder klammerte ich mich fest und verschwand in den Wassermassen, die in endlosen zwei bis drei Sekunden darüber- und vorbeirasten. Das war genug für mich. Ich sah, daß das Ende der Stämme gegen eine jähe Stufe im Korallenriff prallte, ohne darüberzukommen. Plötzlich wurden wir wieder hinausgezogen. Ich sah auch die zwei, die über den Hüttenfirst ausgestreckt lagen, aber das Lachen war ihnen vergangen. Hinter dem Bambuschaos hörte ich eine ruhige Stimme:

»Es geht nicht.«

Und ich spürte dieselbe Mutlosigkeit selbst. Da sich die Mastspitze weiter und weiter über Steuerbord neigte, hing ich selbst an meiner schlaffen Leine außerhalb des Floßes. Und die nächste See kam. Als sie vorüber war, war ich todmüde und dachte nur mehr daran, hinauf auf die Stämme zu kommen und hinter der Barrikade zu liegen. Als das Wasser ablief, sah ich zum ersten Mal das holprige, rote Riff entblößt unter uns und entdeckte Torstein, der gebückt auf den glänzenden roten Korallen stand und ein Tauende vom Mast festhielt. Knut stand achtern auf dem Sprung. Ich brüllte, daß wir uns auf den Stämmen halten müßten, und Torstein, der vom Wasserdruck über Bord gespült worden war, schwang sich wie eine Katze wieder hinauf.

Zwei oder drei Wellen wälzten sich mit abnehmender Kraft über uns weg, dessen, was dabei geschah, erinnere ich mich nicht, außer daß das Wasser vorbeibrauste und ich selbst tiefer und tiefer herunterkam zu dem roten Riff, auf das wir geschoben wurden. Jetzt erreichten uns nur mehr Schaumflocken, und ich arbeitete mich auf das Floß, wo wir alle auf dem Weg zum Achterende der Stämme waren, die sich am weitesten hinaufgeschoben hatten.

Im selben Augenblick setzte Knut an und sprang mit der Leine, die am Achterdeck bereitlag, hinaus auf festen Boden. Während sich das Wasser zurückzog, watete er im Galopp dreißig Meter landeinwärts und stand sicher am Ende des Taus, als die nächste See auf ihn zuschäumte, aber verhielt und von dem flachen Riff wie ein breiter Strom zurückrann.

Jetzt kam Erich aus der zusammengesunkenen Hütte herausgekrochen, seine Schuhe an den Füßen. Hätten wir es alle so gemacht wie er, wären wir billig davongekommen. Da nämlich die Hütte doch nicht über Bord ging, sondern sich ruhig unter dem Segeltuch niederlegte, lag Erich in aller Gemütsruhe zwischen der Last und hörte die Hölle über uns hereinbrechen, während die eingesunkenen Bambuswände sich niederbogen. Bengt hatte durch den stürzenden Mast eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, aber es war ihm geglückt, neben Erich unter die zusammengefallene Hütte hineinzukriechen. Hier hätten wir alle Mann liegen können, hätten wir geahnt, daß Bambusflechtwerk, Taue und Balsastämme auch unter dem Wasserdruck so untrennbar zusammenhingen.