Auf dem Weg zurück über das Riff schreckten sie immer wieder wunderliche Fische auf, die sie zu fangen versuchten, als sie plötzlich von nicht weniger als acht großen Aalen angegriffen wurden. Sie sahen sie im klaren Wasser kommen und sprangen auf einen großen Korallenblock, den die Aale von allen Seiten umschlängelten. Die glitschigen Bestien waren armdick und grün und schwarz gesprenkelt wie Giftschlangen, mit kleinen Köpfen und bösen, bösen Schlangenaugen und zollangen, nadelscharfen Zähnen. Mit den Machetenmessern schlugen sie los auf die kleinen wiegenden Köpfe, die sich heraufbogen. Einem schlugen sie den Kopf ab, während ein anderer verwundet wurde. Das Blut im Seewasser zog einen ganzen Schwärm von jungen Blauhaien an, die auf den toten und den verwundeten Aal losgingen, in der Zwischenzeit glückte es den beiden, vom Stein fortzuhüpfen und sich davonzuretten.
Am gleichen Tag kam ich auf die Insel heraufgewatet, als etwas mit einer blitzschnellen Bewegung meinen Knöchel von beiden Seiten umgriff und ihn festhielt. Es war ein Tintenfisch, er war nicht groß, aber es war ein abscheuliches Gefühl, die kalten Fangarme um sich zu haben und in die bösen, kleinen Augen in dem blauroten, geschnäbelten Sack, der den Körper ausmachte, zu schauen. Ich suchte mit aller Kraft meinen Fuß freizubekommen, aber der Tintenfisch, der kaum einen Meter lang war, folgte nach, ohne den Griff loszulassen. Es mußte der Verband um den Fuß sein, der ihn anlockte. Ruckweise zog ich mich hinauf auf den Strand, den abscheulichen Angreifer am Fuß. Erst als ich selbst den Beginn des trockenen Sandes erreichte, löste er seinen Griff und zog sich langsam zurück ins seichte Wasser, die Arme ausgestreckt, den Blick aufs Land gerichtet, wie bereit zu neuem Angriff, wenn ich nur wagte, ihm nahezukommen. Als ich einige Korallenblöcke nach ihm warf, schoß er davon.
Unsere verschiedenen Erlebnisse draußen am Riff waren nur die Würze des paradiesischen Daseins drinnen auf der Insel.
Aber wir konnten nicht unsere restliche Zeit hier verbringen. Wir mußten wieder daran denken, wie man zurück zur übrigen Welt kommen konnte. Nach einer Woche hatte die »Kon-Tiki« sich in der Mitte des Riffs verhängt, wo sie steif und fest auf dem Trockenen lag. Die schweren Stämme hatten große Korallenstöcke abgebrochen und fortgewälzt, um sich hinüber in die Lagune zu schieben, aber jetzt lag das Floß unbeweglich, und wie wir auch zogen und schoben, das eine nützte so wenig wie das andere. Wenn wir nur das Wrack hinein in die Lagune bekamen, dann war es eine Kleinigkeit, auch den Mast wieder so weit aufzurichten und aufzutakeln, daß wir mit dem Wind über die feindliche Lagune segeln und nachsehen konnten, was wir auf der anderen Seite fanden. War eine der Inseln bewohnt, so mußte es am Horizont da drunten im Osten sein, wo das Ringriff seine Front nach Lee wendete.
Die Tage vergingen.
Eines schönen Vormittags kam einer von den Jungs dahergelaufen und sagte, er habe ein weißes Segel drinnen auf der Lagune gesehen. Von unserer höchsten Palme aus konnten wir einen winzigen Punkt sehen, der sich merkwürdig weiß gegen die opalblaue Lagune abhob. Das war wohl ein Segel auf der anderen Seite dicht am Land. Wir konnten sehen, wie es im Winde kreuzte. Bald kam uns noch ein zweites zu Gesicht.
Im Laufe des Vormittags wurde es größer und kam näher. Es hielt genau auf uns zu. Wir hißten die französische Flagge auf einer Stange. Das eine Segel war so nahe, daß wir sehen konnten, daß es zu einem polynesischen Auslegerkanu gehörte. Die Besegelung war neueren Jahrgangs. Zwei braune Gestalten standen an Bord und spähten nach uns. Wir winkten. Sie winkten zurück und segelten direkt herein bis zum Strand.
»Ja ora na«, grüßten wir sie auf polynesisch.
»Ja ora na«, riefen sie im Chor zurück, und der eine sprang heraus und zog das Kanu hinter sich her. So watete er über den Sand auf uns zu.
Die zwei hatten europäische Kleidung, aber den Körper des braunen Mannes. Sie waren barfuß, gut gebaut und mit einem selbstgemachten Strohhut gegen die Sonne versehen. Sie kamen ein wenig unsicher an Land und auf uns zu, aber da wir freundlich lächelten und ihnen der Reihe nach die Hand schüttelten, strahlten sie wie die Sonne und zeigten die Perlenreihen ihrer Zähne. Das sagte mehr als Worte.
Unsere polynesische Begrüßung hatte die zwei im Kanu auf genau dieselbe Art verblüfft und aufgemuntert, wie wir selbst seinerzeit zum besten gehalten wurden, als ihr Rassegenosse vor Angatau uns »Good night« zurief. Sie leierten also lange Tiraden auf polynesisch herunter, bevor sie begriffen, daß ihre Ergüsse an uns vorbeigingen, dann aber wollten sie nicht mehr weiterreden, sondern grinsten bloß freundschaftlich und zeigten auf das andere Kanu, das sich näherte.
Darin saßen drei Leute. Als sie an Land wateten und grüßten, zeigte sich, daß der eine einige Worte Französisch konnte. Wir erfuhren, daß es ein Eingeborenendorf auf einer der Inseln quer über die Lagune gab. Von ihm aus hatten die Polynesier bereits vor einigen Nächten den Schein unseres Feuers beobachtet. Nun gab es nur eine einzige Durchfahrt, die durch das Raroiariff zu dem Kreis der Inseln um die Lagune geht. Da diese Durchfahrt unmittelbar am Dorf vorbeiführt, konnte niemand zu diesen Inseln hereinkommen, ohne von der Bevölkerung des Dorfes gesehen zu werden. Also hatten die Alten im Dorfe herausgefunden, daß es kein Licht von Menschen sein konnte, es mußte etwas Übernatürliches sein, das da draußen herumspukte. Damit verloren sie alle Lust, auf Erkundung auszuziehen. Aber da kam ein Kistendeckel über die Lagune getrieben, auf dem einige Zeichen gemalt standen. Zwei von den Eingeborenen, die in Tahiti gewesen waren und dort lesen gelernt hatten, hatten die Inschrift gedeutet. Sie lasen, daß hier auf dem Brett mit großen schwarzen Buchstaben »Tiki« stand. Da gab es überhaupt keinen Zweifel mehr, daß es auf dem Riff umging, denn Tiki war der längst gestorbene Stammvater ihres Volkes, das wußten sie alle. Aber dann kamen Brot, Zigaretten und Kakao in wasserdichten Packungen und schließlich eine Schachtel mit einem alten Schuh über die Lagune herüber. Da sahen sie alle ein, daß sich ein Schiffbruch an der Ostseite des Riffs abgespielt hatte. Jetzt schickte der Häuptling endlich zwei Kanus aus, um nach den Überlebenden zu suchen, deren Feuer sie auf der Insel gesehen hatten.
Aufgefordert von den anderen, fragte der eine Braune, warum eigentlich »Tiki« auf dem Brett stand, das über die Lagune getrieben kam. Wir erklärten drauf, daß »Kon-Tiki« auf unserer ganzen Ausrüstung stand, das sei nämlich der Name des Fahrzeugs, auf dem wir gekommen waren.
Unsere neuen Freunde waren höchst erstaunt, als sie hörten, daß alle an Bord den Schiffbruch glücklich überstanden hatten und daß das flachgedrückte Wrack da draußen am Riff das Fahrzeug war, mit dem wir gekommen waren. Sie wollten sofort uns alle in die Kanus verladen und mit ins Dorf hinübernehmen. Wir wiesen dies dankend zurück, wir wollten hierbleiben, bis die »Kon-Tiki« über das Riff geborgen war. Sie sahen erschreckt auf das flache Wrack da draußen. Wir dürften doch nicht daran denken, es noch einmal flott zu bekommen! Der Wortführer sagte schließlich mit Pathos, wir sollten mit ihnen kommen. Sie hätten dazu bestimmten Befehl des Häuptlings, sie dürften nicht ohne uns zurückkommen.
Wir beschlossen darauf, daß einer von uns als Gesandter an den Häuptling mit den Eingeborenen fahren sollte, daraufhin wieder zurückkommen und uns Bericht über die Verhältnisse auf der Insel da drüben erstatten. Wir wollten das Floß nicht auf dem Riff zurücklassen. Wir konnten uns nicht von unserer Ausrüstung trennen. Bengt ging mit den Eingeborenen. Die zwei Kanus wurden vom Strand losgeschoben, und bald verschwanden sie bei gutem Wind nach Westen.
Am nächsten Tag wimmelte der Horizont von weißen Segeln. Die Insulaner waren wohl mit allen Fahrzeugen, die sie besaßen, auf dem Weg zu uns.
Das ganze Gefolge kreuzte auf uns zu, und als sie heran waren, sahen wir unseren guten Freund Bengt im ersten Kanu mit dem Hut winken, umgeben von braunen Gestalten. Er rief uns zu, daß er mit dem Häuptling selbst käme, und wir nahmen Aufstellung drunten am Strand, wo sie an Land wateten.