Mit großem zeremoniellem Geschick stellte Bengt uns den Häuptling vor, der nach seinen Worten Tepiuraiaril Teriifaatau hieß - aber er verstand, was wir meinten, wenn wir ihn Teka nannten. Wir nannten ihn Teka.
Der Häuptling Teka war ein großer schlanker Polynesier mit ungewöhnlich intelligenten Augen. Er war eine mächtige Persönlichkeit und stammte von dem alten Königsgeschlecht auf Tahiti. Er selbst war Häuptling über die Raroia- und Takume-Inseln. Auf Tahiti war er in die Schule gegangen, so daß er Französisch sprach und lesen und schreiben konnte. Er erzählte mir, daß die Hauptstadt Norwegens Christiania hieß und fragte, ob ich Bing Crosby kannte. Er erzählte des weiteren, daß nur drei ausländische Schiffe Raroia im Laufe der letzten zehn Jahre besucht hatten, aber daß das Dorf mehrmals im Jahr Besuch des Kopraschoners aus Tahiti bekam, der Handelswaren brachte und Kokoskerne holte. Sie warteten jetzt schon lange auf den Schoner, so daß er in der nächsten Zeit herüberkommen mußte.
Bengts Bericht lief in Kürze darauf hinaus, daß es weder Schule, Radio noch Weiße auf Raroia gab, aber daß die hundertzwanzig Polynesier des Dorfes alles getan hatten, was sie konnten, daß wir es im Dorf angenehm haben sollten. Sie waren dabei, für uns einen großen Empfang vorzubereiten.
Die erste Bitte des Häuptlings war, das Schiff zu sehen, das uns lebend am Riff abgesetzt hatte. Mit einem Schwarm von Eingeborenen hinter uns wateten wir hinaus zur »Kon-Tiki«. Als wir uns näherten, blieben sie plötzlich stehen und begannen wie aus einem Mund zu schnattern. Wir sahen jetzt die Stämme der »Kon-Tiki« deutlich, und einer von den Eingeborenen stieß hervor:
»Das ist ja kein Boot, das ist ein Pae-pae!«
»Pae-pae!« wiederholten alle wie aus einem Mund.
Im Galopp platschten sie aufs Riff hinaus und kletterten auf die »Kon-Tiki«. Wie begeisterte Kinder krochen sie überall herum, befühlten die Stämme, das Bambusflechtwerk und das Tauwerk. Der Häuptling war genauso aufgeregt wie die anderen, er kam zurück und wiederholte erstaunt und interessiert:
»>Tiki< ist ja gar kein Schiff, es ist ein Pae-pae!«
Pae-pae ist das polynesische Wort für Floß und Plattform, auf der Osterinsel ist es auch die Bezeichnung für die Kanus der Eingeborenen. Der Häuptling berichtete, daß solche Pae-paes heute nicht mehr existieren, aber die Ältesten im Dorf konnten alte Überlieferungen über Pae-paes erzählen. Alle miteinander waren voller Bewunderung für die großen Balsastämme, aber über das Tauwerk rümpften sie die Nase. Solche Taue; hielten nicht viele Monate in Seewasser und Sonne. Sie zeigten uns stolz die Zurrungen ihrer eigenen Ausleger. Die hatten sie selbst aus Kokoshanf geflochten. Solche Taue hielten fünf Jahre auf See.
Als wir zu unserer kleinen Insel zurückwateten, wurde sie »Fenua Kon-Tiki« getauft oder Kon-Tiki-Insel. Das war ein Name, den wir alle aussprechen konnten. Aber unsere braunen Freunde hatten schwere Mühe mit unsereren kurzen nordischen Vornamen. Sie waren ganz hingerissen, als ich sagte, sie könnten mich Terai Mateata nennen, denn so war ich vom Häuptling auf Tahiti getauft worden, als ich zum ersten Mal in der Gegend war.
Die Eingeborenen zogen Hühner, Eier und Brotfrüchte aus den Kanus heraus, während andere mit dreizinkigen Gabeln Fische in der Lagune aufspießten. Dann hatten wir ein großes Fest ums Lagerfeuer. Wir mußten alle unsere Erlebnisse mit dem Pae-pae auf dem Meer erzählen, und die Geschichte mit dem Walhai wollten sie immer wieder hören. Und jedesmal, wenn wir so weit kamen, daß Erich ihm die Harpune in den Schädel ramte, da schrien sie alle gleich mitgerissen auf. Sie erkannten sofort jeden einzelnen Fisch wieder, von dem wir ihnen Skizzen zeigten, und sagten uns sofort die Namen auf polynesisch.
Aber den Walhai und den Gempylus hatten sie nie gesehen oder auch nur etwas davon gehört.
Als der Abend kam, bekamen wir zum großen Jubel der ganzen Versammlung das Radio in Gang. Am meisten entsprach Kirchenmusik ihrem Geschmack, bis wir zu unserer eigenen großen Überraschung echte Hula-Musik aus Amerika einfingen. Da begannen sich die Lustigsten unter ihnen herumzudrehen, die Arme über den Kopf gebeugt, und bald sprang die ganze Gesellschaft in die Hocke und tanzte Hulahula im Takte der Musik. Als die Nacht kam, lagerten sich alle Mann um ein Feuer am Strand. Für die Eingeborenen war es genauso ein Abenteuer wie für uns.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, waren sie bereits auf und brieten frischgefangenen Fisch. Sechs eben geöffnete Kokoshüllen standen für uns bereit, um den Morgendurst zu löschen.
Heute donnerte das Riff noch stärker als gewöhnlich, der Wind hatte zugenommen, und die Brandungswogen peitschten hoch in die Luft ums Wrack.
»Heute kommt die >Tiki< herein«, sagte der Häuptling und zeigte auf das Wrack, »es gibt Hochwasser.«
Um elf Uhr begann das Wasser an uns vorbei in die Lagune zu strömen. Wie eine große Schale füllte sie sich, und das Wasser stieg rund um die ganze Insel. Den ganzen Tag lang kam ein richtiger Strom vom Meer herein. Das Wasser wälzte sich von Terrasse zu Terasse, und mehr und mehr vom Riff verschwand unter der Oberfläche. Wassermassen fluteten herein an beiden Seiten der Insel entlang. Sie rissen große Korallenblöcke mit sich und trugen Sandbänke ab, die wie Mehl vor dem Wind verschwanden, während andere aufgebaut wurden. Lose Wrackreste kamen an uns vorbeigesegelt, und die »Kon-Tiki« begann sich zu rühren. Alles, was längs des Strandes lag, mußte im Inneren der Insel geborgen werden, um nicht von der Flut mitgenommen zu werden. Bald waren nur mehr die höchsten Steine des Riff sichtbar, der Strand um unsere Insel war verschwunden, das Wasser schäumte gegen den Grasfleck empor. Es sah unchristlich aus, man hatte den Eindruck, das ganze Meer wäre am Einmarsch. Die »Kon-Tiki« drehte sich herum und trieb los, bis sie von neuen Korallenblöcken aufgefangen wurde.
Die Eingeborenen stürzten sich ins Wasser und schwammen und wateten über die Stromwirbel, bis sie von Bank zu Bank ans Floß kamen. Knut und Erich folgten nach. Taue lagen am Floß bereit, und als dieses die letzten Korallenblöcke umwarf und sich vom Riff löste, sprangen die Eingeborenen über Bord und versuchten, es zurückzuhalten. Sie kannten nicht »Kon-Tiki« und ihren unbändigen Drang, sich nach Westen durchzuschlagen, so daß sie hilflos im Schlepp mitgezogen wurden. Bald wanderte die »Kon-Tiki« mit guter Fahrt quer über das ganze Riff und in die Lagune hinein. Hier wurde sie gewissermaßen aufsässig, als sie stilleres Wasser erreichte, und sah sich um, wie um einen Überblick über weitere Möglichkeiten zu erhalten. Bevor sie sich wieder auf die Reise begab und den Auslauf auf der anderen Seite entdeckte, hatten die Eingeborenen bereits das Ende des Taues glücklich um eine Palme an Land geschlungen, und nun hing die »Kon-Tiki« festgebunden drinnen in der Lagune. Ein Fahrzeug, das über Land und Wasser ging, hatte sich quer über die Barrikade durchgeschlagen und war glücklich in die Lagune im Inneren von Raroia gekommen.
Mit aufreizenden Kampfrufen, wobei »ke-ke-te-huru-huru« als zündender Refrain hervorgebrummt wurde, zogen wir die » Kon-Tiki« herein auf den Strand, der ihren Namen führte. Vier Fuß höher als normale Flut kulminierte das Hochwasser. Wir warteten schon darauf, die ganze Insel verschwinden zu sehen.
Windstöße brachen über das Wasser herein, und wir konnten nicht viel von unserer Ausrüstung mit in die engen und wassergefüllten Kanus bekommen. Die Eingeborenen mußten in höchster Eile zurück zum Dorf, und Bengt und Hermann fuhren mit ihnen, um nach einem kleinen Burschen zu sehen, der sterbend in einer Hütte des Dorfes lag. Der Bub hatte eine Eiterbeule am Kopf, und wir hatten Penicillin.
Am Tag darauf saßen wir vier wieder allein auf der Kon-Tiki-Insel. Der Ostwind war jetzt so stark, daß die Eingeborenen nicht über die Lagune kommen konnten, die mit Untiefen und scharfen Korallengebilden gespickt war. Das Wasser stieg und sank in Flutwellen.