Als das gut gegangen war, nahmen die Krankheiten im Dorf kein Ende. Zahnweh und Bauchgrimmen gab es allerorten, und die Beulen hatten sie überall, Alte und Junge. Wir verwiesen die Patienten an Dr. Knut und Dr. Hermann, die Diät verordneten und die Medizinbüchsen auf Pillen und Salben ausleerten. Manche wurden kuriert, und keiner wurde schlechter, und da die Medizinkiste leer war, kochten wir Kakaosuppe und Hafergrütze, die einen glänzenden Effekt auf hysterische Alte ausübten.
Wir waren noch nicht viele Tage unter unseren braunen Bewunderern gewesen, als das Fest in einer neuen Veranstaltung kulminierte. Wir sollten als Bürger von Raroia adoptiert werden und polynesische Namen erhalten. Selbst ich durfte nicht länger Terai Mateata heißen, so konnte man mich auf Tahiti nennen, aber nicht hier.
Sechs Stühle waren für uns mitten auf dem Platz aufgebaut, und der ganze Ort war früh auf den Beinen, um einen guten Platz im Umkreis zu bekommen. Teka saß feierlich dazwischen. Er war wohl Häuptling, aber nicht, wenn es zu alten lokalen Zeremonien kam. Das fiel Tupuhoe zu.
Alle saßen todernst und stumm und warteten, bis der große, dicke Tupuhoe feierlich und langsam mit seinem großen Knotenstock heraufgestiegen kam. Er war sich der Feierlichkeit der Stunde bewußt. Aller Augen hingen an ihm, als er wie in tiefen, grübelnden Gedanken daherkam und sich vor uns sechs aufstellte. Er war der geborene Häuptling, ein hervorragender Sprecher und Schauspieler.
Mit leiser und gemessener Stimme wendete er sich herunter zu den Vorsängern, Trommlern und Tanzleitern, und indem er mit seinem Knotenstock nacheinander auf sie wies, gab er ihnen kurze Befehle. Dann drehte er sich wieder uns zu. Plötzlich sperrte er seine gewaltigen Augen auf, so daß das Weiße des Augapfels mit den Zähnen um die Wette leuchtete in dem ausdrucksvollen kupferbraunen Gesicht. Er hob den Knotenstock, und während die Worte aus ihm herausrollten wie die Erbsen aus einem Sack, rezitierte er alte Rituale, die höchsten die Ältesten verstanden, denn sie waren in einem uralten und vergessenen Dialekt.
Teka übersetzte uns, daß er davon sprach, daß Tikaroa der Name des ersten Königs war, der sich hier auf dieser Insel niedergelassen hatte. Er hatte über dieses seltsame Ringriff regiert, von Nord nach Süd, von Ost nach West und noch weit in die Luft, über die Köpfe der Menschen hinweg.
Während der ganze Chor das alte Lied von Tikaroa anstimmte, legte Tupuhoe seine mächtige Faust auf meine Brust und wendete sich zu den Zuhörern, indem er sagte, er taufe mich »Varoa Tikaroa« oder Tikaroas Geist.
Als das Lied erstarb, kam die Reihe an Hermann und Bengt. Nacheinander bekamen sie die große braune Faust auf die Brust, indem er den einen »Tupuhoe-Itetahua« und den anderen »Topakino« taufte. Es waren die Namen von zwei Helden der Vorzeit, die in den Kampf gegen ein Seeungeheuer gezogen waren und es bei der Einfahrt ins Raroiariff getötet hatten.
Die Trommelschläger setzten mit einigen mächtigen Wirbeln ein. Zwei robuste Männer sprangen vor mit aufgeknüpftem Lendenschurz und einem langen Spieß in der Hand. Sie bewegten sich in rasendem Tempo, rissen die Knie herauf bis an die Brust und stießen zeigend in die Luft, während sie den Kopf von einer Seite zur anderen warfen. Auf einen neuen Schlag der Trommel sprangen sie hoch, und in vollendetem Rhythmus begannen sie einen zeremoniellen Kampf, der geradezu die Form eines Balletts annahm. Das Ganze ging kurz und rasch vor sich und stellte den Kampf der Helden gegen das Seeuntier dar. Mit Gesang und Zeremonien kam die Reihe an Torstein, der den Namen «Maroake« nach einem toten König des hiesigen Dorfes bekam, und an Erich und Knut, die die Namen »Tane-Matarau« und »Tafaunui« nach zwei langst verstorbenen Seefahrern und Seehelden erhielten. Die lange und monotone Rezitation, die ihrer Taufe folgte, kam in einem wirbelnden Tempo und mit einem kontinuierliche Wortstrom daher, der in seiner unglaublichen Geschwindigkeit ebenso imponieren wie ergötzen konnte.
Die Zeremonie war vorüber. Wieder gab es weiße Häuptlinge unter dem Polynesiervolk auf Raroia. Zwei Reihen von Tänzern und Tänzerinnen traten in geflochtenen Strohkleidern mit wehenden Bastkronen vor. Sie tanzten an uns heran und hoben die Kronen von ihren Köpfen herüber auf die unseren, und wahrend wir rasselnde Strohkleider um den Leib bekamen, ging das Fest weiter.
Eines Nachts bekamen unsere blumenbekränzten Funker Verbindung mit der Amateurstation auf Rarotonga, die uns eine Meldung aus Tahiti übermittelte. Es war ein herzlicher Willkommensgruß vom Gouverneur der franzosischen Kolonie im Stillen Ozean.
Über Auftrag aus Paris hatte er den Regierungsschoner »Tamara« ausgesandt, um uns nach Tahiti zu bringen. So sollte es uns erspart bleiben, das unsichere Anlaufen des Kopraschoners abzuwarten. Tahiti war der Knotenpunkt der französischen Kolonie und die einzige Insel, die Verbindung mit der übrigen Welt hatte. Wir mußten über Tahiti, um den Postdampfer heim in unsere eigene Welt zu bekommen.
Das Fest auf Raroia ging weiter. Eines Nachts heulte eine Sirene draußen auf dem Meer. Ausguckposten kamen von den Palmenkronen und erzählten, daß ein Schiff am Eingang der Lagune lag. Wir liefen durch den Palmenwald hinunter zum Strand auf der Leeseite. Hier sahen wir hinaus auf das offene Meer, genau entgegengesetzt zu der Richtung, aus der wir gekommen waren. Die Brandung war wesentlich geringer auf dieser Seite, die im Windschutz jenes Riffs lag, das uns so übel mitgespielt hatte.
Dicht vor dem Eingang der Lagune sahen wir die Lichter eines Schiffs. Es war sternenklar. Wir erkannten die Umrisse eines breitgebauten Schoners mit zwei Masten. War es das Schiff des Gouverneurs, das uns holen sollte? Warum kam es nicht herein?
Die Eingeborenen wurden immer aufgeregter. Nun sahen wir es auch, das ganze Fahrzeug legte sich über und drohte zu kentern. Es war auf ein unsichtbares Korallenriff aufgefahren.
Torstein erwischte eine Lampe und signalisierte:
»Quel bâteau?« Welches Schiff?
»Maoae«, blinkte es von draußen.
»Maoae« war der Kopraschoner, der zwischen den Inseln verkehrte. Er war nach Raroia unterwegs, um Kopra zu holen. Kapitän und Besatzung an Bord waren Polynesier, sie kannten die Riffe in- und auswendig. Aber die Strömung im Dunkel war tückisch. Es war ein Glück, daß der Schoner auf der Leeseite lag und daß das Wetter ruhig war, aber die Strömung aus der Lagune war nicht ungefährlich. Die »Maoae« legte sich mehr und mehr auf die Seite, und die Besatzung ging in das Rettungsboot. Solide Taue wurden in den Mastspitzen festgemacht und herein auf Land gerudert, wo die Eingeborenen sie um die Kokospalmen befestigten, um zu verhindern, daß der Schoner kenterte. Mit anderen Tauen fuhr die Besatzung im Rettungsboot vor die Öffnung im Riff in der Hoffnung, die »Maoae« klar zu rudern, wenn sich die Ebbe aus der Lagune wälzte. Die Ortsbevölkerung setzte alle Kanus zu Wasser und zog aus, um die Kopralast zu bergen. Es waren neunzig Tonnen wertvoller Kopra an Bord. Ladung um Ladung von Koprasäcken wurde aus dem schlingernden Schoner ausgeladen und herein auf trockenen Grund gebracht. Auch bei Flut blieb die »Maoae« liegen und schlug und schrammte gegen die Korallen, bis der Boden leck wurde. Als der Tag graute, lag sie noch ungünstiger zugerichtet auf dem Riff. Die Besatzung konnte nichts unternehmen, es war unmöglich, den schweren Schoner mit seinen hundertfünfzig Tonnen mit Rettungsboot und Kanus freizuschleppen. Blieb er so liegen, so wurde er über kurz oder lang in Trümmer geschlagen. Wenn der Wind wechselte, so wurde er in die Brandung gezogen und scheiterte rettungslos am Ringriff.
Niedrige Koralleninseln wie die derTuamotugruppe und zerrissene Felseninseln wie Tahiti und Moorea fand Kon-Tiki, der Sohn der Sonne, als seine Balsafloße die ersten Menschen von Peru über das Meer brachten. Er wurde später als göttlicher Stammvater der Insulaner betrachtet. Steinstatuen völlig südamerikanischen Gepräges wurden ihm zu Ehren auf vielen Inseln errichtet.