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Der winzige Raum im Seemannsheim schien mir doppelt anheimelnd, als ich an diesem Abend zurückkam und mich mit der Karte auf die Bettkante setzte. Ich schritt den Fußboden ab, soweit es mir das Bett und die Kommode gestatteten, mich durchzuwinden.

Gott sei Dank, das Floß würde größer werden als dieser Raum. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, um einen Blick auf den fast vergessenen Sternenhimmel der Großstadt zu werfen, von dem nur ein kleiner Ausschnitt zwischen den hohen Hinterhofmauern sichtbar war. Und wenn auch wenig Platz auf dem Floß sein würde, es würde doch genug Raum für einen ganzen Sternenhimmel über uns sein.

Im Westen, 42. Straße, am Zentralpark, liegt einer der exklusivsten Klubs von New York. Nur ein kleines Messingschild »Explorers Club« verrät dem Vorbeigehenden, daß hinter der Tür etwas Ungewöhnliches zu erwarten ist. Tritt man aber erst ein, so ist es, als sei man nach einem Sprung mit dem Fallschirm mitten in einer fremden Welt gelandet, Tausende Meilen weit von den Automobilreihen New Yorks, über denen sich die Wolkenkratzer erheben. Wenn sich die Türe nach New York hinter einem geschlossen hat, wird man von einer Atmosphäre von Löwenjagden, Bergbesteigungen und Polarleben verschlungen, die sich merkwürdig mit dem Gefühl mischt, im Salon einer komfortablen Jacht zu sitzen, die sich gerade auf Weltreise befindet. Trophäen von Nilpferd und Hirsch, mächtige Geweihe, Stoßzähne, Kriegstrommeln und Spieße, Indianerteppiche, Götterbilder und Schiffsmodelle, Flaggen, Fotografien und Karten umgeben die Mitglieder des Klubs von allen Seiten, wenn sie sich hier zum Fest oder zum Vortrag über ferne Länder vereinigen.

Seit meiner Reise nach den Marquesas-Inseln war ich zum aktiven Mitglied des Klubs gewählt worden, und als Fuchs versäumte ich selten eine Versammlung, wenn ich in der Stadt war. Als ich deshalb an einem regenschweren Novemberabend den Klub betrat, war ich trotzdem erstaunt, das Lokal in einer ganz anderen Verfassung als gewöhnlich vorzufinden. Mitten auf dem Boden lag ein aufgeblasenes Gummifloß mit Rettungsbootrationen und Zubehör, während Fallschirm, Gummikleidung, Rettungswesten und Polarausrüstungen Wände und Tische bedeckten. Daneben lagen Wasserdestillationsapparate und andere bemerkenswerte Erfindungen. Ein neugewähltes Mitglied des Klubs, Oberst Huskin vom Ausrüstungskommando der Luftwaffe, wollte einen Vortrag mit Vorführungen über eine ganze Reihe von neuen militärischen Erfindungen halten, die seiner Meinung nach in Zukunft auch für wissenschaftliche Expeditionen in der Arktis wie in den Tropen von Nutzen sein konnten.

Nach dem Vortrag gab es eine lebhafte und rege Diskussion. Dänemarks allbekannter Polarforscher Peter Freuchen erhob sich, groß und breit, und fuhr sich skeptisch durch den mächtigen Bart. Er hatte kein Zutrauen zu solchen neumodischen Patenten. Er hatte selbst einmal Eskimokajak und Schneehütte mit Gummiboot und Taschenzelt auf einer seiner Grönlandexpeditionen vertauscht, aber das hätte ihm auch um ein Haar das Leben gekostet. Zuerst wäre er fast in einem Schneesturm erfroren, weil der Gleitverschluß des Zeltes so stark vereist war, daß es unmöglich war, hineinzukommen, und später war er auf Fischfang gewesen, als der Haken sich in dem aufgeblasenen Gummiboot verfing, so daß dieses ein Loch bekam und ihm wie ein Stein unter den Füßen wegsackte. Kaum konnte er sich und seinen Eskimofreund in ein Kajak hinüberretten, das ihm zu Hilfe eilte. Seitdem war er davon überzeugt, daß kein noch so phantasievoller moderner Erfinder durch Laboratoriumsversuche etwas Besseres austüfteln könnte, als die Erfahrung von Jahrtausenden die Eskimos gelehrt hatte, in der ihnen vertrauten Umgebung zu verwenden.

Die Debatte endete mit einem überraschenden Angebot Oberst Huskins: aktive Mitglieder des Klubs konnten für ihre nächste Expedition alles, was sie sich nur wünschten, von den neuen Erfindungen, die er gerade demonstriert hatte, aussuchen unter einer einzigen Bedingung, nämlich dem Laboratorium ihre Erfahrungen mitzuteilen, wenn sie zurückkehrten.

Und dabei blieb es.

Ich war der letzte, der an diesem Abend die Klubräume verließ. Ich mußte jedes kleinste Detail in der glänzenden neuen Ausrüstung studieren, die plötzlich in meine Hände gelegt war und mir zur Verfügung stand, wenn ich nur den Wunsch äußerte, sie zu verwenden. Es war genau das, was ich suchte: eine Ausrüstung für den Versuch, das Leben zu retten, wenn sich das Floß wider alle Erwartungen auflösen sollte und wir keine anderen Flöße in der Nähe hätten.

Am nächsten Morgen beim Frühstückstisch im Seemannsheim beschäftigte diese ganze Ausrüstung noch immer meine Gedanken, als ein gutgekleideter, athletisch gebauter junger Mann sich mit seinem Frühstückstablett zu mir setzte. Wir kamen ins Gespräch, und es zeigte sich, daß er genauso wenig Seeman war wie ich, sondern ein Diplomingenieur aus Trondheim, der hier in Amerika Maschinenteile kaufen und Erfahrung in Kältetechnik erwerben wollte. Er wohnte in der Nähe und aß oft im Seemannsheim, dessen gute norwegische Küche er schätzte. Er fragte mich, was ich treibe, und ich berichtete ihm in kurzen Zügen meine Pläne. Ich erwähnte, daß ich, wenn ich bis Ende dieser Woche keine posititive Antwort in bezug auf mein Manuskript bekäme, alles daransetzen würde, um die Floßexpedition in Gang zu bringen.

Darauf sagte mein Gegenüber nicht viel, aber er hörte interessiert zu.

Vier Tage später stießen wir wieder im Speisesaal zusammen.

»Hast du dich schon entschlossen, ob du die Tour unternimmst oder nicht?« fragte er.

»Ja«, sagte ich, »es geht los.«

»Wann?«

»So bald als möglich. Wenn ich mir Zeit lasse, dann kommen die Stürme herauf über die Südsee, und die Zeit der Orkane um die Inseln ist da. Man muß also Peru in wenigen Monaten verlassen, aber vorher heißt es, Geld besorgen und die ganze Angelegenheit organisieren.«

»Wieviel Leute sollen es werden?«

»Ich habe an insgesamt sechs Mann gedacht. Das gibt einige Abwechslung im Zusammenleben auf dem Floß und reicht gerade aus, um vierstündige Steuerwachen im Tag einzurichten.«

Einen Augenblick stand er in Gedanken versunken, dann kam es aber mit aller Entschiedenheit:

»Weiß Gott, ich hätte Lust, dabei mitzumachen. Ich könnte technische Messungen und Versuche anstellen. Du hast ja selbst gesagt, daß du das Experiment mit entsprechenden Messungen von Wind und Strom und Wellen unterbauen wolltest. Denk daran, du willst durch enorme Meeresgebiete treiben, die fast unbekannt sind, weil sie außerhalb jedes

Schiffsverkehrs liegen. Hier kann eine solche Expedition interessante hydrographische und meteorologische Untersuchungen anstellen, und ich bekäme einmal eine gute Verwendung für meine Thermodynamik.«

Ich wußte nicht mehr von dem Mann, als ein offenes Gesicht verrät. Manchmal genügt das.

»All right!« stimmte ich zu. »Fahren wir miteinander.«

Der Mann hieß Hermann Watzinger, er war genauso eine Landratte wie ich.

Wenige Tage später nahm ich Hermann als Gast mit in den »Explorers Club«. Hier trafen wir glücklicherweise gerade auf den Polarforscher Peter Freuchen. Freuchen hat die gesegnete Eigenschaft, niemals in der Menge unterzugehen. Groß wie ein Scheunentor, mit wallendem Bart, sieht er aus wie ein Bote der offenen Tundra. Er verbreitet eine Atmosphäre um sich, als führe er einen grauen Bären an der Leine.

Wir schleppten ihn an eine mächtige Landkarte und unterbreiteten ihm unseren Plan, mit einem Indianerfloß über den Stillen Ozean zu fahren. Beim Zuhören wurden seine blauen Jungenaugen groß wie Zinnteller, und vor Erstaunen strich er sich fortwährend den Bart. Dann stieß er das Holzbein gegen den Boden und zog sich den Hosenriemen einige Löcher fester.

»Ha, das ist ein Plan!« sagte er. »Weiß der Teufel, da sollte man dabeisein!«

Der alte Grönlandfahrer füllte unsere Biergläser und begann, sich über sein Vertrauen zu den Fahrkünsten der Naturvölker zu verbreiten. Er sprach von ihrer Geschicklichkeit, sich an die Natur zu Lande und auf dem Wasser anzupassen und sich auf diese Weise durchzusetzen. Er selbst war auf Flößen die großen Ströme Sibiriens hinuntergefahren und hatte Eingeborene auf Flößen und Booten längs der Küste des Polarmeeres geschleppt. Und dabei hörte er nicht auf, sich den Bart zu streichen und uns zu versichern, daß wir einer wunderbaren Zeit entgegengingen.