Nicci konnte ein gewisses Gefühl der Erleichterung nicht verhehlen.
»Danke, Zedd. Mit Eurer Hilfe werden wir es schaffen.«
Er schüttelte traurig den Kopf. »Mit meiner Hilfe? Womöglich bin ich nichts weiter als ein Störfaktor. Hättet Ihr mich doch nur vorher um Rat gefragt.«
»Hab ich doch«, sagte Nicci. »Ich wollte wissen, ob Ihr Richard Euer Leben, das Leben aller, anvertrauen würdet. Eine erschöpfendere Rücksprache ist doch wohl kaum vorstellbar.«
Ein Lächeln brach durch die Traurigkeit in seinem Gesicht. »Vermutlich habt Ihr recht. Gut möglich, dass der Feuerkettenbann in Verbindung mit der Verunreinigung der Chimären bereits mein Denkvermögen beeinträchtigt hat.«
»Das glaube ich keinen Augenblick, Zedd. Ich denke, Ihr liebt Richard und seid um ihn besorgt. Wäre es nicht so wichtig gewesen, hätte ich Euch niemals um Rat ersucht. Ihr habt mir gesagt, was ich wissen musste.«
»Sollte Euch noch einmal eine solche Verwirrung überkommen«, meinte Cara zu ihm, »bin ich gern bereit, Euch wieder auf den rechten Weg zu bringen.«
Zedd bedachte sie mit einem finsteren Blick. »Wie überaus tröstlich.«
»Nun, Nicci hat sich ziemlich umständlich ausgedrückt«, sagte Cara, »aber eigentlich ist es gar nicht so kompliziert. Eigentlich sollte das jeder verstehen - sogar Ihr, Zedd.«
Er runzelte die Stirn. »Was wollt Ihr damit sagen?«
Cara zuckte eine Schulter. »Wir sind der Stahl gegen den Stahl. Lord Rahl ist die Magie gegen die Magie.«
Für Cara war damit alles gesagt. Nicci fragte sich, ob die Mord-Sith wirklich nicht begriff, dass sie damit nur die Oberfläche ankratzte, oder ob sie die Zusammenhänge womöglich besser begriff als jeder andere. Vielleicht hatte sie ja recht, und die Dinge lagen wirklich so einfach.
Zedd legte ihr eine Hand auf die Schulter, so sanft, dass sie sich sofort an Richard erinnert fühlte.
»Nun, was immer Cara sagt, dies könnte unser aller Tod sein. Aber wenn das Ganze Aussichten auf Erfolg haben soll, steht uns eine Menge Arbeit bevor. Richard wird unsere Hilfe benötigen. Wir beide wissen eine Menge über Magie, er dagegen so gut wie nichts.«
Nicci lächelte. »Er weiß mehr darüber, als Ihr denkt. Immerhin hat er die Störung im Feuerkettenbann entschlüsselt. Keiner von uns hatte auch nur eine Ahnung von dieser Geschichte mit der Sprache der Symbole, Richard dagegen hat es ganz von allein aufgegriffen und sich selbst beigebracht, wie man die alten Zeichnungen und Embleme deutet. Ich habe ihm nie etwas über seine Gabe beibringen können, und doch war ich oft überrascht, wie weit sein Auffassungsvermögen über das übliche Verständnis von Magie hinausging. Er brachte mir Dinge bei, die ich mir niemals hätte träumen lassen.«
Zedd nickte. »Ja, mich treibt er auch bisweilen in den Wahnsinn.«
Rikka, die andere auf der Burg der Zauberer lebende Mord-Sith, steckte den Kopf zur Tür herein. »Zedd, ich denke, das solltet Ihr wissen.« Sie wies mit dem Finger nach oben. »Ich war eben ein paar Stockwerke höher; offenbar gibt es dort ein zerbrochenes Fenster oder so. Der Wind macht jedenfalls ein seltsames Geräusch.«
Zedd runzelte die Stirn. »Was denn für ein Geräusch?«
Die Hände in die Hüften gestemmt, starrte sie auf den Boden und überlegte. »Ich weiß nicht.« Sie sah wieder auf. »Schwer zu beschreiben. Ein bisschen erinnerte es mich an Wind, der durch einen schmalen Durchgang bläst.«
»Eine Art Heulen?«, hakte Zedd nach.
Rikka schüttelte den Kopf. »Nein, eher so wie draußen auf der Brustwehr, wenn der Wind durch die Zinnen pfeift.«
Nicci blickte zu den Fenstern. »Es dämmert gerade. Ich war dabei, Netze zu wirken. Es geht überhaupt noch kein Wind.«
Rikka zuckte die Achseln. »Dann weiß ich auch nicht, was es hätte sein können.«
»Die Burg macht manchmal Geräusche, wenn sie atmet.«
Rikka rümpfte die Nase. »Atmet?«
»Ganz recht«, antwortete der Zauberer. »Wenn sich die Temperatur verändert, wie zum Beispiel jetzt, da die Nächte kälter werden, gerät die Luft in den Abertausenden von Räumen in Bewegung. Wird sie dann durch die Engpässe der Durchgänge gepresst, entsteht in den Fluren ein Stöhnen, selbst wenn draußen gar kein Wind weht.«
»Also, ich wohne noch nicht lange genug hier, um es selbst erlebt zu haben, aber das muss es wohl gewesen sein. Der Atem der Burg.« Rikka machte Anstalten, sich zu entfernen.
»Rikka?« Zedd wartete, dass sie stehen blieb. Sie drehte sich noch einmal um.
»Dieses Windgeräusch.« Er fuchtelte mit dem Finger Richtung Decke.
»Es war dort oben, sagt Ihr?« Sie nickte.
»Meint Ihr den gescheckten Flur, der an der Reihe von Bibliothekssälen vorbeiführt? Mit den Sitznischen draußen in den Zwischenräumen vor den Zimmern?«
»Genau den meine ich. Ich war gerade dabei, in den Lesesälen nach Rachel zu suchen. Sie blättert gerne in den alten Schriften. Wie Ihr schon sagtet, es muss der Atem der Burg gewesen sein.«
»Das Problem ist nur, dass dies einer von mehreren Bereichen ist, wo die Burg normalerweise beim Atmen keinerlei Geräusche macht. Der Flur dort endet in einer Sackgasse, weshalb die Luftbewegungen in andere Bereiche umgelenkt werden, so dass der Luftstrom dort viel zu träge ist, um hörbare Geräusche zu erzeugen.«
»Vielleicht kam es ja von weiter weg, und ich habe mir nur eingebildet, es wäre in diesen Fluren gewesen.«
Zedd stemmte eine Hand auf seine knochige Hüfte und dachte nach. »Es klang also wie eine Art Stöhnen, sagt Ihr?«
»Na ja, wenn ich es mir recht überlege, schien es eher ein Knurren zu sein.«
Zedd legte die Stirn in Falten. »Ein Knurren?« Er schritt über den dicken Teppich, steckte den Kopf zur Tür hinaus und lauschte.
»Na ja, nicht wie von einem Tier«, verbesserte sich Rikka. »Eher eine Art rollendes Grollen. Ich sagte ja schon, es hat mich an das Geräusch des Windes erinnert, wenn er durch die Zinnen bläst. Ihr wisst schon, so eine Art flatterndes Dröhnen.«
»Also, ich höre nichts«, murmelte Zedd.
Rikka zog ein Gesicht. »Na, hier unten ist das auch schlecht möglich.«
Nicci trat zu ihnen an die Tür. »Und wieso spüre ich dann dieses leise Vibrieren in meiner Brust?«
Zedd starrte sie einen Moment lang an. »Vielleicht hat es etwas mit der Zauberei um das Kästchen hier zu tun?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich nehme an, das wäre möglich. Mit einigen der Elemente hatte ich mich noch nie zuvor beschäftigt, vieles war völlig neu. Unmöglich zu sagen, welche Nebeneffekte sich dabei ergeben haben können.«
»Wisst Ihr noch, wie Friedrich aus Versehen dieses Warnzeichen ausgelöst hat?«, fragte er Rikka. Sie nickte. »Klang es vielleicht in etwa so?«
Rikka schüttelte entschieden den Kopf. »Nur, wenn man es unter Wasser gesetzt hätte.«
»Diese Warnzeichen bestehen aus entworfener Magie.« Zedd rieb sich nachdenklich das Kinn. »Man kann sie nicht unter Wasser setzen.«
Caras Strafer wirbelte in ihre Hand. »Genug geredet.« Sie zwängte sich zwischen den beiden hindurch und trat durch die Tür. »Ich sage, wir gehen nachsehen.«
Zedd und Rikka schlossen sich ihr an, nicht aber Nicci. Stattdessen wies sie auf das Kästchen der Ordnung, das inmitten des leuchtenden Lichtgeflechts auf dem Tisch stand. »Ich sollte besser in der Nähe bleiben.«
Sie musste nicht nur das Kästchen bewachen, sondern auch weiter Das Buch des Lebens sowie einige andere Folianten studieren, denn noch immer gab es einige Teile der Ordnungstheorie, die sich ihr nicht vollkommen erschlossen hatten. Es gab eine Reihe ungeklärter Fragen, die ihr keine Ruhe ließen. Wenn sie die Absicht hatte, Richard irgendwann eine Hilfe zu sein, musste sie eine Antwort auf sie finden. Am meisten Sorge bereitete ihr ein zentraler Punkt der Ordnungstheorie sowie das Opfer der Feuerkettenreaktion selbst - Kahlan. Sie musste das Wesen der Erfordernisse für auf Primärgrundlagen basierenden Verbindungen besser verstehen, und sie musste begreifen, wie diese Grundlagen begründet wurden. Was ihr Sorgen machte, waren die Beschränkungen auf vorherbestimmte Verfahren - der Umstand, dass sie für die Neuschaffung von Erinnerung eines sterilen Feldes bedurften. Außerdem musste sie mehr über die genauen Bedingungen in Erfahrung bringen, unter denen diese Kräfte angewandt werden mussten. Im Mittelpunkt all dessen stand jedoch die Anforderung eines sterilen Feldes. Sie musste das genaue Wesen des für die Macht der Ordnung erforderlichen sterilen Feldes verstehen, und, weit wichtiger, den Grund, weshalb die Ordnungsverfahren seiner bedurften.