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Glitzernde Lichtpartikel glommen auf und blinkten zwischen Nicci und den anderen in der Luft - vom Zauberer gewirkte Magie. Sie verfehlte den Eindringling um ein gutes Stück. Auch wenn die kurze Energieentladung wirkungslos verpuffte, so war Nicci doch überrascht, dass Zedd sie überhaupt hatte auslösen können. Sie hatte ungefähr dasselbe versucht, ergebnislos.

Dunkle Stofffetzen trieben mit fließenden, flatternden Bewegungen durch den Gang. Sich windende Formen und Schatten krümmten sich in kaum merklicher Bewegung. Die Gestalt ging nicht, lief nicht, sie glitt dahin und schien nahezu regungslos inmitten des wehenden Stoffes ihres Kleides zu schweben.

Dann war sie ein weiteres Mal verschwunden.

Nur um einen Lidschlag später wieder aufzutauchen, sehr viel näher jetzt. Die gespenstische Haut spannte straff über einem Gesicht, das aussah, als hätte das Sonnenlicht es nie berührt. Knäuel schwerelosen schwarzen Haars stiegen mit Fetzen des schwarzen Kleides empor. Es war der verstörendste Anblick, den Nicci je gesehen hatte. Ihr war, als würde sie ertrinken. Das Gefühl, nicht schnell genug atmen zu können, ließ Panik in ihr aufsteigen. Doch ihre brennenden Lungen konnten nicht schneller arbeiten als ihr übriger Körper.

Als Nicci genauer hinsah, war die Frau verschwunden. Sie gewahrte, dass auch ihre Augen zu langsam arbeiteten. Der Gang war wieder leer. Offenbar vermochte die Einstellung ihrer Augen der Bewegung nicht zu folgen.

Vielleicht, überlegte Nicci, hatte sie ja eine Art Halluzination, ausgelöst von den von ihr gewirkten Bannen oder der Macht der Ordnung, die sie angezapft hatte. Sie überlegte, ob es sich um eine Nachwirkung der Banne handeln konnte. Vielleicht hatte die Macht der Ordnung höchstselbst sie heimgesucht, um sie zu holen, weil sie mit diesen verbotenen Kräften herumexperimentiert hatte.

Das musste es sein - irgendeine Verbindung mit den gefährlichen Dingen, die sie heraufbeschworen hatte.

Wiederum erschien die Frau, schien völlig unvermittelt aus dem dunklen Abgrund nach oben zu treiben.

Diesmal konnte sie die strengen, harten Züge ihres Gesichts erkennen. Verblichene blaue Augen hefteten sich auf Nicci, als wäre sie das Einzige auf der Welt. Der bohrende Blick erfüllte sie bis auf den Grund ihrer Seele mit eiskalter Angst. Die Augen der Frau waren so blass, dass sie blicklos wirkten, doch Nicci wusste, dass die Frau sehr wohl sehen konnte, nicht nur in diesem Licht, sondern auch in der dunkelsten Höhle oder unter einem Felsen, wo kein Tageslicht sie je erreichte.

Das Lächeln der Frau war das boshafteste, das Nicci je gesehen hatte, das Lächeln einer Person, der Angst vollkommen fremd war, und die es genoss, sie auszulösen, einer Frau, die wusste, dass sie alles in der Gewalt hatte. Es war ein Lächeln, das ihr ein langsames Frösteln durch den Körper kriechen ließ.

Und dann war sie abermals verschwunden.

In der Ferne flammte erneut Zedds Magie auf, nur um unmittelbar darauf wieder zu erlöschen.

Nicci versuchte sich von der Stelle zu rühren, doch die Welt war zu zähflüssig, wie bisweilen in ihren schauderhaften Träumen, in denen alle Anstrengungen, sich zu bewegen, erfolglos blieben. In diesen Träumen versuchte sie vor Jagang wegzulaufen, doch stets war er unmittelbar hinter ihr, die Hand bereits nach ihr ausgestreckt. Wenn er sich dann auf sie stürzte, glich er dem Tod höchstselbst, der nichts als die unvorstellbarsten Grausamkeiten im Sinn hatte. Obwohl sie stets weglaufen wollte, ließen sich ihre Beine einfach nicht schnell genug bewegen.

Es waren Träume, die sie in einen Zustand panischen Zitterns versetzten, und in denen der Tod so wirklich war, dass sie die Todesangst bereits schmecken konnte.

Aber dies war kein Traum.

Japsend versuchte Nicci Luft zu holen, um Zedd etwas zuzurufen, doch beides war jenseits ihrer Fähigkeiten. Sie versuchte ihr Han herbeizurufen, ihre Gabe, vermochte aber keine Verbindung zu ihr herzustellen. Es war, als wäre ihre Gabe unfassbar schnell, sie selbst dagegen unglaublich langsam. Beides war miteinander unvereinbar. Plötzlich war die Frau, mit ihrer Haut von der blassen Farbe frisch Verstorbener, Haar und Kleid schwarz wie die Unterwelt, unmittelbar neben ihr.

Schwebend löste sich ihr Arm und langte unter dem wirbelnden Kleiderstoff hervor. Das ausgedörrte, fest über ihren Knöcheln spannende Fleisch betonte das darunterliegende Knochengerüst noch. Mit ihren knochendürren Fingern strich sie über die Unterseite von Niccis Kinn, eine Berührung voller Hochmut, eine arrogante Geste des Triumphs.

Dann lachte sie ein hohles, gurgelndes Unterwasserlachen, das schmerzhaft durch die steinernen Flure der Burg der Zauberer hallte. Nicci war jenseits allen Zweifels klar, was diese Frau wollte, weshalb sie gekommen war. Verzweifelt mühte sie sich, ihre Kraft zu entfesseln, die Frau zu packen, nach ihr zu schlagen, sie irgendwie aufzuhalten, doch sie war wie gelähmt. Ihre Kraft schien so unendlich fern, dass es eine Ewigkeit dauern würde, bis zu ihr durchzudringen.

Kaum hatten die Finger Niccis Kinn gestreift, da war die Frau auch schon wieder verschwunden und sanft in schwarze Tiefen zurückgesunken. Das nächste Mal zeigte sie sich an der messingbeschlagenen Tür des Zimmers, in dem sich das Kästchen befand. Sanft umspült von ihrem Kleid, trieb sie hindurch, ohne dass ihre Füße den Boden berührten. Und entschwand erneut aus Niccis Blick.

Bei ihrem nächsten Erscheinen befand sie sich genau zwischen dem Zimmer und Nicci.

Sie hatte das Kästchen der Ordnung unter dem Arm.

Und während das entsetzliche Lachen in Niccis Verstand widerhallte, zerschmolz die Welt zu völliger Schwärze.

6

Rachel hatte keinen Schimmer, wem das Pferd gehörte, und eigentlich war es ihr auch egal. Sie wollte es haben.

Die ganze Nacht über war sie gerannt, und nun war sie erschöpft. Sie hatte kein einziges Mal Halt gemacht, um darüber nachzudenken, wovor sie eigentlich weglief, irgendwie schien das nicht wichtig. Was zählte, war, dass sie weiterlief, vorwärtskam. Sie musste sich sputen. Sie musste schneller laufen.

Sie brauchte das Pferd.

Sie war sicher, in welche Richtung sie sich halten musste, ohne genau zu wissen, warum. Sie schenkte dieser Frage keine ernstliche Beachtung, es war nichts weiter als eine Frage aus einem entlegenen Winkel ihres Verstandes, die nie in solcher Klarheit an die Oberfläche kam, dass sie zu einer bewussten Sorge wurde.

Sie kauerte sich in das trockene, spröde Unterholz, versuchte sich so still wie ein Schatten zu verhalten und überlegte sich, wie sie vorgehen sollte. Wegen der Kälte fiel es ihr schwer stillzusitzen, trotzdem versuchte sie, nicht zu zittern, um sich nicht zu verraten. Gern hätte sie sich die Arme gerieben, war aber klug genug, es zu unterlassen -jede Bewegung konnte Aufmerksamkeit erregen. Trotz der Kälte war ihre einzige Sorge das Pferd, das sie sich beschaffen musste.

Wer immer sein Besitzer war, er schien im Moment nicht in der Nähe zu sein, und wenn doch, konnte sie ihn zumindest nirgendwo entdecken. Vielleicht lag er irgendwo im hohen Gras und schlief, so dass sie ihn deswegen nicht sehen konnte. Vielleicht befand er sich auch auf einem Erkundungsgang.

Oder er lag irgendwo auf der Lauer und beobachtete sie, womöglich mit bereits eingelegtem Pfeil, um sie sofort niederschießen zu können, sobald sie aus ihrem Versteck hervorsprang und losrannte. So angsteinflößend diese Vorstellung auch war, sie war nichts im Vergleich zu ihrem Wunsch, weiterzukommen, und das möglichst bald.

Rachel sah nach der Sonne hinter dem dichten, kleinen Wäldchen, orientierte sich und vergewisserte sich, dass sie genau wusste, in welche Richtung sie sich halten musste. Sie ließ den Blick über die in Frage kommenden Fluchtwege schweifen. Dort drüben gab es einen breiten Pfad, fast eine Straße. Keine schlechte Wahl für eine schnelle Flucht. Ein flacher Bachlauf mit kieseligem Bett querte ein Stück der offenen Wiese und verlief jenseits davon gleich neben der Straße, ehe beide in südöstlicher Richtung zwischen den Bäumen verschwanden. Die tiefstehende, riesig aussehende Sonne berührte fast den Horizont. Ihre tiefrote Farbe entsprach genau der ihrer Kratzer, die sie sich beim Rennen durch das Unterholz eingefangen hatte.