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»Wie willst du sterben?«, fragte Johnrock.

Zwar war Richard es leid, dem Wachsen der Rampe zuzusehen und über die finstere und barbarische Zukunft nachzugrübeln, die die Imperiale Ordnung ihnen allen aufzwingen würde, doch Johnrocks Frage war auch nicht gerade ein Lichtblick. Er ließ sich auf der anderen Seite gegen die Innenseite des Wagenrades sacken und widmete sich weiter dem Verspeisen seiner Eier.

»Glaubst du, ich habe eine Wahl?«, antwortete er nach einer Weile.

»Dass ich ein Wörtchen dabei mitzureden habe?« Den Unterarm auf sein Knie gestützt, gestikulierte er mit einem halb verspeisten Ei. »Wir treffen Entscheidungen über unsere Lebensweise, Johnrock. Auf unsere Art des Sterbens haben wir längst nicht so viel Einfluss.«

Seine Antwort schien Johnrock zu überraschen. »Du glaubst, wir können selbst entscheiden, wie wir leben wollen? Wir haben nicht die geringste Wahl, Rüben.«

»Doch, die haben wir«, erwiderte Richard ohne sich näher zu erklären, und warf sich das halbe Ei in den Mund.

Johnrock packte die an seinem Halsring befestigte Kette. »Wie kann ich mit diesem Ding um den Hals Entscheidungen treffen?« Er wies zum Feldlager hinüber. »Das sind unsere Herren.«

»Herren? Sie haben sich entschieden, nicht selbst zu denken und stattdessen nach den Lehren der Imperialen Ordnung zu leben. Das macht sie nicht einmal zu Herren über ihr eigenes Leben.«

Johnrock schüttelte erstaunt den Kopf. »Manchmal sagst du die merkwürdigsten Sachen, Rüben. Ich bin es, der keine Wahl hat, nicht sie.«

»Es gibt Ketten, die stärker sind als die Ketten am Ring um deinen Hals, Johnrock. Mein Leben bedeutet mir sehr viel, trotzdem würde ich es opfern, um das Leben eines geliebten Menschen zu retten, eines Menschen, an dem mir sehr viel liegt.

Die Männer da draußen haben sich entschieden, ihr Leben einer geistlosen Sache zu opfern, die nichts als Leid hervorbringt - sie haben ihr Leben längst aufgegeben und keine Gegenleistung dafür bekommen. Ist das eine Entscheidung, wie man leben möchte? Wohl kaum. Sie haben sich selbst Ketten um den Hals gelegt, Ketten einer anderen Art, aber trotzdem Ketten.«

»Als sie mich holen kamen, habe ich mich gewehrt. Die Imperiale Ordnung hat gewonnen, und nun liege ich hier in Ketten. Diese Männer leben, versuchen wir uns aber zu befreien, ist das unser sicherer Tod.«

Richard befreite ein weiteres Ei von ein paar Schalenresten. »Wir müssen alle sterben, Johnrock - jeder Einzelne von uns. Was zählt, ist, wie wir unser Leben führen. Schließlich ist es das einzige, das uns je vergönnt sein wird, also ist die Art und Weise, wie wir es führen, von überragender Bedeutung.«

Kauend dachte Johnrock einen Moment lang darüber nach, schließlich schien er das Ganze mit einem Grinsen abzutun. »Also, wenn ich mich am Ende doch entscheiden muss, wie ich sterben möchte, dann unter dem Jubel der Menge, weil ich gut gespielt habe.« Er schaute zu Richard hinüber. »Und du, Rüben. Angenommen, du hättest die Wahl?«

Richard gingen ganz andere Dinge durch den Kopf - wichtige Dinge. »Ich hoffe, ich muss die Frage nicht noch heute klären.«

Johnrock seufzte schwer. Die Eier wirkten winzig in seiner kräftigen Hand. »Vielleicht nicht heute, aber ich denke, die Spiele werden hier, an diesem Ort, zu Ende gehen ... hier an diesem Ort werden wir unser Leben verlieren.«

Als Richard nicht darauf antwortete, sprach Johnrock erneut in das monotone Rauschen des Regens hinein. »Ich meine es ernst.« Er runzelte die Stirn. »Hörst du eigentlich zu, Rüben, oder träumst du noch immer von der Frau, die du gestern zu sehen geglaubt hast, als wir ins Lager kamen?«

In diesem Moment wurde Richard bewusst, dass es genau so war, und dass er ein Lächeln auf den Lippen hatte. So zutreffend Johnrocks Worte sein mochten - dass sie an diesem Ort durchaus sterben konnten -, er lächelte. Gleichwohl verspürte er nicht die geringste Lust, mit ihm über Kahlan zu diskutieren.

»Ich habe so einiges gesehen, als wir ins Lager gerollt sind.«

»Schon bald, nach den Spielen«, fuhr Johnrock fort, »wird es jede Menge Frauen geben - vorausgesetzt, wir schneiden gut ab. Das hat uns Schlangengesicht versprochen. Aber zur Zeit gibt es nur immer mehr Soldaten. Du hast gestern bestimmt Gespenster gesehen.«

Richard nickte, den Blick auf nichts Bestimmtes gerichtet. »Ich denke, du täuschst dich gewaltig, wenn du sie für eine Erscheinung hältst.«

Johnrock schob ein Stück Kette zur Seite und rutschte näher an Richard heran. »Sieh besser zu, dass du einen klaren Kopf bekommst, Rüben, wenn nämlich nicht, werden wir abgeschlachtet, ehe wir überhaupt eine Chance kriegen, gegen die Mannschaft des Kaisers anzutreten.«

Richard blickte auf. »Ich dachte, du wärst bereit zu sterben.«

»Ich will nicht sterben, jedenfalls noch nicht.«

»Siehst du, Johnrock, schon hast du eine Entscheidung getroffen. Selbst in Ketten hast du eine dein Leben betreffende Entscheidung getroffen.«

Er drohte Richard mit seinem massigen Finger. »Hör zu, Rüben, wenn ich beim Ja’La getötet werde, dann möchte ich nicht, dass es deswegen geschieht, weil du über den Wolken schwebst und von irgendwelchen Frauen träumst.«

»Nur von einer, Johnrock.«

Der Hüne ließ sich nach hinten sinken und schnippte Eierschalen von seinen Fingern. »Ja, ich erinnere mich. Angeblich hast du die Frau gesehen, die deine Ehefrau werden soll.«

Richard unterließ es, ihn zu verbessern. »Ich will nichts weiter, als dass wir gut spielen und alle Partien gewinnen, damit wir die Chance erhalten, gegen die Mannschaft des Kaisers anzutreten.«

Johnrocks Grinsen kehrte zurück. »Glaubst du wirklich, wir können sie schlagen? Glaubst du, wir können eine Partie gegen diese Barbaren überstehen?«

Richard schlug die nächste Eierschale an seinem Stiefelabsatz auf. »Du warst es doch, der eine gute Partie abliefern und unter dem Jubel der Massen sterben wollte.«

Johnrock warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. »Vielleicht tue ich ja, was du sagst, und entscheide mich für ein Leben in Freiheit.«

Richard lächelte nur, ehe er in sein Ei biss.

Kaum hatten er und Johnrock ihre Mahlzeit beendet, nahte Kommandant Karg mit stapfenden Schritten durch den Morast. »Raus da! Alle miteinander!«

Richard und Johnrock krabbelten unter dem Wagen hervor in den Nieselregen. Andere Gefangene bei den Wagen rechts und links von ihnen erhoben sich und warteten darauf, dass der Kommandant ihnen erklärte, was er wollte. Die zur Mannschaft gehörenden Soldaten rückten näher zusammen.

»Wir erwarten Besuch«, verkündete Kommandant Karg.

»Was denn für Besuch?«, wollte einer der Soldaten wissen.

»Der Kaiser wird die für das Turnier eingetroffenen Mannschaften inspizieren. Kaiser Jagang und ich kennen uns schon sehr lange. Ich erwarte von euch, dass ihr ihm den Beweis liefert, dass ich eine würdige Mannschaft zusammengestellt habe. Wer kein gutes Licht auf mich wirft oder es am nötigen Respekt für unseren Kaiser fehlen lässt, ist für mich nutzlos.«

Ohne ein weiteres Wort eilte der Kommandant von dannen. Richard fühlte sich plötzlich unsicher auf den Beinen, und sein Herz schlug heftig. Würde Kahlan Jagang begleiten, wie schon tags zuvor? So sehr er sich wünschte, sie wiederzusehen, so zuwider war ihm die Vorstellung, dass sie sich in der Nähe dieses Mannes aufhielt -oder überhaupt in der Nähe eines dieser Kerle.

Als stellvertretende Befehlshaberin der D’Haranischen Streitkräfte hatte Kahlan Kaiser Jagang nicht nur den ansonsten längst gewissen Sieg verwehrt, sondern sich aufgrund der ihm zugefügten Verluste auch seinen ewigen Hass zugezogen. Wäre sie nicht gewesen, hätte die Imperiale Ordnung die D’Haranische Armee vermutlich längst aufgerieben.

Er versuchte gefasst zu wirken, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Wagen und wartete. Kurz darauf erblickte er einen Umzug, der sich links von ihm in einiger Entfernung einen Weg durch das Feldlager bahnte. Die Personen schritten die Reihe der Mannschaften ab und machten in regelmäßigen Abständen kurz Halt, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.