Rubens Mannschaft ging anders vor. Auf das Zeichen wirbelten sie herum und liefen in geordneter Formation vor ihm her. Keineswegs traten sie als bestenfalls locker koordinierter Haufen auf, vielmehr bewegten sie sich wie eine disziplinierte Kampfformation auf dem Weg in eine Feldschlacht.
Die Spieler der gegnerischen Mannschaft, wütend und getrieben von dem Verlangen nach Rache, stürmten vor, um der brocführenden Mannschaft den Weg zu verstellen. Doch kaum hatte die rote Mannschaft die Mittellinie überquert, scherte sie geschlossen aus und hielt auf das Netz zu ihrer Rechten zu. Einer Meute reißender Bären gleich stürzten sich die Verteidiger auf sie. Ihre Blocker, die wussten, was sie zu tun hatten, waren fest entschlossen, die vorrückenden Angreifer noch vor Erreichen der Wurfzone zu stoppen.
Doch statt seinen Mitspielern hinterherzulaufen, scherte Rüben im letzten Augenblick nach links aus und rannte ganz alleine diagonal über das Spielfeld zum linken Netz. Der größte Teil beider Mannschaften prallte in einem gewaltigen Gedränge aufeinander, wobei einige der Verteidiger offenbar nicht einmal mitbekommen hatten, dass der Spieler, dem ihr Interesse galt, sich längst dem Pulk entzogen hatte. Lediglich ein Deckungsspieler, der ein Stück zurückgeblieben war, hatte Rubens Manöver mitbekommen und schaffte es, gerade noch rechtzeitig herumzuschwenken, um ihn zu blocken. Doch der erwischte ihn mit vorgeschobener Schulter mitten in der Brust, nahm ihm den Atem und schickte ihn zu Boden, ehe er ohne weitere Verzögerung die Wurfzone erreichte und den Broc ins Netz wuchtete.
Sofort spurtete die rote Mannschaft wieder in ihre Spielfeldhälfte zurück und nahm, solange noch Zeit blieb, ihre Positionen für einen zweiten Angriffszug ein. Während der Schiedsrichter mit dem Broc über das Spielfeld trabte, schauten sie bereits zu ihrem schwer atmenden Spielführer hinüber und erwarteten dessen Handzeichen. Das erfolgte in aller Knappheit und Kürze, ein Signal, in Kahlans Augen viel zu unscheinbar, um viel bedeuten zu können. Als der Schiedsrichter ihm den Broc zuwarf, sprintete er augenblicklich in vollem Tempo los. Seine Mannschaft war darauf vorbereitet und bildete vor ihm eine kurze, dicht geschlossene Linie.
Als der wutentbrannte, jegliche Ordnung vermissen lassende Haufen der anderen Mannschaft sie beinahe erreicht hatte, drehte die rote Mannschaft nach links ab, fing dadurch den Blockadeversuch ab und lenkte dessen ganze Wucht zur linken Seite hinüber. Rüben, der unmittelbar hinter der Reihe seiner Mitspieler lief, scherte aus nach rechts, rannte solo über das leere Spielfeld und schleuderte den Broc, ehe einer der Blocker ihn erreichen konnte, mit einem angestrengten Aufschrei von einem Punkt weit hinter der regulären Wurfzone. Es war überaus schwierig, einen Treffer aus der Tiefe des Rückraums heraus zu erzielen, weswegen ein gelungener Versuch von dort statt mit dem üblichen einen Punkt mit deren zwei belohnt wurde.
In hohem Bogen segelte der Broc über die Köpfe der Netzdecker hinweg, die ihn mit hektischen Sprüngen noch abzufangen versuchten. Verwirrt durch den auf gerader Linie vorgetragenen Angriff, hatten sie mit einem solchen Distanzwurf nicht gerechnet, so dass er sie vollkommen unvorbereitet traf.
Der Broc trudelte knapp bis ins Netz.
Augenblicke später erklang das Horn und verkündete das Ende des Angriffsrechts der roten Mannschaft.
Die Menge war wie vom Donner gerührt, viele starrten offenen Mundes. In ihrer ersten Angriffsphase hatte die rote Mannschaft drei Punkte errungen - ganz zu schweigen von den beiden ungültigen Versuchen, die Rüben zusätzlich erzielt hatte.
Bedrücktes Schweigen legte sich über die Arena, als die gegnerische Mannschaft zu einer geheimen Besprechung zusammenkam, um zu klären, wie man gegen die unerwartete Wendung der Dinge vorgehen solle. Ihre Angriffsspitze schien mit aufgebrachter Stimme einen Vorschlag zu machen, woraufhin seine Mitspieler feixend nickten und sich dann aufteilten, um ihren Spielabschnitt mit dem Broc in Angriff zu nehmen.
Als die Menge mitbekam, dass sie offenbar einen Plan ausgeheckt hatten, begann sie Anfeuerungen zu brüllen. Über diese Anfeuerungen hinweg erteilte die Angriffsspitze ihrer Mannschaft mit grimmiger Stimme Anweisungen. Zwei seiner Deckungsspieler reagierten mit einem Nicken auf die für Kahlan unverständlichen Kommandos.
Auf seinen Schrei hin stürmten sie über das Spielfeld nach vorn, ein dichtes Knäuel aus geballtem Ungestüm und Muskelkraft. Doch statt auf die Wurfzone zuzuhalten, schlug die Angriffsspitze unvermittelt einen Haken nach rechts und brachte den Angriff diagonal vom Kurs ab. Rüben und seine Mitspieler konnten gerade noch herumschwenken, um den Angriff abzufangen, aber nicht mehr rechtzeitig ihren vollen Schwung in die Waagschale werfen. Was folgte, war ein Zusammenprall mit brutaler Wucht, der einzig darauf abzielte, Rubens linken Flügelstürmer auszuschalten. Dabei gaben sich die Spieler nicht einmal mehr den Anschein, punkten zu wollen, sondern gaben dieses Vorhaben zugunsten der absichtlichen Verletzung eines gegnerischen Spielers auf, um die rote Mannschaft nachhaltig zu schwächen.
Als die Menge in der Erwartung, endlich Blut zu sehen, aufheulte, schälten sich die Männer einer nach dem anderen aus dem Gedränge hervor und rappelten sich wieder auf. Rot bemalte Spieler zerrten Gegenspieler aus dem Weg, um ihren unter dem Menschenberg begrabenen Mitspieler zu befreien. Wer als Einziger nicht mehr auf die Beine kam, war der linke Flügelstürmer der roten Mannschaft. Während die Mannschaft mit dem Broc zurückeilte, um für den nächsten Angriff in Position zu gehen, kniete Rüben neben dem gefoulten Spieler nieder und sah nach ihm. Sein Verzicht auf jegliche Eile machte deutlich, dass jede Hilfe zu spät kam. Sein linker Flügelstürmer lebte nicht mehr. Als er unter dem Jubel der Zuschauer fortgeschleift wurde, blieb eine breite Blutspur auf dem Geläuf zurück.
Rüben ließ seinen Raubtierblick an den Seitenlinien entlangwandern. Kahlan kannte dieses Taxieren. Fast konnte sie seine Gedanken spüren, denn sie hatte ebenfalls den Widerstand einzuschätzen versucht und die Möglichkeiten abgewogen. Als sich Rüben wieder erhob, spannten die Gardisten ihre Bögen mit den eingelegten Pfeilen.
»Was ist passiert?«, fragte Julian mit gedämpfter Stimme, während sie unter Kahlans Umhang hervorlugte. »Ich kann überhaupt nichts sehen.«
»Jemand ist verletzt worden«, gab Kahlan zurück. »Halt dich einfach warm. Es gibt nichts zu sehen.«
Jillian nickte und zog sich wieder in die Geborgenheit von Kahlans schützendem Arm und ihres wärmenden Umhangs zurück. Eine Ja’La-Partie wurde niemals unterbrochen, aus welchem Grund auch immer, und schon gar nicht wegen eines Toten auf dem Spielfeld. Eine tiefe Traurigkeit überkam Kahlan, dass der Tod eines Menschen offenbar fester Bestandteil dieses Spiels war und von den Zuschauern noch bejubelt wurde.
Mittlerweile sah es ganz so aus, als richteten die mit Bögen bewaffneten Soldaten rings um das Spielfeld, die die für die rote Mannschaft spielenden Gefangenen bewachen sollten, ihre Pfeile ausschließlich auf einen einzigen Mann. Damit hatten sie und der Mann mit den Blitzen im Gesicht etwas gemeinsam: Beide hatten sie Sonderbewacher. Als die Menge lautstark die Wiederaufnahme der Partie forderte, hatte Kahlan das Gefühl, dass eine seltsam angespannte Vorahnung in der Luft lag.
Der Broc wurde jener Mannschaft ausgehändigt, der noch immer ein kurzer Augenblick ihres Angriffsrechtes blieb. Als diese ihre Positionen einnahm, wusste sie, dass der Moment vorüber war.
Sie sah einen erbitterten Rüben seiner Mannschaft ein verdecktes Zeichen geben, das von jedem seiner Mitspieler mit einem kaum merklichen Nicken zur Kenntnis genommen wurde. Danach zeigte er ihnen, gerade lange genug, dass sie seine Absicht erkannten, heimlich drei Finger. Sofort nahmen sie in einer seltsamen Formation Aufstellung. Dann warteten sie kurz ab, während die gegnerische Mannschaft, von ihrem brutalen Spielzug befeuerte Schlachtrufe auf den Lippen, über das Spielfeld zu stürmen begann. Offenbar wähnten sie sich jetzt im Besitz eines taktischen Vorteils, der ihnen die Oberhand garantierte. Sie schienen überzeugt, von jetzt an das Spielgeschehen bestimmen zu können.