Die rote Mannschaft teilte sich in drei unabhängige Keilformati onen auf. Rüben setzte sich an die Spitze der kleineren in der Mitte und hielt auf die den Broc führende Angriffsspitze zu. Seine beiden Flügelstürmer, der Hüne rechts sowie ein frisch ernannter Mann auf seiner Linken, hatten die Führung des größten Teils der Blocker in den beiden Flankenkeilen übernommen. Einige Spieler aus der Mannschaft in Brocbesitz ließen sich während des Ansturms nach beiden Seiten hinaustragen, um die merkwürdige Auslegerformation abzublocken, für den Fall, dass diese versuchen sollte, in Richtung ihrer Angriffsspitze abzuschwenken.
Die seltsame Verteidigungstaktik rief unter den Gardisten Jagangs nicht wenige skeptische Blicke hervor. Nach ihren Kommentaren waren sie der Überzeugung, dass der roten Mannschaft wegen ihrer Aufteilung in drei Untergruppen die Stoßkraft einer ausreichenden Zahl von Blockern im Zentrum fehlte, um die Angriffsspitze mit dem Broc aufzuhalten, von der auf sie zustürmenden Übermacht ganz zu schweigen. Eine solche wenig wirksame Verteidigung würde den Angreifern einen leicht erzielten Treffer ermöglichen und die rote Mannschaft einen weiteren Spieler aus der Mittelgruppe kosten - sehr wahrscheinlich sogar die Angriffsspitze selbst, da sie nun praktisch schutzlos war.
Die beiden äußeren Keile der roten Mannschaft teilten die Flanken des Angriffs, ohne diesen jedoch in der erwarteten Manier zu blocken. Die Beine der Angreifer schnellten in die Höhe, als diese mit ungeheurer Gewalt herumgeschleudert wurden. Der von Rüben angeführte Mittelkeil prallte mit der Hauptgruppe der Blocker zusammen, die den Mann mit dem Broc sicherten. Der hielt ihn fest vor seinen Leib gepresst und setzte unmittelbar hinter einigen seiner Deckungsspieler über das übereinanderstolpernde Durcheinander seiner Männer hinweg. Rüben, jetzt im hinteren Teil seiner Keilformation, wich der heranstürmenden Reihe von Bewachern geschickt aus und sprang in vollem Lauf über die Ansammlung seiner Blocker hinweg. Sich mit einem Fuß abstoßend, drehte er sich in der Luft und konnte den Kopf der anderen Angriffsspitze mit seinem rechten Arm in den Schwitzkasten nehmen, als wollte er ihn zu Boden reißen. Stattdessen bewirkte seine schwungvolle Körperdrehung, dass dem Mann der Kopf mit einer ruckartigen Bewegung herumgerissen wurde.
Das Knacken, als das Genick der Angriffsspitze brach, war bis zu Kahlan zu hören. Beide Männer schlugen auf den Boden, Rüben obenauf, den Arm noch immer um den Hals des Mannes. Als die Spieler beider Mannschaften sich wieder aufrappelten, blieben zwei Mann der angreifenden Mannschaft liegen, einer auf jeder Seite des Spielfeldes. Die beiden wälzten sich mit gebrochenen Gliedern vor Schmerz am Boden.
Rüben erhob sich über der leblos in der Mitte des Spielfeldes liegenden Angriffsspitze, deren Kopf auf schaurige Weise verdreht war. Dann nahm er den herrenlosen Broc vom Boden auf, trabte durch die völlig verblüfften Spieler hindurch und gab einen Wurf ab, der jedoch nicht zählte.
Die Bedeutung dessen, was er soeben getan hatte, war offenkundig:
Sobald die gegnerische Mannschaft bewusst darauf abzielte, jemanden aus seiner Mannschaft zu verletzen, würde er dies erbarmungslos vergelten. Gleichzeitig gab er ihnen zu verstehen, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand hatten.
Nun waren auch Kahlans letzte Zweifel ausgeräumt, Rubens rote Bemalung könnte womöglich nur eine leere Drohung sein. Die Spieler der gegnerischen Mannschaft hatten ihr Leben ausschließlich seiner Gnade zu verdanken.
Umringt von einer nahezu unzählbaren Menge von Häschern, im Visier Dutzender Pfeile, hatte dieser Mann soeben seine eigenen Regeln aufgestellt, Regeln, die man weder missachten noch ignorieren konnte. Er hatte seinen Gegnern unmissverständlich klargemacht, wie sie gegen ihn und seine Mannschaft zu spielen hatten, und dass sie es durch ihr Verhalten selbst in der Hand hatten, über ihr Schicksal zu entscheiden. Kahlan musste sich zusammenreißen, um nicht zu lächeln, nicht ihre Freude über seine soeben gezeigte Großtat herauszuschreien -nicht als Einzige in der Menge diesem Mann zuzujubeln.
Sie wünschte, er würde in ihre Richtung blicken, doch das tat er nicht. Da ihre Angriffsspitze tot und zwei weitere Spieler ausgefallen waren – jene beiden, die hauptsächlich für den Mord - wobei sich jeder andere Begriff verbot - am linken Flügelstürmer der roten Mannschaft verantwortlich waren -, schien die favorisierte Mannschaft am Rande einer beispiellosen Niederlage zu stehen.
Kahlan fragte sich, mit wie vielen Punkten Differenz die rote Mannschaft wohl gewinnen würde. Sie vermutete, es würde eine deftige Schlappe werden.
Just in diesem Moment sah sie aus dem Augenwinkel einen Boten herbeieilen und den Kaiser, während er sich einen Weg durch die hünenhaften Gardisten bahnte, mit einem Arm winkend auf sich aufmerksam machen.
»Exzellenz!«, rief er aufgeregt mit atemloser Stimme. »Soeben sind die Männer eingetroffen. Die Schwestern auf der Baustelle meinten, Ihr möchtet bitte augenblicklich kommen.«
Während die Partie auf dem Spielfeld ihren Fortgang nahm, machte sich Jagang, ohne nachzufragen oder Zeit zu verlieren, augenblicklich auf den Weg. Kahlan drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um einen Blick auf Rüben zu erhaschen, als dieser die neue gegnerische Angriffsspitze mit erschütternder Wucht zu Boden schmetterte. Die hünenhaften Gardisten scharten sich um den Kaiser und machten ihm den Weg frei. Kahlan war klug genug, nicht durch übertriebenes Zögern seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Wir gehen«, sagte sie zu Jillian, die sich immer noch Wärme suchend unter ihren Umhang schmiegte.
Sich bei den Händen haltend, um nicht getrennt zu werden, wandten sie sich um und schlossen sich Jagang an. Kahlan warf einen letzten Blick über ihre Schulter - und als sich ihre Blicke für einen kurzen Moment trafen, dämmerte ihr, dass er, obwohl er sie während des ganzen Spiels keines Blickes gewürdigt hatte, die ganze Zeit genau gewusst hatte, wo sie stand.
12
Mit einem panischen Keuchen riss Nicci die Augen auf. Trübe Schatten trieben durch ihr Gesichtsfeld, unbestimmbare Schatten, auf die sie sich keinen Reim zu machen wusste. In einem verzweifelten Orientierungsversuch klammerte sich ihr Verstand an Erinnerungen jeder Art, erkundete in wilder Panik ihr sich unablässig wandelndes Wesen, bemüht, irgendetwas zu finden, das bedeutsam war und zu passen schien. Doch ihr gewaltiger Vorrat an Erinnerungen schien ebenso verworren wie eine Bibliothek voller Bücher, durch die ein stürmischer Wind gefahren war. Nichts ergab in ihren Augen einen Sinn. Sie begriff nicht, wo sie sich befand.
»Nicci, ich bin’s, Cara. Beruhigt Euch doch.«
Wie aus trüber, undeutlicher Ferne sagte eine zweite Stimme: »Ich werde Zedd holen gehen.« Nicci sah den dunklen Schatten sich bewegen und anschließend in noch tieferem Dunkel verschwinden.
Ihr dämmerte, dass sich die Person, die gesprochen hatte, durch eine Tür entfernt haben musste. Es war die einzige Möglichkeit, die einen Sinn ergab. Sie hätte vor Erleichterung schreien mögen, dass sie endlich imstande war, unter all den Schatten und Formen die simple Idee einer Tür zu begreifen, und überdies die weitaus komplexere Idee einer Person.
»So beruhigt Euch doch, Nicci«, wiederholte Cara.
Erst jetzt bemerkte Nicci, dass es ihr ungeheure Mühe bereitete, ihre Arme zu bewegen, und dass sie festgehalten wurde. Es war, als wären ihr Körper und Geist verwirrt, als versuchten beide, trotz des Wirrsals und der Unruhe zu funktionieren und sich an irgendeine Gewissheit zu klammern.
Trotz allem begann sie allmählich, ihre Umgebung zu erfassen.
»Sechs«, stieß sie unter größten Mühen hervor. »Sechs.«
Die Erinnerung an einen schwarzen Schatten schob sich bedrohlich in ihre Gedanken, so als hätte sie ihn selbst heraufbeschworen, und er wäre zurückgekehrt, um ihr den Rest zu geben.