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Sie klammerte sich an die Bedeutung dieses Wortes, an den Namen und die dunkle Gestalt, die durch ihren Verstand geisterte, nahm nach Gutdünken Einzelheiten auf und versuchte sie darum herumzugruppieren. Sobald ein Erinnerungsfetzen passte - an den Flur, an Rikka, Zedd oder Cara, die weiter vorn an der Treppe wie erstarrt stehen geblieben waren -, ging sie weiter zum nächsten und versuchte, dem Puzzle ein weiteres Stück hinzuzufügen.

Allein kraft ihrer Willensstärke stellte sich wieder so etwas wie Ordnung ein, bündelten sich ihre Gedanken zu einem Zusammenhang. Ihre Erinnerung begann sich zu einem Ganzen zu fügen.

»Ihr seid in Sicherheit«, redete die immer noch ihre Arme festhaltende Cara beschwichtigend auf sie ein. »Seid jetzt still.«

Nicci war alles andere als in Sicherheit. Keiner von ihnen war in Sicherheit. Sie musste irgendetwas tun.

»Sechs ist hier«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, während sie Cara aus dem Weg zu schieben versuchte. »Ich muss sie aufhalten. Sie hat das Kästchen.«

»Sie ist fort, Nicci. So beruhigt Euch doch.«

Nicci blinzelte, immer noch bemüht, wieder einen klaren Blick zu bekommen, wieder zu Atem zu kommen. »Fort?«

»Ja. Fürs Erste sind wir in Sicherheit.«

»Fort?« Sie krallte eine Hand in das rote Leder und zog die Mord-Sith näher zu sich heran. »Fort? Sie ist wirklich fort? Wie lange schon?« »Seit gestern.«

Die Erinnerung an die dunkle Gestalt schien sich in der Ferne zu verlieren, ihrem Zugriff zu entziehen.

»Seit gestern«, hauchte sie und ließ sich auf das Kissen zurücksinken.

»Bei den Gütigen Seelen.«

Zu guter Letzt richtete sich Cara auf. Nicci kümmerte es nicht mehr, ob sie aufstand oder nicht.

Alles war umsonst gewesen.

Ihr war, als würde sie vielleicht nie wieder den Wunsch verspüren, sich zu erheben.

Ihr Blick war ins Leere gerichtet. »Ist außerdem noch jemand verletzt worden?« »Nein. Nur Ihr.«

»Nur ich«, wiederholte sie tonlos. »Es wäre besser gewesen, sie hätte mich getötet.«

Cara runzelte die Stirn. »Was redet Ihr da?«

»Ich bin sicher, sie hätte es gern getan, nur ist es ihr eben nicht gelungen. Ihr seid in Sicherheit.«

Cara hatte nicht verstanden, was sie meinte.

»Alles umsonst«, murmelte Nicci bei sich.

Alles war verloren, alle Arbeit umsonst gewesen. Alles, was sie erreicht und aufgedeckt hatte, hatte sich im hallenden Gelächter dieses dunklen Schattens verflüchtigt. All die Untersuchungen, das mühsame Zusammenfügen, die ungeheure Anstrengung endlich zu begreifen, wie dies alles ineinandergriff, die Mühen, solche Kräfte heraufzubeschwören, zu beherrschen und zu lenken - alles vergeblich.

Es war eine der schwierigsten Aufgaben, die sie je bewältigt hatte ... und nun lag alles in Schutt und Asche.

Cara tauchte einen Lappen in ein Wasserbecken auf dem Nachttisch. Beim Auswringen war das Geräusch des zurücktröpfelnden Wassers, jedes einzelnen Tropfens, überdeutlich und durchdringend und klang ihr schmerzhaft in den Ohren.

Cara drückte ihr den feuchten Lappen auf die Stirn. Es war, als würde ein Dornengestrüpp auf ihr zartes Fleisch gepresst.

»Es gibt noch anderen Ärger«, bemerkte Cara in ruhigem, vertraulichem Ton.

Nicci schlug die Augen auf. »Anderen Ärger?«

Nickend tupfte sie Niccis Hals an den Seiten ab.

»Ja. Mit der Burg.«

Nicci blickte am Fußende ihres Bettes vorbei zu den schweren dunkelblauen und goldenen Vorhängen vor der schmalen Fensteröffnung. Sie waren zugezogen, doch da nicht das geringste Licht hereindrang, vermutete sie, dass es wohl Nacht sein müsse.

Dann sah sie wieder zu Cara und zog, obwohl das schmerzte, die Stirn in Falten. »Was wollt Ihr damit sagen, Ärger mit der Burg? Was denn für Ärger?«

Cara hatte den Mund bereits geöffnet, um zu antworten, als ein Geräusch hinter ihrem Rücken sie bewog, sich herumzudrehen.

Ohne anzuklopfen rauschte Zedd mit langen Schritten und wehendem Gewand herein, so als wäre er der Herrscher dieses Gemäuers und gekommen, um sich königlicher Geschäfte anzunehmen. Vermutlich traf das in gewisser Weise sogar zu.

»Ist sie wach?«, fuhr er Cara an, ehe er überhaupt an der Bettstatt angekommen war. Sein welliges weißes Haar wirkte noch zerzauster als sonst.

»Bin ich«, beantwortete Nicci selbst die Frage.

Unvermittelt blieb er stehen und beugte sich mit finsterer Miene über sie, so als traue er ihren Worten nicht und müsse sich selbst überzeugen. Er legte ihr die Spitzen seiner langen Finger an die Stirn. »Euer Fieber hat den Höhepunkt überschritten«, verkündete er. »Ich hatte Fieber?«

»So was Ähnliches.«

»Was soll das heißen, so was Ähnliches? Fieber ist Fieber.«

»Nicht unbedingt. Euer Fieber wurde durch eine Verausgabung von Kräften und nicht durch eine Krankheit verursacht, in diesem Fall Eurer eigenen Kräfte, um genau zu sein. Das Fieber war die Reaktion Eures Körpers auf die Überanstrengung. Etwa so, wie ein Metallstück sich erhitzt, wenn man es immerzu hin und her biegt.«

Nicci stützte sich auf die Ellbogen. »Ihr meint, was Sechs mir angetan hat, hat bei mir ein Fieber ausgelöst?«

Zedd strich sich das Gewand über seinen kantigen Schultern glatt.

»Gewissermaßen. Die Überanstrengung durch den Einsatz Eurer Kräfte gegen ihre Hexerei hat Euren Körper in diesen Fieberzustand versetzt.«

Nicci sah vom einen zum anderen. »Wieso seid Ihr nicht davon angegriffen worden? Oder Cara?«

Zedd tippte sich ungeduldig gegen die Schläfen. »Weil ich klug genug war, ein Netz zu wirken, das mich und Cara schützte. Ihr dagegen wart zu weit weg. Auf diese Entfernung haben die schützenden Eigenschaften nicht ausgereicht, um Euch vor Schaden zu bewahren, allerdings erschien mir der Einsatz größerer Kräfte zu riskant. Aber auch wenn es Euch nicht gänzlich vor Schaden bewahrt hat, so hat es Euch immerhin das Leben gerettet.«

»Euer Bann hat mich geschützt?«

Zedd drohte ihr mit dem Finger, als hätte sie sich ungebührlich benommen. »Selbst habt Ihr jedenfalls nichts zu Eurem Schutz getan.«

Nicci blinzelte verwundert. »Aber versucht habe ich es, Zedd. Ich glaube, ich habe mich noch nie so sehr bemüht, mein Han einzusetzen. Ich schwöre, ich habe mich bemüht, meine Kraft einzusetzen, nur hat es einfach nicht funktioniert.«

»Selbstverständlich nicht.« In einer aufgebrachten Geste warf er seine Arme in die Luft. »Genau das war ja Euer Problem.«

»Was war mein Problem?«

»Dass Ihr Euch zu sehr bemüht habt.«

Nicci richtete sich vollends auf. Schlagartig begann sich die Welt um sie herum zu drehen, so dass sie sich die Hand vor Augen halten musste. Ihr wurde ganz übel von der Dreherei.

»Wovon redet Ihr da?« Sie hob ihre Hand gerade so weit an, dass sie ihn im Schein der Kerzen anblinzeln konnte.

Ihr war, als müsste sie sich übergeben. So als fühlte er sich durch die Ablenkung gestört, schob Zedd seine Ärmel hoch und legte ihr einen Finger jeder Hand an die gegenüberliegenden Seiten ihrer Stirn. Sofort erkannte Nicci das feine Kribbeln additiver Magie, als diese unter ihre Haut kroch. Es war ein wenig seltsam, keine subtraktive Seite seiner Kraft zu spüren, doch subtraktive Magie besaß er nicht. Das Übelkeitsgefühl ebbte ab.

»Besser?«, erkundigte er sich in einem Tonfall, der durchblicken ließ, dass er die Schuld an allem bei ihr selbst vermutete. Nicci bewegte ihren Kopf hin und her, spannte ihre Nackenmuskeln und überprüfte ihren Gleichgewichtssinn. Als sie die Übelkeit zu spüren versuchte, befürchtete sie, sie könnte erneut hochkommen, doch dem war nicht so.

»Schätze ja.«

Der kleine Triumph ließ Zedd lächeln. »Gut.«

»Und was meintet Ihr damit, ich hätte mich zu sehr bemüht?«

»So wie Ihr es versucht habt, lässt sich eine Hexe nicht bekämpfen – schon gar nicht eine so mächtige wie diese. Ihr habt Euch zu sehr bemüht.«

»Zu sehr bemüht?« Ihr war so unbehaglich zumute wie damals als Novizin, wenn sie das Gefühl hatte, den Unterrichtsstoff einer ungeduldigen Schwester einfach nicht zu begreifen. »Aber was meint Ihr damit?«