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Sie blieb stehen und sah ihn an. »Könnt Ihr Euch überhaupt vorstellen, wie ungeheuer komplex dieser Vorgang sein müsste? Wie ungeheuer kompliziert es wäre, die ganz eigenen Erinnerungen jedes Einzelnen neu zu erschaffen?

Die Zauberer damals müssen bei dem Versuch, zu entschlüsseln, wie auf diese Weise etwas neu entstehen könnte, für das keine Vorlage mehr existierte, doch fast den Verstand verloren haben. Woher sollte die Macht der Ordnung wissen, woran man sich erinnern soll? Schlimmer noch, die meisten Menschen sind von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt, obwohl sie durchaus fehlerhaft ist. Wie will die Macht der Ordnung diese Erinnerungen neu erschaffen, wo sie doch schon zu Zeiten ihres Vorhandenseins nicht immer stimmig oder gar korrekt waren? Aus den Schriften über die Theorie der Ordnung geht hervor, dass selbst die Zauberer, die die Macht der Ordnung schufen, nicht sicher waren, ob es funktionieren würde.«

Sie nahm ihr Aufundabgehen wieder auf und fuhr fort. »Vergesst nicht, dass es ihnen nicht möglich war, es anhand einer tatsächlichen Feuerkettenreaktion zu überprüfen. Und auch der Feuerkettenbann selbst ist nie ausprobiert worden, weil das niemand wagte. So waren sie zwar von ihrer Schlussfolgerung überzeugt, konnten der Funktionsweise der Macht der Ordnung in der realen Welt aber nie wirklich gewiss sein. Sie konnten niemals wissen, ob all die miteinander verknüpften Einzelbestandteile perfekt und plangemäß funktionierten -zumal sie, was das betrifft, durchaus Grund zu Zweifeln hatten.

Und bezüglich der von ihnen festgelegten Formeln gibt es einen noch wichtigeren Gesichtspunkt, und zwar die Voraussetzung, dass dem Feuerkettenbann in der Zielperson selbst entgegengewirkt werden muss - in diesem Falle Kahlan. Alles dreht sich um die Zielperson. Sie ist das Zentrum der Feuerkettenreaktion, der Mittelpunkt einer unglaublich komplexen Gleichung.

Deshalb muss das Gegenmittel dort ansetzen. Das Element entworfener Magie innerhalb des kunstvollen Systems der Ordnung muss in ihr ausgelöst werden.«

»Sie ist die Basisbindung ...«, murmelte Zedd halb zu sich selbst, während er, den Blick ins Leere gerichtet, Niccis Argumentation zu folgen versuchte.

»Ganz genau. Und damit das möglich ist, damit die Macht der Ordnung den Schaden, beginnend im Zentrum dieses Sturms, wiedergutmachen kann, muss diese Basisbindung ein steriles Feld sein.«

»Ein steriles Feld?«, fragte Zedd, der noch immer aufmerksam zuhörte.

»Davon habt Ihr doch schon gesprochen.«

Nicci nickte. »Dabei handelt es sich um ein recht vages Element, mit dem die Zauberer während dieses gesamten Prozesses zu kämpfen hatten. Anfangs war mir seine Bedeutung nicht recht klar, ich verstand nicht, warum sie deswegen so besorgt waren, aber Eure Erklärungen über die Talente der Hexe haben mir schließlich die Augen über diese zentrale Idee der Ordnungstheorie geöffnet.«

Zedd stemmte seine Hände in die knochigen Hüften. »Obwohl Euch Teile der Ordnungstheorie nicht klar waren, habt Ihr sie ins Spiel gebracht – noch dazu in Richards Namen? Obwohl Ihr sie nicht verstanden hattet?«

Auf den gereizten Ton seiner Frage ging Nicci gar nicht erst ein. »Das bezog sich nur auf den das sterile Feld betreffenden Teil. Jetzt ist mir klar, dass es in etwa das Gleiche ist wie die Bedingung, dass ich eine Verbindung benötigte, als ich einen Bann gegen Sechs wirken wollte, die sie mir jedoch verwehrte - und damit den Ansatzpunkt des Banns. Offenbar löst die Macht der Ordnung Magie auf ganz ähnliche Weise aus. Wie alle Magie benötigt sie eine Verbindung, und diese Verbindung ist Kahlan. Dafür jedoch muss das Objekt der Verbindung ein unbeschriebenes Blatt sein.«

»Ein unbeschriebenes Blatt?« Zedd neigte den Kopf in ihre Richtung.

»Muss ich Euch daran erinnern, dass die Zielperson ein unbeschriebenes Blatt ist? Der Feuerkettenbann löscht ihre gesamte Ver gangenheit aus, hinterlässt sie sozusagen unbeschrieben. Und schon hat die Macht der Ordnung alles, was sie braucht.«

Nicci schüttelte beharrlich den Kopf. »Nein. Ihr müsst dies alles im Zusammenhang mit dem Feuerketten-Buch sehen, mit dem Buch des Lebens, sowie der anderen obskuren Schriften, die Ihr für mich über die Ordnungstheorie ausgegraben habt. Ihr müsst Euch das Gesamtbild vor Augen halten, um es zu erkennen.«

»Aber was?«, stieß Zedd aufgebracht hervor.

»Die Zielperson muss emotional unvorbelastet sein, oder das Ganze ist mit einem Makel behaftet.«

»Emotional unvorbelastet?«, fragte Cara, während Zedd dazu überging, sich leise vor sich hin murmelnd mit der Hand durchs Gesicht zu wischen. »Was soll denn das nun wieder heißen?«

»Es bedeutet, dass das Wissen um ihren einstigen gefühlsmäßigen Zustand den Versuch der Wiederherstellung ihres Innenlebens verunreinigen würde. Damit die Macht der Ordnung wirksam werden kann, muss sie emotional unvorbelastet bleiben. Die Zielperson muss unvorbelastet bleiben, und es muss darauf geachtet werden, dass keine emotionalen Bindungen entstehen.«

»Ihr seid eine gescheite Frau, Nicci«, sagte Zedd, bemüht, ruhig zu bleiben, »aber diesmal habt Ihr den Karren von der Brücke in den Fluss gefahren.«

Er begann selbst auf und ab zu gehen. »Was Ihr da sagt, ergibt keinen Sinn. Wie könnte man die Zielperson daran hindern, etwas über ihre Vergangenheit in Erfahrung zu bringen? Den Zauberern, die die Kästchen der Ordnung schufen, muss klar gewesen sein, dass sie jede Menge über ihre Vergangenheit herausfinden würde, ehe die Macht der Ordnung wirksam wird. Sie konnten schließlich nicht davon ausgehen, dass die Zielperson bis dahin in einem dunklen Zimmer eingesperrt sein würde.«

»Das meinte ich nicht. Ihr überseht den entscheidenden Punkt. Einzelheiten spielen dabei keine Rolle. Tatsächlich können sie sogar hilfreich sein, weil sie als Ankerpunkte benutzt werden können, an denen sich die Schablone für den Wiederherstellungsprozess der Ordnung festmachen lässt. Anders verhält es sich mit bedeutenden emotionalen Erlebnissen der Zielperson. Emotionen sind die Summe einzelner Details, ob diese nun wahr sind oder nicht.«

Cara, vollauf konzentriert, schien zu begreifen, was Nicci da soeben sagte.

»Wie können Gefühle von falschen Einzelheiten ausgelöst werden?«

»Nun, nehmt zum Beispiel mich. Was mir von der Bruderschaft der Imperialen Ordnung beigebracht wurde, bewirkte in mir, dass ich Hass auf jeden empfand, der sich diesen Lehren widersetzte und etwas zu leisten versuchte. Ich glaubte, was man mir beigebracht hatte, nämlich dass solche Menschen nichts als eigensüchtige Heiden seien, die sich nicht um ihre Mitmenschen scherten.

Man impfte mir die emotionale Reaktion ein, jeden zu hassen, der nicht den gleichen Glauben hatte wie ich - und zwar unabhängig davon, ob ich irgendetwas über diese Menschen wusste. Ich empfand einen abgrundtiefen Hass gegen das Gut des Lebens als solches, eine emotionale Einstellung, aufgrund derer ich Richard ohne weiteres getötet hätte. Meine Gefühle waren auf Lügen und unsinnige Lehren gegründet, nicht auf Tatsachen.«

Cara seufzte. »Jetzt verstehe ich, was Ihr meint. Man hat Euch und mir die gleichen Dinge beigebracht, uns die gleichen Gefühle eingetrichtert, aber diese Gefühle waren von Grund auf falsch.«

»Beruhen Gefühle dagegen auf triftigen Dingen, können sie durchaus eine zuverlässige und folgerichtige Summe von Wahrheiten sein.«

»Auf triftigen Dingen?«, fragte Cara.

»Aber ja. So etwas wie lohnende Werte zum Beispiel. Liebe -wahre, aufrichtige Liebe - ist eine Reaktion auf das, was wir an anderen schätzen, eine emotionale Reaktion auf die lebensbejahende Haltung eines anderen. Wir schätzen das gute Wesen dieser Person. In solchen Fällen ist dieses Gefühl ein zentraler, mächtiger Aspekt unserer Menschlichkeit.«

Zedd, der immer noch auf und ab ging, blieb unvermittelt stehen. »Und was hat das mit allem anderen zu tun?«

Nicci breitete die Hände aus. »Bedenkt, dass die Ordnungstheorie nichts weiter ist als eine Theorie. Ich kann also nicht behaupten, dass ich mir vollkommen sicher wäre, schließlich galt das nicht einmal für die, die sie schufen, aber es passt alles zusammen. Sie waren überzeugt, richtig zu liegen, obwohl sie ihre Theorie, dass Vorwissen Magie beeinträchtigt, auf keinerlei Erfahrungen gründen konnten. Aber ich denke, sie hatten recht.«