Zedd beugte sich vor und linste sie mit einem Auge an. »Recht, in Bezug auf was genau?«
»Dass Gefühle, die der Zielperson ohne die ihnen zugrunde liegenden Ursachen vermittelt werden, das Entgegenwirken gegen den Feuerkettenbann beeinträchtigen können.«
Cara runzelte die Stirn, »jetzt komme ich nicht mehr mit.«
»Sie waren überzeugt, dass ein gewisses emotionales Vorwissen die von ihnen benutzte Magie, die Macht der Ordnung, verfälschen würde.« Nicci sah von Zedds besorgten haselnussbraunen Augen zu Cara. »Was ich damit sagen will, ist: Sollte Kahlan die Wahrheit über ihre Gefühle - ihrer vorherrschenden Gefühle - erfahren, ehe das richtige Kästchen der Ordnung geöffnet wird, wird es der Macht der Ordnung unmöglich sein, diese Gefühle wiederherzustellen. Das Feld, auf dem die Macht der Ordnung ausgelöst werden muss, wäre durch dieses Vorwissen verunreinigt, und Kahlan würde sich im Geflecht des Banns verlieren.«
Cara stemmte ihre Hände in die Hüften. »Wovon redet Ihr da eigentlich?«
»Also gut, nehmen wir einmal an, Richard findet Kahlan und erzählt ihr von ihrer emotionalen Bindung, von ihrer gegenseitigen Liebe. In diesem Falle könnte die Macht der Ordnung nicht mehr funktionieren.«
Das Gesicht des Zauberers war zu einer unentzifferbaren Maske geworden. »Wieso?« Sein Tonfall jagte ihr einen Schauder über den Rücken.
»Nun, ungefähr aus dem gleichen Grund waren meine Banne gegen Sechs wirkungslos, da meine Kraft erst Ankerpunkte herstellen musste, um in der gewünschten Weise zu funktionieren.«
»Mit anderen Worten, sollte Richard jemals die Gelegenheit haben, tatsächlich eines der Kästchen der Ordnung zu öffnen, müsste er dies tun, solange die Zielperson sich ihrer Bindungen zu ihm nicht bewusst wäre?«
Nicci nickte. »Jedenfalls nicht ihrer tiefempfundenen emotionalen Bindungen. Wir müssen sicherstellen, dass Richard sich darüber im Klaren ist, dass er Kahlan, wenn wir sie finden, ehe er die Chance hat, das richtige Kästchen der Ordnung zu öffnen, keine unbegründeten Gefühle vermitteln darf, da ansonsten das Feld verunreinigt werden würde.«
»Unbegründete Gefühle?« Cara rümpfte die Nase. »Wollt Ihr damit etwa sagen, Lord Rahl darf Kahlan nicht sagen, dass sie ihn liebt?«
»So ist es«, sagte Nicci.
»Aber warum nicht?«
»Weil sie es im Augenblick nicht tut«, antwortete Nicci. »Was immer einst ihre Liebe für ihn bewirkt haben mag, steckt nicht mehr in ihr. Die Voraussetzungen ihrer Liebe, die Erinnerung an bereits Geschehenes, an Dinge, die sie mit ihm unternommen hat, die Gründe, weshalb sie sich in ihn verliebt hat, all das ist nicht mehr vorhanden, denn der Feuerkettenbann hat es zerstört. Im Augenblick ist es so, als ob sie ihm noch nie begegnet wäre. Sie liebt ihn nicht, sie hätte auch gar keinen Grund dazu. Sie ist ein unbeschriebenes Blatt.«
Zedd bohrte einen langen, dünnen Finger durch ein Büschel seines welligen Haars und kratzte sich am Kopf. »Das Fieber hat womöglich größeren Schaden angerichtet, Nicci, als ich dachte. Was Ihr da sagt, ergibt keinen Sinn. Kahlans Problem ist, dass der Feuerkettenbann sie ihre Vergangenheit hat vergessen lassen. Die Macht der Ordnung wurde geschaffen, um dem Feuerkettenbann entgegenzuwirken. Es gibt keine mächtigere Kraft, denn sie ist die Macht des Lebens selbst. Kahlan etwas so Simples wie ihre Liebe für Richard zu offenbaren, wird die Wiederherstellung ihrer Erinnerung wohl kaum durcheinanderbringen.«
»O doch, wird es.« Nicci ging ein paar Schritte, machte dann kehrt und baute sich vor ihm auf. »Wieso habt Ihr, Zedd, mit all Eurer Kraft als Oberster Zauberer, eine einfache Hexe nicht aufhalten können?«
»Weil sie ihre Kraft gegen einen kehrt.«
»Das also ist der Schlüssel«, sinnierte Nicci. »Genau das war der Teil, den ich hinzufügen musste, damit all das, was ich in den Büchern gelesen hatte, endlich zusammenpasste. Dadurch habe ich endlich verstanden, was die Zauberer, die die Macht der Ordnung schufen, mit dem sterilen Feld meinten. Die Macht der Gefühle würde die auf die Zielperson angewandte Macht gegen ihren Verursacher kehren.
In etwa ist es so wie der Versuch, die Anhänger der Lehren der Imperialen Ordnung von ihrem Irrglauben zu überzeugen, sie in ihrem Widerwillen, diesen falschen Überzeugungen abzuschwören, nur noch bestärken würde. Erklärt man ihnen, dass die Imperiale Ordnung von Übel ist, hassen sie einen dafür nur umso mehr. Ihr Glaube an die Imperiale Ordnung würde gestärkt und nicht etwa gebrochen.«
»Na und?«, meinte Cara. »Für Kahlan wäre das doch kein Widerspruch. Wenn Lord Rahl ihr erzählt, dass sie ihn liebt, wäre das doch dasselbe, was die Magie der Ordnung ohnehin tun würde. Also dürfte es eigentlich kein Problem sein.«
»Doch, ist es aber.« Nicci fuchtelte mit dem Finger. »Sogar ein sehr großes. Das Ganze wäre sozusagen auf den Kopf gestellt, es gäbe eine Wirkung ohne Ursache. Gefühle sind das Ergebnis erlebter Erfahrungen. Setzt man sie jedoch an die erste Stelle, wäre das, als würde man bei der Errichtung eines zweistöckigen Hauses mit dem Dach beginnen und sich dann allmählich bis zum Fundament vorarbeiten. Oder, wie in meinem Fall, eine Hexe mit einem mächtigen Bann bedrohen.
Die Gefühle, die die Macht der Ordnung wieder dahin zurückschicken würden, wo sie hingehört, würden durch die von dem Vorherwissen dort bereits hinterlassenen Gefühlen abgelenkt. Das Vorherwissen geriete in Widerspruch zu den Ergebnissen.«
»Genau das meinte ich doch«, beharrte Cara. »Kahlan wüsste bereits, dass sie Lord Rahl liebt, also kann es unmöglich eine Rolle spielen.«
»Und doch tut es das. Seht doch, das Vorherwissen wäre sozusagen unbeschrieben. Die vorzeitig offenbarten Gefühle sind bedeutungslos. Sie sind nicht real. Würde sie von ihrer Liebe zu Lord Rahl erfahren, könnte die Macht der Ordnung ihre wahren Gefühle nicht mehr wiederherstellen.«
Cara sah aus, als wollte sie sich jeden Augenblick vor Verzweiflung die Haare ausraufen. »Aber Lord Rahl hätte es ihr doch bereits gesagt, der Unterschied bliebe also der gleiche. Sie wüsste davon, sie wüsste, dass sie ihn liebt.«
»Eben nicht. Im einen Fall wäre es wahr, im anderen nicht. Vergesst nicht, dass sie ihn zurzeit nicht liebt. Die wahren Gefühle, die die Macht der Ordnung wiederherzustellen versuchte, wären bereits durch etwas ersetzt worden, das nicht wirklich ist - von unbegründeten Gefühlen, Gefühlen, die unwahr und nichtig wären. Was fehlt, wäre ihr Grund, weshalb sie ihn liebt. Das Vorherwissen um ihre Liebe wäre zwar gegeben, nur wäre es eben nichtig. Es wäre eine nichtige Liebe, gegründet auf nichts. Und eine auf nichts fußende Liebe wäre sinnlos.«
Cara hob die Arme, ließ sie dann wieder fallen. »Das begreife ich einfach nicht.«
Nicci hielt in ihrem Aufundabgehen inne und wandte sich zu Cara herum.
»Stellt Euch vor, ich geleitete einen Mann, den Ihr noch nie zuvor gesehen habt, in dieses Zimmer und behauptete, Ihr würdet ihn lieben. Würdet Ihr es allein deswegen schon tun? Nein, denn solche Gefühle kann man niemandem einreden, ohne dass sie durch etwas gestützt würden.
Eben das aber bewirkt die Macht der Ordnung. Sie unterstützt die wahren Gefühle durch das Wissen um vergangene Ereignisse, die sie wiederherstellt. Sie legt die Ursachen fest. Setzt man die Gefühle allerdings an die erste Stelle, würde dies den Vorgang stören. Und den Zauberern zufolge, welche die Macht der Ordnung geschaffen haben, würde ihr Vorherwissen um ihre Liebe zu ihm das Feld verunreinigen und ihre Gedanken stören, so dass die Wiederherstellung der wahren Ereignisse - die Ursachen ihrer Liebe zu ihm - in ihr gar nicht erst hervorgerufen werden könnten. Sie würden ebenso abgeblockt, wie die Hexe meine Banne abgeblockt hat. Ihr bliebe nichts weiter als die sinnleere Information. Ihre Vergangenheit wäre für sie unrettbar verloren.«