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»Sie hat das Kästchen der Ordnung mitgehen lassen.«

Nathan wandte sich um und starrte sie an. »Was?«

»Sie hat unser Kästchen der Ordnung gestohlen, jenes Exemplar, das Samuel, der Gefährte der Hexe, Schwester Tovi abgenommen hatte, und das Rachel anschließend an sich nehmen und zu uns schaf fen konnte. Wir dachten, in der Burg wäre es sicher. Wie sich gezeigt hat, war das nicht der Fall.«

Ann packte Nicci am Ärmel. »Habt Ihr eine Idee, wohin sie damit gegangen sein könnte?«

»Ich fürchte, nein. Ich hatte gehofft, Ihr beide könntet uns mit ein paar Hinweisen über diese Hexe weiterhelfen. Wir müssen sie unbedingt finden. Was immer Ihr mir über sie sagen könnt, könnte hilfreich sein, wie unbedeutend es auch scheinen mag. Wir müssen dieses Kästchen unbedingt wieder in unseren Besitz bringen.«

»Wenigstens hat Nicci vorher noch die Macht der Ordnung ins Spiel bringen können«, warf Cara ein.

Nathan und Ann hätten kaum konsternierter dreinblicken können.

»Sie hat was getan?«, fragte Nathan tonlos, offenbar außerstande, den Blick von Cara zu lassen, so als hoffte er, sich verhört zu haben.

»Nicci hat die Macht der Ordnung ins Spiel gebracht.«

In Niccis Ohren klang die Mord-Sith fast ein bisschen stolz auf diese Großtat - und auf Nicci.

Das Gesicht tiefrot, fuhr Ann diese an. »Habt Ihr den Verstand verloren! Ihr habt Euch eigenhändig als Spieler für die Macht der Ordnung genannt!«

»Nein, so war es ganz und gar nicht«, bemerkte Cara und lenkte die Aufmerksamkeit des Propheten und der einstigen Prälatin wiederum auf sich. »Als Spieler hat sie Richard genannt.«

Ein kaum merkliches Lächeln ging über Caras Lippen, so als freue es sie, den Beweis dafür liefern zu können, dass Nicci besser war, als Nathan und Ann zu glauben schienen. Die beiden dagegen waren wie vom Donner gerührt.

Denn obwohl es zweifellos eine beachtliche Leistung war, empfand Nicci keinen Stolz auf ihre Tat - pure Verzweiflung hatte sie dazu getrieben. Wie sie hier in dem Flur des weitläufigen Komplexes des Palasts des Volkes stand, sich der vielschichtig ineinander verschlungenen Probleme, denen sie sich gegenübersahen, schmerzlich bewusst, überkam sie plötzlich eine überwältigende Müdigkeit, und das lag nicht an dem über dem Palast des Volkes liegenden Bann, der ihr die Kraft entzog. Neben den jüngsten Ereignissen begann die Erschöpfung ihren Tribut zu verlangen. Es gab so viel zu tun, und ihnen blieb nur so wenig Zeit.

Schlimmer noch, nur sie allein besaß das nötige Wissen und die Talente, mit den zahllosen Problemen fertig zu werden, vor denen sie standen. Wer, wenn nicht sie, hatte die Chance, Richard im Gebrauch der subtraktiven Magie zu unterweisen, die man benötigte, um die Kästchen der Ordnung zu öffnen? Niemand - und diese entsetzliche Verantwortung lastete wie ein schweres Gewicht auf ihr.

Es gab Augenblicke, da zeichnete sich die Ungeheuerlichkeit der ihnen bevorstehenden Schlachten in aller Klarheit vor ihr ab, und mitunter verließ sie dann fast der Mut. Manchmal hatte sie Angst, dass sie sich mit dem Glauben, die kolossalen Probleme vor denen sie standen, tatsächlich lösen zu können, selbst etwas vormachte.

Schon als Kind hatte man ihr beigebracht, ihre eigenen Wünsche hintanzustellen, und ihr Leben, nur weil sie gewisse Talente besaß, ganz den Bedürfnissen anderer zu opfern.

Wann immer ihre gegenwärtigen Probleme unüberwindbar schienen, fühlte sie sich wieder genau wie damals, wie eine Sklavin derartiger Schwierigkeiten. In diesen dunklen Augenblicken des Selbstzweifels fragte sie sich, ob es ihr jemals gelingen würde, den Mantel abzuschütteln, den Jagang höchstselbst ihr mit ihrer Ernennung zur Sklavenkönigin umgelegt hatte. Er hatte damals gar nicht wissen können, wie passend dieser Titel tatsächlich war.

Und genau so fühlte sie sich bisweilen auch in diesem Kampf. Obwohl sie wusste, dass es um eine gerechte Sache ging, schien die Aussicht auf einen Sieg angesichts der zahllosen Gegner, die sie zu vernichten trachteten, nahezu hoffnungslos.

Angesichts der scheinbar unüberwindbaren Schwierigkeiten hätte sie sich manchmal am liebsten einfach hingesetzt und aufgegeben. Richard hatte ihr früher in stillen Momenten ganz ähnliche Selbstzweifel gestanden, und doch hatte sie ihn stets unermüdlich weitermachen sehen. Wann immer sie der Mut verließ, dachte sie an ihn, an seine Unnachgiebigkeit, und zwang sich wiederaufzustehen, und sei es nur, damit er stolz auf sie wäre.

Sie war von ihrer Sache überzeugt und bereit, dafür zu kämpfen, in der Person Richards hingegen hatte diese Sache Gestalt angenommen. Sie brauchten ihn. Sie wusste nicht, wie sie ihn je wiederfinden sollten, und wenn ja, wie sie ihn zurückgewinnen konnten. Immer vorausgesetzt, er lebte überhaupt noch.

Doch sein Tod war eine Vorstellung, über die nachzudenken sie sich weigerte, also wies sie den bloßen Gedanken sofort von sich. Ann umklammerte ihren Arm mit festem Griff und riss sie aus ihren düsteren Betrachtungen. »Ihr habt die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht und Richard als Spieler genannt?«

Nicci war nicht in der Stimmung, auf den in der rhetorischen Frage verborgenen Vorwurf einzugehen, sich noch einmal auf dieselbe Auseinandersetzung einzulassen, die sie bereits mit Zedd geführt hatte.

»So ist es. Ich hatte keine andere Wahl. Zedd hat anfangs genau so reagiert wie Ihr. Als ich es ihm dann erklärte, ihm schilderte, warum ich gar nicht anders handeln konnte, sah er schließlich ein, dass es tatsächlich keine andere Möglichkeit gab.«

»Und wer seid Ihr, dass Ihr eine solche Entscheidung trefft?«, ereiferte sich Ann.

Nicci beschloss, sich nicht über die Beleidigung aufzuregen und bemühte sich, im Ton, wenn nicht unterwürfig, so doch wenigstens höflich zu bleiben. »Ihr habt selbst gesagt, dass Richard uns in diesem Kampf anführen muss. Fast fünfhundert Jahre habt Ihr und Nathan auf seine Geburt gewartet und alles dafür getan, dass er diese Aufgabe auch erfüllen kann. Eigenhändig habt Ihr dafür gesorgt, dass ihm Das Buch der gezählten Schatten in die Hände gespielt wurde, um diesen Kampf kämpfen zu können. Demnach hattet Ihr offenbar sehr viel mehr in seinem Namen entschieden, ehe ich überhaupt in Erscheinung trat. Die Schwestern der Finsternis hatten die Macht der Ordnung bereits ins Spiel gebracht, und über deren Absichten muss ich Euch wohl nichts erklären. Damit wird dies zur abschließenden Schlacht -der Schlacht um das Leben an sich. Richard ist derjenige, der uns anführen muss, und wenn er es mit Erfolg tun soll, muss er die Fähigkeit besitzen, gegen sie zu kämpfen. Ihr habt ihm nichts weiter als ein Buch gegeben, ich dagegen die Kraft und die Waffe, die er braucht, um zu gewinnen.«

Nathan legte Ann seine große Hand auf die Schulter. »Nicci hat vielleicht nicht ganz unrecht.«

Ann blickte zu ihm auf, als sie sich seine Worte durch den Kopf gehen ließ, und wurde merklich beherrschter. Damals, im Palast der Propheten, hätte Nicci es nie für möglich gehalten, dass ausgerechnet er es schaffen würde, sie zur Vernunft zu bringen. Nur wenige im Palast hielten ihn überhaupt der Vernunft für fähig.

»Nun, geschehen ist geschehen.« Anns Stimme wirkte merklich ruhiger.

»Wir werden uns ein paar Gedanken darüber machen müssen, was als Nächstes zu geschehen hat.«

»Was ist mit Zedd?«, wandte Nathan ein. »Hat er keine Idee, wie man Richard helfen könnte?«

Nicci gab sich alle Mühe, sich das Ausmaß ihrer Sorge weder in ihrer Stimme noch ihrem Gesichtsausdruck anmerken zu lassen. »Zedd glaubt, in den heiligen Höhlen von Tamarang gewirkte Banne seien dafür verantwortlich, dass Richard nicht von seiner Gabe Gebrauch machen kann. Deshalb haben sich er, Tom und Rikka auf den Weg dorthin gemacht. Sie hoffen ihm helfen zu können, indem sie den Bann aufheben, der ihm den Zugriff auf seine Gabe verwehrt.«

»Klingt ganz einfach, so wie Ihr es schildert«, meinte Nathan, während er sich das Problem durch den Kopf gehen ließ. »Aber vermutlich ist es alles andere als das.«