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»Nein, Exzellenz«, bemerkte einer der Elitewachen. Die Übrigen, zumindest soweit Kahlan sie sehen konnte, schüttelten zustimmend den Kopf. Die kaiserliche Elitegarde äußerte keinerlei Zweifel an der Schilderung der rangniederen Soldaten.

»Was stimmt nicht mit ihr?« Jagang wandte sich an die Schwester, die aussah, als wollte sie sich ihm jeden Moment unterwürfig vor die Füße schmeißen.

Die Verärgerung in seiner Stimme ließ Schwester Armina zusammenzucken. »Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, Exzellenz.« Sie wies zur gegenüberliegenden Seite des Gemachs. »Ich habe geschlafen und darauf gewartet, mich nützlich machen zu können. Schwester Ulicia schlief ebenfalls. Ich dachte, sie hätte etwas zu mir gesagt.«

»Was hat sie denn gesagt?«, wollte Jagang wissen.

»Das konnte ich nicht verstehen, Exzellenz«.

In diesem Augenblick dämmerte Kahlan, dass Jagang keine Ahnung hatte, was Schwester Ulicia gesagt hatte. Normalerweise war er über die Äußerungen, Gedanken oder Pläne der Schwestern bestens informiert. Er war ein Traumwandler, der die Landschaften ihres Verstandes durchstreifte, und war stets in alles eingeweiht.

Und doch hatte er hiervon nichts gewusst.

Oder aber, überlegte Kahlan, er mochte nicht offen aussprechen, was er ohnehin längst wusste. Er liebte es, Menschen auf die Probe zu stellen, indem er ihnen Fragen stellte, deren Antwort er bereits kannte. Jemanden bei einer Lüge zu ertappen, erregte unweigerlich sein höchstes Missfallen. Erst am Tag zuvor hatte er einen frisch gefangenen Sklaven in einem Wutanfall erdrosselt, weil dieser ihn angelogen hatte, indem er behauptete, er hätte nicht von einem für das Abendessen des Kaisers vorgesehenen Tablett genascht. Jagang, ebenso muskelbepackt wie jeder seiner Elitegardisten, hatte die Tat ausgeführt, indem er den schmächtigen Kerl mit einer seiner kräftigen Hände bei der Kehle packte. Die übrigen Sklaven hatten geduldig abgewartet, bis der Kaiser sein schauerliches Tun beendet hatte, und den Körper dann beiseitegeschafft. Mit einer seiner fleischigen Hände fasste Jagang nun die Schwester bei den Haaren und zog sie auf die Beine. »Was hat das zu bedeuten, Ulicia?«

Die Frau verdrehte die Augen, ihre Lippen bewegten sich stumm, und ihre Zunge irrte ziellos in ihrem Mund umher.

Jagang packte sie bei den Schultern und schüttelte sie so brutal, dass Schwester Ulicias Kopf hin und her geschleudert wurde. Kahlan glaubte schon, er würde ihr glatt das Genick brechen. Was ihr sogar ganz lieb gewesen wäre, denn dann gäbe es eine Schwester weniger, über die sie sich den Kopf zerbrechen musste.

»Exzellenz«, sagte Schwester Armina im Tonfall einer behutsamen Ermahnung, »wir brauchen sie noch.« Als der Kaiser sie daraufhin mit einem wütenden Blick durchbohrte, setzte sie hinzu: »Sie ist die Spielerin.«

Nicht übermäßig glücklich über ihre Bemerkung, dachte er darüber nach, ohne ihr jedoch zu widersprechen. »Der erste Tag ...«, murmelte Schwester Ulicia.

Jagang zog sie näher heran. »Der erste Tag wovon?«

»Des Winters ... Winters ... Winters«, murmelte Schwester Ulicia. Jagang blickte um sich und betrachtete die Anwesenden mit gerunzelter Stirn, so als verlange er von ihnen eine Erklärung. Einer der Soldaten wies zur Türöffnung des riesigen Zeltes. »Soeben bricht die Dämmerung an, Exzellenz.«

Jagang durchbohrte ihn mit wütendem Blick. »Was?«

»Es dämmert gerade zum ersten Tag des Winters, Exzellenz.«

Jagang ließ Schwester Ulicia los, die daraufhin schwer auf die den Boden bedeckenden Teppiche sackte.

Er starrte auf die Türöffnung. »Tatsächlich.«

Durch einen schmalen Spalt seitlich neben der schweren Türabdeckung konnte Kahlan draußen die ersten Farbstreifen am Himmel erkennen – sowie weitere jener allgegenwärtigen Elitegardisten, mit denen Jagang sich stets umgab. Keiner von ihnen konnte sie sehen, sie waren sich ihrer Anwesenheit in keiner Weise bewusst. Die Sonderbewacher im Innern des Zeltes, die stets in ihrer Nähe waren, hatten damit allerdings keine Mühe. Gut möglich, dass sich draußen, unter den Elitegardisten, noch mehr von ihrer Sorte befanden. Immerhin war es ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass sie das Zelt niemals ohne Begleitung verließ. Auf dem Fußboden murmelte Schwester Ulicia wie in Trance: »Ein Jahr ... ein Jahr.«

»Ein Jahr ... und weiter?«, brüllte Jagang. Mehrere der näher stehenden Gardisten zuckten zusammen.

Schwester Ulicia richtete sich auf und verfiel in eine pendelnde Bewegung. »Beginnt es von neuem. Ein Jahr. Es beginnt von neuem. Es muss von neuem beginnen.«

Er blickte die andere Schwester an. »Was plappert sie da?«

Schwester Armina breitete die Hände aus. »Ich bin nicht sicher, Exzellenz.«

Sein Blick verdüsterte sich. »Das ist gelogen, Armina.«

Ein Teil der Farbe wich aus ihrem Gesicht, und sie benetzte sich die Lippen. »Was ich damit sagen wollte, Exzellenz, ist, ich könnte mir denken, dass sie sich auf die Kästchen bezogen haben muss. Immerhin ist sie die Spielerin.«

Jagang verzog voller Ungeduld den Mund. »Aber wir wissen doch längst, dass uns von dem Moment, da Schwester Ulicia sie ins Spiel brachte, ein Jahr bleibt« - mit einer knappen Handbewegung wies er in die Richtung des aufragenden Hochplateaus -, »und zwar seit Kahlan sie von dort oben entwendet hat.«

»Ein neuer Spieler!«, stieß Schwester Ulicia mit geschlossenen Augen hervor, wie um ihn zu widerlegen. »Ein neuer Spieler. Das Jahr beginnt von neuem!«

Ihre Worte schienen Jagang aufrichtig zu überraschen. Kahlan fragte sich, wie es möglich war, dass dergleichen den Traumwandler überraschte. Und doch schien er aus irgendeinem Grund außerstande, sein Talent bei Schwester Ulicia anzuwenden - vorausgesetzt, das Ganze war nicht irgendein Täuschungsmanöver. Nicht immer ließ sich Jagang anmerken, was genau er wusste und was nicht. Kahlan selbst hatte nie das Gefühl gehabt, er könnte ihre Gedanken lesen, trotzdem war sie stets auf der Hut - gut möglich, dass er sie genau in diesem Glauben lassen wollte.

Trotzdem, so recht mochte sie es nicht glauben. Sie hätte kein einzelnes Detail zu benennen gewusst, das ihr Anlass zu der Vermutung gab, er könne sein Talent als Traumwandler bei ihr nicht anwenden; vielmehr beruhte dieser Eindruck auf der Summe vieler einzelner Beobachtungen.

»Wie kann es sein, dass es einen neuen Spieler gibt?«, fragte Jagang in einem Ton, der bei Schwester Armina sofort ein leichtes Zittern auslöste. Sie musste zweimal schlucken, ehe sie ein Wort über die Lippen brachte.

»Exzellenz, wir sind ... nicht im Besitz aller drei Kästchen. Wir haben lediglich deren zwei. Bleibt also das dritte, jenes, das Tovi bei sich hatte.«

»Mit anderen Worten, jenes Kästchen, das gestohlen wurde, weil ihr dämlichen Gänse Tovi damit alleine habt losziehen lassen, statt dafür zu sorgen, dass sie bei euch blieb.« Es war ein Wutausbruch, keine Frage. Schwester Armina, der Panik nahe, stieß einen Finger Richtung Kahlan.

»Das war ihre Schuld! Hätte sie sich an unsere Anweisungen gehalten und alle drei Kästchen auf einmal mitgebracht, wären wir zusammengeblieben und hätten alle drei Kästchen gehabt. Aber das war ja offenbar zu viel verlangt. Es ist ihre Schuld!«

Obwohl Schwester Ulicia sie angewiesen hatte, alle drei Kästchen in ihrem Rucksack zu verstecken, hatte Kahlan aus Platzmangel zunächst nur eines mitgebracht und die beiden anderen später holen wollen. Schwester Ulicia war, vorsichtig ausgedrückt, alles andere als erfreut gewesen und hatte sie fast totgeprügelt, weil sie es nicht geschafft hatte, das Unmögliche zu vollbringen und alle drei in einem viel zu kleinen Rucksack zu verstauen.