»Wohin denn?«
»Zu den geheiligten Bädern von Poulo-Tantalam.«
Armand lachte lauthals auf.
»Was, wir haben diese Reise nur gemacht, um in den heiligen Wassern zu baden?«
Ernsthaft erwiderte Robert: »Die Sache ist der Mühe wert. Die heiligen Bäder erstrecken sich entlang eines sandigen Strandes, der überdacht ist. Von dort führen Stufen ins Meer. Die Gläubigen legen neue weiße, noch nie getragene Gewänder an. Sie nehmen auf den obersten Stufen Aufstellung und befolgen die Regeln eines komplizierten Gebetsrituals. Dann steigen sie langsam bis zur untersten Stufe hinab. Vollständig bekleidet tauchen sie bis zu den Schultern ins Wasser.«
»Ich kenne das. Ich habe einmal das heilige Bad im Ganges erlebt.«
»Nun, glaubst du nicht, daß das Auftauchen von Korsar Triplex inmitten einer solchen Zeremonie einigen Aufruhr verursachen wird? Und wenn ich noch hinzufüge, daß sich heute U‑Boot Eins mit der englischen Flotte in Verbindung setzen wird, die sich im Golf von Petchili versammelt hat und darüber hinaus Nummer drei mit dem britischen Stützpunkt auf Hawaii, das gerade von den Amerikanern annektiert wurde, indem sie Spanien den Krieg erklärten, wirst du verstehen, daß der Admiralität das Treffen vor der Goldinsel gar köstlich in den Ohren klingen wird. Die ganze Welt wird fordern, daß man mit Korsar Triplex verhandeln soll.«
»Also, ich soll den Badegläubigen doch nicht etwa als Korsarengott erscheinen?« erklärte Armand lachend.
»Die Sache hat nichts Anrüchiges.«
»I bewahre, schließlich war ich schon mal Buddha.«
»Nein, ernsthaft. Triplex ist ein Mann, dem ich alles verdanke. Wenn er noch nicht an seinem Ziel angelangt ist, so ist das nicht seine Schuld. Ohne den Starrsinn von Niari …«
»Verdamme ihn nicht. Dieser Mann ist ein Patriot. Wir werden schon noch erreichen, was wir vorhaben. Sag mir lieber, wer in Wirklichkeit James Pack ist, denn dieses Geheimnis macht mich krank.«
»Ich kann das Geheimnis leider nicht lüften.«
»Geheimniskrämerei.«
»Nein, Unkenntnis.«
»Was! Du, sein Begleiter, sein Komplize …, du weißt nichts?«
»Ich kenne seinen wahren Namen nicht. Ich würde ihn dir sonst sagen. James Pack ist ein rätselhaftes Wesen, er redet über alles, nur nicht über sich selbst. Nicht einmal Maudlin, sein Schützling, ja fast seine Adoptivtochter, kennt sein Geheimnis.«
Eine unwillige Geste des Journalisten unterbrach ihn.
»Das ist zu stark! Diese Person macht mich wahnsinnig. Ich, ein König des Interviews, muß mich einem unzugänglichen Mann gegenübersehen. Das ist entmutigend.«
Dann schien er sich eines anderen zu erinnern.
»Und was machen wir eigentlich in Poulo-Tantalam?« fragte er.
»Wir hinterlegen eine Visitenkarte.«
»Ach ja, eine auf einen Dolch gespießte Karte …«
»Wenn du so willst.«
»Und nehmen gemeinsam mit den Weißkitteln ein Bad?«
»So ähnlich.«
»Und wenn man dich festnimmt?«
»Unmöglich.«
»Warum?«
»Das wirst du sehen, wenn du mitkommst.«
Armand explodierte.
»Das ist zum Aus-der-Haut-Fahren, dieses Leben. Niemals eine präzise Antwort. Das ist ja ein Geheimnis mit zwei, ja mit drei Unbekannten!«
»Nun, bist du dabei?«
»Muß ich ja, denn das ist die einzige Sache, wo man was erfährt.«
In diesem Augenblick stoppte U‑Boot Nummer zwei. Zu Armands Überraschung führte ihn Robert in die Schleusenkammer.
»Müssen wir jetzt in unser Badekostüm steigen?«
»Ja«, erwiderte Robert lakonisch.
»Warum?«
»Du wirst es sehen.«
Es blieb dem agilen Franzosen nichts weiter übrig, als dem zuzustimmen. Ergeben ließ er sich von einem Matrosen in die Taucherausrüstung helfen, und in wenigen Augenblicken hatte er mit seinem Cousin das Boot in fünfzehn Meter Tiefe verlassen und schritt nun neben Robert auf dem Grund des Meeres einher.
Der Boden war glatt und eben. Feiner, gräulich schimmernder Sand, der wahrscheinlich aus vom Wasser ausgespültem Felsgestein herrührte, bildete einen weichen Teppich. Allmählich stieg der Meeresboden an. Robert blieb stehen, schaltete sein Telefon ein und sagte: »Wir sind jetzt in drei Meter Tiefe. Mit deinem Sehrohr kannst du die Bäder von Tantalam erkennen.«
»Meinem Sehrohr?«
»Ja, es ist das gleiche wie im Schiff. Ab vier Meter Tiefe kann ich dieses Sehrohr ausfahren und sehe damit genauso deutlich, als ob ich mich auf der Erdoberfläche befände.«
Während er sprach, nahm er aus seinem Gürtel ein Rohr, das aus mehreren ineinandergesteckten Stäben bestand. Er zog sie auseinander, richtete dieses Rohr unter Wasser auf und befestigte ein Ende an einer der Sichtscheiben seines Helmes. Nach einigen Sekunden sagte er: »Fein. Die Braunen tummeln sich schon. Unser Besuch wird die Sensation.«
Auch Armand schaute nun durch sein Sehrohr.
Der Strand von Tantalam bot einen äußerst bewegten Anblick. Unter den heiligen Schuppen, auf den Stufen, im Wasser selbst tummelten sich die Gläubigen in weißen Gewändern. Auf dem gelben Sand wirkten die Weißgekleideten wie Schneeflocken. Aber Armand durfte sich nicht allzu lange diesem Anblick hingeben. Robert setzte sich in Bewegung, und der Journalist mußte ihm wohl oder übel folgen.
Sie näherten sich allmählich den Badenden, und je weiter der Wasserspiegel sank, desto höher ragten die Kugelhauben aus dem Wasser.
Zunächst nahm man sie nicht wahr. Doch auf einmal bewiesen die hektischen Bewegungen eines Malaien, daß man sie entdeckt haben mußte. Die Neuigkeit schien sich in Windeseile fortzupflanzen. Die Gläubigen blickten zu den Kugeln, die da auf dem Wasser schwammen. Offensichtlich waren sie sehr erstaunt, um nicht zu sagen verwirrt durch diese Gegenstände, die da auf sie zukamen. Bald machte sich bei ihnen eine Bewegung des Zurückweichens breit. Die am weitesten im Meer stehenden Gläubigen hasteten zum Strand zurück. Die Metallkugeln setzten ihren Weg fort und erreichten die Stelle, wo sich kurz vorher noch die Eingeborenen befunden hatten.
Mit wachsendem Schrecken sahen diese, wie dem Ozean fremde Wesen entstiegen. Ein Schrei stieg zum Himmeclass="underline" »Buddha, Buddha!«
Für all diese Menschen, in deren Köpfen die wunderbaren Legenden des Buddhismus und Brahmaismus spukten, waren die Meergötter erschienen, um die heiligen Bäder zu segnen. Ein Schreien und Kreischen in allen Stimmlagen schwang in der Luft.
Mühelos gelangten die Taucher bis zu den ersten Stufen. Robert befestigte mit Hilfe des Dolches eine Nachricht des Korsaren Triplex an einer von ihnen. Dann griff er zu seiner elektrischen Klinge, mit der er wie bei jeder Unterwasserexkursion bewaffnet war, und richtete sie zum Himmel.
Ein Knistern entlud sich, ein Blitz zuckte zum Himmel empor. Die Menge fiel auf die Knie und preßte die Nasen in den Sand. Als die Kühnsten nach einer Viertelstunde aufblickten, waren die Götter verschwunden. Als einziges Zeichen ihrer Anwesenheit blieb die Karte auf den hölzernen Stufen zurück.
Am selben Abend wurden die Behörden von Singapur durch ein Kabelgramm von dem seltsamen Vorfall unterrichtet. Und während der Gouverneur seinerseits diesen Vorfall nach London meldete, setzte Nummer zwei seine Fahrt nach Borneo fort.
Im Salon erzählte Armand frohgelaunt von seinem Ausflug und fühlte sich sehr geschmeichelt, als ein Bote Brahmas angesehen worden zu sein.
In der englischen Admiralität war man bestürzt. Wie gehabt, waren drei Depeschen eingegangen, die Triplex’ gleichzeitiges Erscheinen in Tantalam, im Golf von Petchili und in Honolulu, der Hauptstadt von Hawaii, meldeten. Es wurde eine Sondersitzung des Kabinetts einberufen, über deren Ergebnis die Times, der Telegraph und die Morning News wie auch andere englische Zeitungen ihre Leser am nächsten Tag unterrichteten.