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Daraufhin war sie rot geworden und mit Tränen in den Augen in ihre Kabine geflüchtet, wo sie sich schluchzend auf ihr Bett warf. Undeutlich glaubte ihre Mutter, die ihr nachgegangen war, unter den Schluchzern immer wieder den Namen James herausgehört zu haben.

Wie auch immer, Robert fühlte sich verpflichtet, die Damen zu zerstreuen, und so hatte er sich des »sozialen« Projektes angenommen, zu den englischen fish and chips den fish zu liefern. Und er schlug auch vor – da man die unterseeischen Jagdgründe erfolgreich abgejagt habe – für zwei Tage an Land zu gehen und im Inneren Borneos zu jagen. Zunächst würde man noch einen Ausflug im Taucheranzug zu den wunderschönen Korallenbänken der Bucht von Gaya machen.

»Ah!« rief Armand begeistert, »wir werden uns also ins Reich der großen Baumeister des Kontinents begeben.«

Und da ihn daraufhin seine Freunde fragend anschauten, fuhr er mit stetig wachsender Begeisterung fort: »Ihr wundert euch über meine Aufwallung? Das kommt daher, weil mir dieser Spaziergang einen Traum erfüllt: ein Geheimnis der Natur an Ort und Stelle zu studieren.« Dann wurde er sachlich: »Die Natur in ihrer phantastischen Vielfalt wollte die Menschheit neben anderem auch durch die Schöpfung der Korallen Demut lehren. Ja, Demut! Dann was sind selbst die gigantischen Bauwerke der alten Ägypter oder der kambodschanischen Khmer gegen dieses Wunderwerk von Lebewesen, die halb Pflanze, halb Tier sind? Habt ihr euch manchmal überlegt, wieviel Jahrhunderte es gedauert haben muß, bis gemeine Muscheln Kreideansammlungen von sieben- bis achthundert Meter Dicke gebildet haben, die dann über die Meeresoberfläche wuchsen? Noch heute gestalten geheimnisvolle Architekten mitten im Pazifischen Ozean einen immensen Kontinent, der dazu bestimmt ist, künftige Humanoiden aufzunehmen.« Und mit Pariser Leidenschaft schloß er: »Die Koralle ist die Wurzel, die in der Unendlichkeit verankert ist und auf deren Blüte der Gedanke an die Zukunft wächst und wo Menschen, die uns genauso überlegen sein werden, wie wir es heute gegenüber den Primitiven sind, leben werden; dabei von dem reinen Idealzustand träumen und ihre hundert‐, ja tausendmal schärferen Blicke als die unseren in ferne Räume schweifen lassen, und die mit der Gewißheit sterben werden, sich den großen Rätseln des Universums immer weiter genähert zu haben, ohne sie jemals ganz zu erreichen. Denn das kann niemand.«

Alle hatten zugehört. Sogar Lotia hatte ihre gleichgültige Haltung aufgegeben und murmelte: »Reden Sie weiter, Armand. Heute bin ich traurig, reden Sie von der Hoffnung für morgen.«

Der Journalist schaute die Ägypterin lächelnd an.

»Wie Sie wollen. Wenn Sie dieses Zurschaustellen ozeanischer Kenntnisse zerstreut, werde ich Ihnen gern erzählen, was ich über die korallenartigen Zoophyten und deren Ableger weiß.«

Er machte eine Pause.

»Ganz am unteren Ende der Hierarchie von Lebewesen befindet sich der Schwamm«, begann er, »der aus einer faserigen, elastischen und widerstandsfähigen Substanz besteht und von einer gallertartigen Masse umgeben ist, die man entfernt, wenn man ihn in den Handel bringt. Diese Masse ist der lebende Teil. Er besteht aus rudimentären Tierchen, die wie kleine Tuben aussehen. Es sind die allereinfachsten, unausgebildeten Lebewesen. Im einfachsten Fall haben sie die Form eines Bechers, dessen Wand aus zwei Schichten, dem Dermal- und dem Gastrallager, besteht und von zahlreichen Poren durchbrochen ist. Die Zellen des Gastrallagers haben Geißeln, die am Grunde von einem Kragen aus Protoplasma umgeben sind, sogenannte Kragengeißelzellen; durch sie wird Nahrung wie Plankton oder Teile von kleinen Meerestieren verdaut oder an die übrigen Zellen weitergegeben. Infolge der in der Regel ungeschlechtlichen Vermehrung werden die Schwämme – lateinisch Spongien – zu Kolonien von bedeutender Größe. Ihre Gestalt ist ungemein verschieden. Manche bilden Krusten und klumpige Massen, andere zierliche Bäumchen, Röhren oder Becher. Die Spongien sind von so niederer Struktur und so unerforschter Vitalität, daß man sich noch Anfang unseres Jahrhunderts weigerte, sie ins Tierreich aufzunehmen.« Armand hustete, überlegte kurz und fuhr dann in seiner Vorlesung fort: »Kommen wir nun zu anderen, hochinteressanten Koralliferen. Der Polyp ist ein kleiner Sack, ausgestattet mit acht Tentakeln, die dazu dienen, Nahrung zu beschaffen. Wenn sich diese Tentakel öffnen, so erweitern sie sich kreisförmig und erwecken den Eindruck einer Blume mit acht rot und weiß gestreiften Blüten. Diese Aufgußtierchen vereinigen sich in ungezählter Menge, sie sondern eine kalkhaltige weiße oder rote Substanz ab, den sogenannten Korallenstock. Man nennt diese Vermehrung auch Knospung. Bei der Entstehung der Korallenstöcke durch Knospung bleiben sämtliche Einzelwesen durch ein System von Ernährungskanälen miteinander in lebender Verbindung. Man findet die vielfältigsten Formen: Bäume, Büsche, Pilze, Blumen, Steine. So entsteht ein richtiger Wald, an den roten Stämmen blühen Tausende von Blumen, die nichts anderes sind als lebende Polypen; oder aber kleine Schößlinge, die wie eine rote Prärie aussehen, von weißen Sternen durchsetzt. Sie dehnen sich über gewaltige Räume hinweg aus. Von der afrikanischen Küste bis Malakka, von der Südsee bis in die Karibik. Sie brauchen reines, durch sandige oder tonige Verunreinigungen ungetrübtes Wasser mit vollem Salzgehalt und einer Mindesttemperatur von zwanzig Grad; reichliche Nahrungsmittel und genügend Licht erhalten sie in einer Wassertiefe von dreißig bis vierzig Metern; am üppigsten entwickeln sich die Riffkorallen in einer Wassertiefe von vier bis zehn Metern. Ihre Riffe wachsen unaufhörlich und erstrecken sich schon über mehrere Hunderte von Kilometern. Sie wachsen nur wenige Millimeter im Jahr, und man hat errechnet, daß manche an die zweihunderttausend Jahre brauchen, um eine Kolonie zu bilden. Manchmal bilden sie ein Wall- oder Barriereriff wie das vor Neukaledonien, das siebenhundert Kilometer lang ist, oder das Große Barriereriff an der Nordostküste des australischen Kontinents von etwa tausendneunhundert Kilometer Länge; manchmal bilden sie Riffe von mehr oder weniger regelmäßiger Ringform wie jenes im Tuamotuatoll. Außer von den gewachsenen Korallenstöcken wird das Korallenriff auch von den durch die Brandung erzeugten Trümmern des Korallenkalkes gebildet, deren Größe zwischen starken Blöcken und feinsten Teilchen schwankt. Der Korallensand füllt mit den gröberen Brocken die Lücken zwischen den Korallenstöcken aus. Die Korallen gründen ihre Riffe meist auf festem Gestein, gelegentlich dienen als Fundament auch einzelne Steine. Den Anfang machen frei schwimmende Polypenlarven, die sich an die Steine heften. Die Riffkorallen wachsen dann aufwärts gegen den Meeresspiegel, seitwärts gegen das offene Meer und auf dem Boden in die Tiefe, hier aber auch nur bis vierzig Meter.«

Lotias Gesicht drückte Bewunderung aus. Vor ihren Augen sah sie deutlich die unaufhörliche Schöpferkraft der Natur.

»Ich denke, euch wird klar«, schloß Armand, »daß das wissenschaftliche Studium der Korallen auf andere Art schön, aber genauso poetisch ist wie das Studium von Mythen und Legenden.«

Die Vorlesung war zu Ende, und niemand ließ sich lange bitten, in die Taucheranzüge zu steigen und nun vor sich zu sehen, was sie eben gehört hatten.

Es war eine Verzauberung.

Bald schritten die Passagiere durch felsige Einschnitte, die mit riesigen Schwämmen bedeckt waren, deren Farbnuancen von gedecktem Weiß bis zum Rotbraun reichten. Diese Pflanzentiere hatten sowohl trichter- als auch becher- oder röhrenförmige Gestalt und boten den Betrachtern einen einmaligen Anblick. Auch die Arten wechselten: hier der Neptunsbecher, dort Kalkschwämme, da der Venusblumenkorb neben großlöcherigen Pferdeschwämmen und Strahlschwämmen, Baumfaserschwämmen, Kieselschwämmen …

Jetzt gelangten sie zu einer Korallenbank. Es war eine Vision, die sie nur als Traumgespinst für möglich gehalten hätten: rote und weiße Korallenstöcke, an denen sternförmige Polypen blühten und zwischen deren Verästelungen Fische in allen nur denkbaren Farben schwammen. Mit den Korallen hatten sich andere Korallentiere vermischt – Polypen in allen Farbschattierungen: blau, rosa, gelb, grün, orange und weiß, durchscheinend wie Glas und die felsigen Wände wie ein Teppich bedeckend. Da war die Edelkoralle, die Tote Mannshand, die geöffnete und geschlossene Purpurrose, die Seefeder, die Schmarotzerseerose, die Wachsrose, die Zylinderrose, die Pilzkoralle und alle möglichen Arten der Steinkoralle … Dann plötzlich hatten sie eine Polypenprärie vor sich, die wie ein Kornfeld auf und ab wogte und deren anmutiges Ineinanderfließen und Auseinandergleiten die Taucher nur stumm bewundern konnten.