Was hatten die beiden wohl beschlossen? Geheimnis. Aber ganz gewiß hatte Maudlin die Mutter für »ihre« Sache gewonnen, denn Lady Joan machte nun eifrig von einer Eigenschaft Gebrauch, die die Frauen so charmant erscheinen läßt: Sie fragte bei jeder passenden Gelegenheit, die der Umgang auf einem Schiff so mit sich bringt, die Mannschaft nach dem Korsaren aus.
Es waren endlose Fragen. Wo hatten sie den geheimnisvollen Korsaren kennengelernt? Wie hatte er sie angeworben? Und jedesmal erhielt sie eine begeisternde Schilderung. All diese Männer verdankten ihr Leben oder ihre Ehre dem Mann, der sie befehligte. Jeder von ihnen war ein beredter Zeuge des Mutes und der Großzügigkeit von James; jeder war ihm mit Leib und Seele ergeben, aber keiner wußte, wer er war. Die Männer sahen in ihm den Retter, und mit der schlichten Diskretion, die man jenen zubilligt, die bewundert werden, respektierten diese tapferen Mitstreiter das Geheimnis ihres Anführers.
Joan teilte diese Meinung, dennoch setzte sie ihre – zugegebenermaßen erfolglosen – Nachforschungen fort. Doch das war bei ihr nicht etwa blanke Neugier. Als Mutter wollte sie wissen, was sich dem Glück ihrer Tochter in den Weg stellte.
Inzwischen flossen die Tage dahin. Die Unterseeboote durchpflügten mit schwindelerregender Schnelligkeit die Meere und Meerengen Ozeaniens. Sie ließen die Javasee hinter sich. Timor, Neuguinea, fuhren durch die Bandasee, umschifften Port Darwin und die unzähligen Inseln der Arafurasee. Vorbei an Kap York, der nördlichsten Spitze Australiens, gelangten sie in die Meerenge von Torres, die schon manchem Kapitän zum Verhängnis geworden ist, durchquerten das Korallenmeer, schlängelten sich durch die zahlreichen Inseln der Neuen Hebriden und der Loyalty-Inseln, ließen die französische Insel Neukaledonien hinter sich. Sie brauchten einen ganzen Tag, um durch den Graben zu tauchen, der die Inseln des Fidschiarchipels von denen Tongas trennt. Sie erreichten Polynesien, diese »Staubkörner von Inseln«, wie sie der chilenische Historiker Pedro de Balma einmal sehr treffend genannt hat.
Endlich erreichten die schnellen Schiffe Aitutaki, eine der wichtigsten Inseln des Cookarchipels. Von da ab tauchten die Unterseeboote auf und fuhren mit geringer Geschwindigkeit weiter. Nach einigen Stunden versammelte James seine Freunde an Deck und zeigte ihnen in der Ferne einen Berg, der sich etwa fünf- bis sechshundert Meter über die Meeresoberfläche erhob.
»Die Goldinsel, meine Freunde. In einer Stunde werdet ihr zu Hause sein.«
Je mehr sie sich der Insel näherten, desto deutlicher waren Einzelheiten zu erkennen. Die Insel war ein Felseneiland, das von einigen Palmkronen gesäumt wurde. Sie hatte die Form eines Hörnchens, zwischen dessen Spitzen sich eine weite Bucht öffnete, in der es sich alle Schiffe der Welt hätten bequem machen können. Allein die Zufahrt zu diesem Hafen war alles andere als bequem. Am Ende des Hörnchens setzten sich die Felsen fort – allerdings unter Wasser und bildeten, wie man an einzelnen etwas mehr aus dem Wasser ragenden Punkten erkennen konnte, einen fast geschlossenen Kreis; allein durch schmale Passagen mischten sich die Wasser der Bucht mit denen des Ozeans.
James erklärte ihnen diese Besonderheit.
»Der Granitkegel ist vulkanischen Ursprungs, die äußeren Felsen sind Korallenriffe, die den Golf mit einem echten Atoll umgeben. Wie ihr wißt, bezeichnet man mit diesem Namen die kreisrunden Inseln der Sternkorallen.«
Währenddessen durchfuhren die Unterseeboote den Hauptzugang, der etwa zweihundert Meter breit und fünfzehn Meter tief war. Rechts und links brachen sich auf den mit Wasserblumen bewachsenen Felsen die Wellen und ergossen ihre gischtenden, weißen Schaumkronen ineinander.
Die freie Fahrrinne, glatt wie ein Spiegel, zeichnete sich wie eine Straße inmitten von Feldern ab. Im übrigen wies sie keinerlei Klippen auf, die sie für Schiffe hätte gefährlich werden lassen. Von einer Begrenzung bis zur anderen war sie regelmäßig breit und tief. Das war ein oft zu beobachtendes Phänomen: Die Polypen bauen genauso perfekt wie die Baumeister von Brücken und Straßen.
Jetzt befanden sich die Schiffe in der Bucht.
»Meine Freunde«, sagte James Pack, »ich muß euch bitten, wieder unter Deck zu gehen, denn mein Schiff muß noch einmal tauchen.«
»Tauchen?« rief der Journalist aus. »Warum denn das?«
»Ganz einfach. Der Eingang zu meiner Wohnung befindet sich unter Wasser.«
»Der Eingang …?«
»Ja. Die Goldinsel ist wie zum Beispiel Teneriffa ein erloschener Vulkan. Sie besteht aus einer Reihe von Höhlen, in denen früher Lava brodelte. Eines Tages muß ein Riß entstanden sein, Meerwasser drang durchs Gestein; zwischen beiden Elementen fand ein schrecklicher Kampf statt. Das Feuer wurde besiegt, und an dem Ort, wo die schmelzende Materie waberte, breitete sich ein See aus. Und genau dort schuf mir die Natur einen Zufluchtsort, dort schuf sie die Goldadern, die mir ein armer Bergarbeiter vermacht hatte. Genau dort hatte sie einen unermeßlichen Schatz vergraben, der mir erlaubte, um Gerechtigkeit zu kämpfen.«
Er schwieg einen Augenblick.
»Der Eingang zu meinem Reich liegt unter Wasser«, sagte er dann mit veränderter Stimme. »Deshalb bitte ich Sie, in den Salon zurückzugehen.«
Augenblicke später war die Luke wieder geschlossen, und alle drängten sich vor den Bullaugen im Salon. Langsam sank das Schiff, wobei es den steil abfallenden Felsen streifte. Dann gähnte plötzlich ein dunkler Schlund, undeutlich war ein Gang zu erkennen. Ein metallisches Klicken war zu vernehmen.
»Ich signalisiere meine Ankunft«, sagte Pack, »damit man uns Licht macht.«
Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als das grünliche Dämmerlicht durch eine gleißende Helligkeit verdrängt wurde. Elektrische Lampen, die in dicken gläsernen Kugeln steckten und die an der Decke des Tunnels angebracht waren, flammten auf, und Nummer zwei tauchte durch den unterirdischen Tunnel.
»Aber Ihre Goldinsel ist ja ein Palast aus Tausendundeiner Nacht!« rief Lavarède aus.
»Ja«, erwiderte der Korsar ernst, »tausend Nächte Leid, Trauer und Arbeit. Tausend Nächte für einen Tag Gerechtigkeit.«
Die anderen schwiegen, da sie sein ernster Tonfall berührte. Doch plötzlich erweiterte sich der Tunnel; die Wände wichen zurück. Das Schiff blieb stehen, stieg einige Meter nach oben, dann lag es unbeweglich auf der Wasseroberfläche, nur die Kuppel ragte aus dem Wasser.
»Die Luke ist offen«, murmelte der Korsar, »ihr könnt auf die Brücke gehen.«
Mit der Hast der Neugier kletterten die Passagiere auf der Leiter nach draußen. Ein Schrei der Bewunderung entrang sich gleichzeitig ihren Lippen.
Das Schiff schaukelte mitten in einer riesigen Höhle, die von unzähligen Lichtern beleuchtet wurde. An den Wänden funkelte und glitzerte es, daß einem die Augen weh taten. Ein goldenes Band durchzog wie ein Mäander den glatten Felsen und reflektierte das elektrische Licht.
»Goldhaltiges Quarz«, sagte Pack.
Neben ihnen ragten die Kuppeln der beiden anderen Unterseeboote aus dem Wasser. Auf den Ufern dieses im Inneren des Felsens befindlichen Sees gingen etwa zwanzig Leute hin und her. Das war die Besatzung von Schiff Nummer drei, das vor den beiden anderen in die Insel eingelaufen war. In die Felswände waren Gänge eingelassen, die ebenfalls erleuchtet waren. All das erweckte den seltsamen Eindruck von etwas Unwirklichem.
Einige Männer, die am Ufer standen, sprangen in leichte Boote und ruderten zu Nummer zwei hinüber.
»Wenn ihr beliebt einzusteigen«, sagte der Korsar, »wird man euch an Land bringen, und«, so fügte er mit einem melancholischen Lächeln hinzu, »der Hausherr wird euch seinen Besitz zeigen, damit ihr diesen Palast der Natur kennenlernt, in dem wir auf die Ankunft der englischen Flotte warten werden.«