Ja, sie würde sich zu Tode grübeln, und auch Robert konnte ihr kaum helfen. Sein Anblick hatte schmerzliche Folgen für sie. Wenn er auftauchte, begann sie zu zittern, ihre Augenlider zuckten, und so schnell sie konnte, eilte sie in ihr Häuschen, schloß sich dort ein und ließ sich den Rest des Tages nicht mehr blicken.
Einer allerdings war ständig um sie. Das war Niari, der ebenfalls darunter litt, daß sie allmählich verfiel, der aber mit keiner Regung des Mitleids verriet, daß er von seinen Plänen lassen würde. Seine Blicke, die er Robert zuwarf, waren beredt genug. Ja, seine Abneigung gegen den Franzosen, dem er nun auch noch die Schuld an Lotias Zustand zuschob, wuchs von Tag zu Tag. Manchmal zischte er, wenn er Robert irgendwo sah, vor sich hin: »Elender Giaur! Soll dich Osiris holen!«
Aber schlau und vorsichtig wie alle Orientalen ließ er sich davon nichts anmerken, wenn er meinte, er würde beobachtet, und niemand ahnte, welche Gedanken sein Hirn ausbrütete.
Aurett machte sich immer mehr Sorgen um Lotia. Eines Tages zog sie James Pack ins Vertrauen.
»Könnten Sie denn Ihre Vorbereitungen nicht einmal unterbrechen, damit wir einen Unterwasserausflug machen?« fragte sie. »Beim letztenmal war das das einzige, was sie ablenkte.«
»Wenn Sie meinen, daß ihr das helfen könnte, so bin ich einverstanden.«
»Ich danke Ihnen. Wann könnten wir auslaufen?«
»Morgen.«
»O fein. Ich werde die Neuigkeit gleich unseren Freunden mitteilen.«
»Tun Sie das. Morgen früh werden Sie meine Männer zur Nummer zwei bringen. Ich werde sehr tief tauchen, um Lotia möglichst zu schocken. Vielleicht hat das Erfolg. Denn ich muß Ihnen offen gestehen, auch ich mache mir schon lange Sorgen um ihre Gesundheit.«
Mit diesen Worten entfernte sich James, und Aurett erzählte Armand, was sie beschlossen hatten. Robert, Joan und Maudlin waren erfreut, denn auch ihnen war das monotone Einerlei der vorübergehenden Tage auf der Insel alles andere als angenehm.
Lotia wollte protestieren, aber ihre Freunde erklärten ihr in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, daß es eine persönliche Beleidigung ihres Retters James Pack sei, wenn sie ablehnte. Kurz, nach einer bewegten Nacht fanden sich am Morgen alle am Rande des unterirdischen Sees ein und warteten auf die Boote, die sie zum Unterseeboot bringen sollten.
Sie wunderten sich ein wenig, daß auch Niari mit von der Partie war; aber der Ägypter bat mit soviel Höflichkeit darum, an dieser Unterwasserexpedition teilnehmen zu dürfen, daß man ihm diesen Wunsch schwerlich abschlagen konnte.
War der Ägypter etwa dabei, umzudenken und von seinen ursprünglichen Plänen zu lassen? Ganz mit diesen Gedanken beschäftigt, achtete keiner der Passagiere darauf, mit welch merkwürdigem, ja fast feierlichem Gebaren der ehemalige Bedienstete von Thanis im Boot Platz nahm. Denn Niaris Gesicht schien versteinert. Es ähnelte eher einem Wächter der Tempelheiligtümer als einem Mann, dem es Spaß machen könnte, die Unterwasserwelt zu genießen.
Auf dem Deck des Unterseebootes erwartete der Korsar seine Gäste. Er bat sie in den Salon, die Luke wurde verschlossen, und das Boot tauchte langsam unter. Es glitt durch den Tunnel, stieg in der Bucht wieder an die Wasseroberfläche und schwamm durch die Barriere, die die Insel vom Ozean trennte.
»Hat dieser Golf denn schon einen Namen?« fragte Aurett ihren Gastgeber.
Die Frage schien den Korsaren zu überraschen, denn er antwortete: »Warum diese Frage?«
»Weil ich, falls er noch keinen hat, einen ausgedacht habe. Den Ihren, Sir James.«
»Leider«, murmelte der Angesprochene, »hat die Bucht schon einen Namen, der besser zu ihr paßt.«
»Und wie heißt sie?«
Schweigen. Offensichtlich zögerte Pack zu antworten.
»Was? Noch ein Geheimnis?« rief Lavarède mit gespielter Entrüstung.
»Nein.«
»Also …?«
»Dieser Golf trägt den Namen eines meiner Kampfgefährten. Des tapfersten, der mir immer wieder Mut gemacht hat, wenn ich schwankte. Es ist ein Zeichen der Dankbarkeit für ihn, obwohl ich ihn nicht gefragt habe, ob er einverstanden ist, und jetzt frage ich mich, ob ich nicht falsch gehandelt habe, ob mein Schweigen nicht als Schuld aufgefaßt werden könnte.«
»Sie haben noch nie etwas Tadelnswertes getan, mein Freund«, sagte Maudlin lachend, die James während der ganzen Zeit wie gebannt angeschaut hatte.
»Meinst du?« rief er aus und lachte ebenfalls. »Nun gut, Mr. Journalist, Notizblock raus, Geheimnis Nummer eins. Wir schwimmen in diesem Augenblick durch die Silly-Maudlin-Bucht.«
Alle klatschten, außer Maudlin, die verlegen den Kopf senkte. Aber der flüchtige Blick, mit dem sie unter zusammengekniffenen Augen den Korsaren anblickte, verriet, daß sie alles andere als verärgert war.
»Die westliche Spitze der Insel ist das Lord-Green-Kap!« fuhr James fort, »die gegenüberliegende die Joan-Spitze; und die Felszacken, die den Eingang zur Bucht bewachen, tragen die Namen von Freunden, die ich nie vergessen werde. Das ist der Lavarède-Felsen, der Robert-Stein, das sind die Lotia- und die Aurett-Klippen.«
Die Anwesenden lachten und klatschten, und Aurett sagte mit einem spitzbübischen Lächeln: »Es fehlt nur noch Ihr Name, Sir James, auf diesem kleinen geographischen Kalender.«
»Irrtum.«
»Aha.«
»Der Durchgang zur Bucht, der einzige, auf dem ein Schiff mit einigem Tiefgang die Bucht erreichen kann, hat meinen Namen erhalten.«
»Und wie heißt er?« fragte Armand, der hoffte, dadurch endlich den richtigen Namen seines geheimnisvollen Gastgebers zu erfahren.
Aber dieser lächelte nur und antwortete, als ob das die natürlichste Sache der Welt sei: »Die Korsar-Triplex-Passage.« Und ohne weiter auf den enttäuschten Gesichtsausdruck seiner Zuhörer zu achten, fuhr er fort: »Wir durchfahren sie gerade. Wenn ihr vor den Bullaugen Platz zu nehmen geruht, werde ich euch das Verteidigungssystem zeigen, das die Bucht vor einem Handstreich schützen kann.«
Armand war der erste, der vor den Bullaugen stand und einen Blick nach draußen warf.
»Aha, das ist es!« rief er aus. »Sie haben eine Unterwassereisenbahn gebaut. Denn ich erkenne deutlich Schienen, die anscheinend die Passage in ganzer Breite durchziehen.«
Das war richtig bemerkt, und die anderen, die ebenfalls an den Bullaugen standen, hatten denselben Eindruck wie der Journalist.
Das Unterseeboot schwamm durch die Passage. Auf dem Meeresgrund waren ganz deutlich Stahlschienen zu erkennen, die haargenau den üblichen Eisenbahnschienen glichen.
»Das wollte ich Sie sehen lassen«, bemerkte der Korsar.
»Aber wozu haben Sie diese Schienen dort unten verlegt?« fragte Armand.
»Das Ziel ist ausschließlich defensiver Art. Ich wollte die Passage nach Belieben öffnen und schließen können.«
»Die Passage schließen?« fragten die anderen.
»Genau. Stellen Sie sich vor, ein Schiff nähert sich, dessen Ankunft mir unangenehm ist. Es kann nur in der Bucht ankern, denn überall sonst ist die Küste voller gefährlicher Klippen, die vor allem um so gefährlicher sind, je weniger man sie sieht.«
»Das Schiff wird also eine Durchfahrt zur Bucht suchen«, unterbrach ihn der Pariser in seiner üblichen Ungeduld.
»Ja, doch es wird keine finden.«
»Weil …?«
»Weil auf den Schienen, die Sie eben gesehen haben, stählerne Loren entlanggleiten, die mit Felsen beladen sind. Ich habe Ihnen anläßlich Ihres ersten Rundgangs auf der Insel meine Elektrowerkstatt gezeigt. Es genügt, dort einige Hebel zu betätigen und dadurch Kontakte zu schließen, damit sich meine Loren in Bewegung setzen. Die Felsbrocken, die sie enthalten, haben genau die richtige Höhe, damit man von dem sich eventuell nähernden Schiff den Eindruck gewinnt, auch in der Passage brechen sich die Wellen. Das Schiff wird umkehren, und der Kapitän wird denken, daß es für ein Schiff mit größerem Tiefgang unmöglich ist, in die Bucht zu gelangen.« Und mit einem ironischen Unterton fügte er hinzu: »Wenn mein System bekannt würde, ließe sich damit jeder Hafen besser verteidigen als mit Torpedos.«