»Sie wollen mich doch nicht etwa zu einer Indiskretion überreden?«
»Ganz und gar nicht, aber ich bin selbst hinter den Namen gekommen. Und das schmeichelt mir natürlich.«
Zur größten Überraschung Lavarèdes schien diese Mitteilung James Pack alles andere als zu erstaunen.
»Wirklich?« erwiderte er so gleichgültig wie möglich. »Erzählen Sie.«
»Nun«, sagte der Journalist mit einem leichten Anflug von Ärger, »ein Blumenkorb im Park enthielt seine Initialen.«
»Und wie sind die?«
»J. P.«
Unbewegt fragte James: »Und was schließen Sie daraus?«
»Daß der Eigentümer und Mr. James Pack ein- und dieselbe Person sind.«
Während er das sagte, blickte er sein Gegenüber herausfordernd an. Doch war sein Triumph nur von kurzer Dauer. James lachte lauthals los.
»Ich wundere mich nicht mehr, wenn die Reporter als erfinderisch gelten«, sagte er schließlich. »Ihrer Meinung nach kann J. P. nichts anderes bedeuten als James Pack? Erlauben Sie, daß ich widerspreche. Diese Buchstaben entsprechen etwas ganz anderem.«
Verbittert blickte ihn Armand an.
»Haben Sie noch ein wenig Geduld, Armand. Ich verstehe ja Ihre Neugier. Bei Ankunft der englischen Flotte bringe ich Ihre und meine Freunde in sicheren Kellern im Inneren der Insel unter. Sie allein dürfen in die Villa kommen. Dort werden Sie Sir J. P. vorgestellt werden, der mir überhaupt nicht ähnelt, und Sie dürfen an seiner Seite allen weiteren Ereignissen beiwohnen und, wenn Sie wollen, die Exklusivrechte der Berichterstattung über das weitere Vorgehen für Frankreich bekommen. Was halten Sie von diesem Arrangement?«
»Einverstanden. Nur noch ein Wort. Ist dieser Monsieur J. P., Ihr Verbündeter, auch Ihr Freund.«
»Sie werden sehen.«
Und mit diesen Worten entfernte er sich.
Aber er stürzte Armand mit dem Versprechen nur in neue Unruhe. Denn dieser kletterte von nun an jeden Tag bereits in der Frühe auf das Plateau und suchte mit dem Fernrohr die einsame Meeresoberfläche ab.
Aber wie sehr er auch den Ozean absuchen mochte, es zeigte sich kein Schiff. Und da er nachts schlecht auf dem Plateau bleiben konnte, begab er sich nach Einbruch der Dunkelheit wieder in seine Unterkunft. Er schlief freilich schlecht. Wirre Träume suchten ihn heim. So sah er sich einmal mitten in einem weiten Saal. Mehrere Türen führten aus diesem Saal heraus. Doch sie waren mit Eisenriegeln, gewaltigen Vorhängeschlössern und Barren verrammelt. An jeder Tür hing ein Schild, auf dem man lesen konnte: Geheimnis Nr. 1, Geheimnis Nr. 2, Geheimnis Nr. 3 und so weiter. Und wenn sich der Journalist einer der Türen näherte, tauchte statt des Schildes das grinsende Gesicht von James Pack auf.
Das war unerträglich.
Armand stand auf, kleidete sich an und verließ seine Unterkunft. Alles schlief. Kein Laut drang aus den Zimmern seiner Freunde. Ohne genaues Ziel stieg der Franzose die Granittreppe empor, die in den Keller der Villa auf dem Plateau führte. Von dort erreichte er den Park. Noch war es Nacht, aber die Sterne am Himmel wurden schon bleicher, und am Horizont kündete ein allmählich heller werdender Streif den baldigen Anbruch des Tages an.
Ein berauschender Duft erfüllte die Luft. Mit schüchternem Gezwitscher bereiteten sich die Vögel auf den schmetternden Singsang vor, mit dem sie die Sonne begrüßen würden; aus dem Gras ertönte ein Zirpen, als ob die aus dem Schlaf erwachten Pflanzen und Gräser sich in Erwartung des nahen Tages räkelten. Dann erklang ein Brummen. Also auch die Insekten waren soweit, den ersten Sonnenstrahl, der genau in diesem Augenblick am Horizont aufblitzte, zu begrüßen. Bei diesem Zeichen setzte das große Konzert des Lebens ein. Vogelsang, Blätterrauschen, Fliegengesumm intonierten die morgendliche Hymne für den Stern aller Sterne, dessen Flammenauge auf den dunklen Planeten fiel und ihn zu neuem Leben anregte.
Durch die Harmonie dieser strahlenden Morgendämmerung besänftigt, hatte sich Armand in eine Ecke des Parks zurückgezogen, die als felsige Plattform über die Klippen ragte. Er träumte, und seine poetische Seele war an diesem Morgen eins mit der ihn umgebenden Natur.
Plötzlich zuckte er zusammen, beugte sich nach vorn und spähte in die Ferne. Zu dumm, daß er sein Fernrohr nicht dabei hatte. Er rieb sich die Augen erneut und blickte angestrengt nach Norden. Eine lange Minute stand er so und schaute. Dann riß er jubelnd die Arme empor, tanzte auf dem Plateau umher und juchzte vor Freude laut auf.
»Ich irre mich nicht! Das sind Rauchfahnen, die Flotte …, die englische Flotte. Ich werde Pack informieren. Nein, besser noch nicht, ich muß ganz sicher sein.«
Eine halbe Stunde beobachtete er noch. Es war kein Zweifel mehr möglich. Dampfschiffe näherten sich der Goldinsel. Armand zählte fünfzehn. Seiner Sache mehr als sicher, lief er zu der Villa und stieg so, wie er heraufgekommen war, die Treppe wieder hinab. Auf halbem Weg mußte er eine Gruppe von Matrosen vorbeilassen, die, mit Paketen beladen, nach oben gingen. Er drückte sich an die Felswand, um sie vorbeizulassen, und setzte dann seinen Weg fort. Als er den Fuß der Treppe erreichte, stieß er auf zwei weitere Matrosen, die hier als Wachtposten standen.
»Wo ist der Kapitän?« fragte er sie.
»Er ist auf dem Meer«, antwortete einer der Männer. »Er beobachtet die englische Flotte, die gestern abend signalisiert wurde.«
»Gestern abend?« fragte der Journalist erstaunt.
»Ja, und unser Befehl lautet, niemand hier heraufzulassen außer Ihnen.«
»Aha.«
Der Korsar hielt also sein Versprechen. Lavarède beeilte sich, seine Freunde zu benachrichtigen, und nachdem das geschehen war, machte er wieder kehrt, nicht ohne vorher noch den Damen versprochen zu haben, sie zu informieren, falls etwas Außergewöhnliches geschehen sollte.
Robert wollte ihn begleiten, aber die Wachtposten verwiesen auf ihren Befehl und ließen ihn nicht durch. Sein Cousin jedoch kletterte nun zum zweitenmal an diesem Tag die Treppe empor und befand sich auch bald im Keller der Villa. Diesmal war jedoch die Tür geöffnet, die ins Vestibül des Hauses führte. Armand ließ die Tür zum Park links liegen und betrat die weite Vorhalle der Villa. Erstaunt blickte er sich in ihr um, als plötzlich ein korrekt in Schwarz gekleideter Butler auf ihn zutrat.
»Habe ich die Ehre, vor Sir Armand Lavarède zu stehen?« fragte dieser.
»Ja, doch, gewiß, der bin ich«, antwortete der Journalist, der durch dieses plötzliche Auftauchen eines solchen Bediensteten überrascht war.
»Sehr gut. In diesem Fall darf ich Sie bitten, im Salon Platz zu nehmen. Dort wird Sie mein Herr empfangen, er wünscht sehnlichst, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Dem Pariser schlug das Herz bis zum Halse.
»Ihr Herr ist also angekommen?«
»Gewiß, mein Herr.«
In wenigen Sekunden würde er dem Mann gegenüberstehen, der ihn so beschäftigt hatte. Er betrat den Salon. Doch schon an der Schwelle hielt er überwältigt inne. Einen solchen Luxus hatte er noch nie gesehen. Der Saal nahm die ganze Höhe des Hauses ein, er mußte an die fünfzehn Meter lang und zwölf breit sein. Meisterwerke der Malerei, der Bildhauerei und der Keramik schmückten die Wände oder standen auf Sockeln. Riesige japanische, chinesische und aztekische Vasen waren mit Palmen und anderen exotischen Pflanzen bestückt, deren Blätter und Zweige einen smaragdgrünen Baldachin formten; Möbel aus allen Zivilisationen waren zu sehen: assyrische Stühle, ägyptische Schemel, chinesische Tischchen, Renaissancekonsolen mischten sich in erstaunlicher Harmonie.
Es war ein Museum, aber ein lebendiges Museum, ein Museum mit einer Seele. Es war wie eine Vision aus Tausendundeiner Nacht, die ein Mensch verwirklicht hatte. Es war die Umformung des königlichen Metalls der Goldinsel in gediegenen Luxus.
Und wie Lavarède mit klopfendem Herzen noch all diese Herrlichkeiten bestaunte, öffnete sich plötzlich eine Tür, und herein trat der Herr über all diesen unermeßlichen Reichtum.