Armand musterte ihn neugierig. Der Mann war ihm unbekannt. Ein wenig größer als James Pack, sehr nobel, mit dickem braunem Haarschopf. Ein feiner und sorgfältig geschnittener Bart umrahmte Kinn und Wangen und hob die Mattheit des Teints noch hervor. Er hatte ein gewaltiges, löwenähnliches Haupt und war von unnachahmlicher Eleganz. Und da zweifellos die Natur in ihm die Reichhaltigkeit ihrer Gaben unterstreichen wollte, blickten aus seinem Antlitz zwei sanfte, lebendige und zärtliche Augen.
Gewandt verbeugte er sich vor dem Journalisten und sagte mit angenehm klingender Stimme: »Sir Armand Lavarède, vermute ich.«
»Er selbst, Sir.«
»Entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle.«
Lavarède spitzte die Ohren. Endlich würde er wissen, wer sich hinter J. P. verbarg.
»Sir Joe Pritchell heißt Sie willkommen«, fuhr sein Gegenüber fort.
Und ohne dem Journalisten Zeit zu lassen, etwas zu erwidern, sprach er weiter.
»Ich habe heute morgen Instruktionen von einem gemeinsamen Freund erhalten.«
»Von welchem Freund?«
»Korsar Triplex.«
Armand hatte diese Antwort erwartet, dennoch zitterte er unmerklich, als er fragte: »Sie wissen, wer das ist?«
»Aber ja. Er ist mein ergebenster Freund, was ich ihm ebenfalls beweise, indem ich seine Befehle getreu befolge.«
»Aber seine wirkliche Eigenschaft, kennen Sie die auch?«
»Vielleicht. Sie stellen die Fragen derart, daß es mir unmöglich scheint, sie exakt zu beantworten.«
Bei diesen Worten zuckte Lavarède nur mit den Schultern und murmelte: »Schon wieder Geheimnisse.«
»Die sich bald aufklären werden, haben Sie ein wenig Geduld, und hören Sie zu.«
Mit einer Handbewegung gab der Journalist zu verstehen, daß er ganz Ohr sei.
»Kapitän Triplex hat mich informiert«, sagte Joe Pritchell, »daß Sie neugierig seien, er aber volles Vertrauen in Sie hat; er wünscht, daß Sie mir nicht von der Seite weichen. Als erstes werden Sie mich zu der Unterredung begleiten, die ich mit Lord Strawberry., dem Admiral der englischen Pazifikflotte, haben werde.«
»Ein Treffen. Wo? Wann?«
»Das werden Sie sehen. Wozu zweimal dieselben Sachen wiederholen. Die Zeit drängt übrigens. Im Augenblick sind die Schiffe in der Triplex-Passage und erreichen gleich die Silly-Maudlin-Bucht. Wenn Sie wollen, werden wir dort die Flotte erwarten.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte Mr. Pritchell auf einen Knopf. Daraufhin erschienen zwei Bedienstete.
»Alles bereit?« fragte der Herr der Insel.
»Alles, Sir.«
»Dann los.«
»Kommen Sie, Monsieur«, sagte er, während er sich zu dem Franzosen umdrehte. »Das Geheimnis, dem Sie auf der Spur sind, wird sich vor Ihren Augen nach und nach lösen.«
An Pritchells Seite verließ Armand die Villa, durchquerte den Park und stieg an der nördlichen Seite des Plateaus auf einer bis jetzt für ihn verborgen gebliebenen Treppe die Klippe zur Bucht hinab.
Der Eigentümer der Villa hatte recht. In der Bucht lagen exakt ausgerichtet die englischen Kreuzer nebeneinander.
Plötzlich quoll über einem der Schiffe ein Rauchwölkchen empor, ein Kanonenschuß ertönte, der als Echo von den Felswänden zurückgeworfen wurde, und die englische Flagge wurde am Hauptmast des Kreuzers, auf dem der Schuß abgegeben worden war, gehißt.
»Sie teilen Ihre Bereitschaft für das Treffen mit«, murmelte Pritchell, »jetzt ist es an uns, zu antworten.«
Er zog einen Revolver und schoß in die Luft. Einer der sie begleitenden Bediensteten entrollte eine weiße Fahne und steckte sie in den Sand.
»Die Fahne der Parlamentäre!« rief Lavarède aus.
Doch sofort schwieg er wieder, denn über ihm donnerte mit einemmal ein Kanonenschuß los.
»Was ist denn das?« fragte er.
»Das ist unser Gruß für die britische Flagge«, erwiderte Pritchell.
Armand schüttelte den Kopf. Da hatte er nun, wie er glaubte, die Insel nach Strich und Faden abgesucht, aber weder war ihm die Treppe aufgefallen, auf der sie über den Park zur Bucht hinabstiegen, noch irgendeine Öffnung, die darauf schließen ließ, daß dahinter Kanonenrohre herausragten. Wo, zum Teufel, hatte Triplex diese Batterie nur versteckt?
Er drehte sich zu Joe Pritchell um und wollte ihn fragen, dieser dagegen legte lächelnd einen Finger auf die Lippen und zeigte auf ein Ruderboot, in dem vier Matrosen saßen und das hinter einer Felsbiegung bisher ihren Blicken verborgen war.
»Wir werden uns an Bord des Kreuzers begeben, auf dem die Admiralsflagge weht.«
Wortlos folgte Lavarède den dreien. Die Ruderer legten, als sie das Boot betreten hatten, sofort ab und wandten sich an das betreffende Schiff.
Es war eins jener gepanzerten Schiffe, die weniger einem Schiff als einer mittelalterlichen Festung gleichen. Die imposante Silhouette des Schiffes hob sich dunkel vor dem Himmel ab, aus den gepanzerten Türmen ragten bedrohlich die langen Rohre der Geschützbatterien.
Unwillkürlich schauderte es den Journalisten beim Anblick dieser eisernen Masse. Die schwimmende Festung würde allerdings, falls das James Pack in den Sinn käme, im Handumdrehen durch ein Unterseeboot versenkt werden, ohne sich verteidigen zu können. Und wenn er daran dachte, daß die Boote des Korsaren eine Erfindung des Franzosen Gourbet waren, so empfand er ein Gefühl von Stolz, in den sich allerdings auch Trauer mischte.
Warum nur hatte sich Frankreich nicht die Erfindung des Genies zunutze gemacht? Dank dieser Erfindung hätte es ein Mittel in der Hand gehabt, um der Vorherrschaft Englands auf den Meeren zu begegnen. Mit dem Geld, das man für den Bau von vier Panzerkreuzern brauchte, hätte man eine Flotte von zweihundert Unterseebooten schaffen können, die, vor Frankreichs Küsten und seinen Kolonien patrouillierend, die stärkste Flotte in die Knie gezwungen hätte.
Während er noch darüber nachdachte, hatte die Schaluppe am Schiff des Admirals festgemacht. Joe und Armand wurden am Fallreep von einem Offizier empfangen, der sie schweigend zu Lord Strawberry führte. Der große, ehrfurchtgebietende Mann erwartete sie in seiner Befehlshaberkajüte.
Liebenswürdig erwiderte er den Gruß der Besucher und sagte dann, wobei er Joe Pritchell offen ins Gesicht blickte: »Sie also haben der Pazifikflotte dieses Treffen vorgeschlagen, Sir?«
»Nein, Mylord.«
»Wieso nein?«
»Ich bin Sir Joe Pritchell, Eigentümer der Goldinsel, und ich erfülle im Augenblick nur eine Mission, um die mich Korsar Triplex brieflich gebeten hat. Korsar Triplex wurde mir nie vorgestellt.«
Trotz seines militärischen Phlegmas konnte der Admiral seine Verwunderung nicht gänzlich verbergen.
»Sie haben den Korsaren noch nie gesehen?«
»Weder er noch ich kennen uns von Angesicht zu Angesicht.«
»Dennoch haben Sie erlaubt, daß man auf Ihrem Besitztum Kanonen aufgestellt hat. Oder was hat uns bei unserer Ankunft begrüßt?«
»Man hat mich nicht um die Erlaubnis gebeten, diese Dinger hier aufzustellen.«
»Man hat sie also gegen Ihren Willen errichtet?«
»Nein, Mylord, nicht gegen meinen Willen, sondern ohne mich zu fragen.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß noch heute morgen nichts für das Vorhandensein von Kanonen auf meinem Anwesen sprach. Der Salut für die englische Flotte überraschte mich mehr als sonst jemand.«
Der Admiral verzog mißmutig die Lippen.
»Wollen Sie behaupten, daß Sie davon nichts wußten? Das klingt sehr unwahrscheinlich.«
»Es ist auch für mich unerklärlich«, sagte Pritchell ruhig, »da ich unablässig meinen Besitz inspiziere. Ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, daß ich nichts bemerkt habe. Ich lade Sie nach unserer Unterhaltung gern ein, mit mir auf die Insel zu kommen und die Stelle ausfindig zu machen, von der die fraglichen Schüsse abgegeben wurden.«