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Aber da geschah etwas Unerwartetes. Eine Felsklippe ragte direkt vor der Schaluppe empor. Kiddy packte die Ruderpinne, um dem Hindernis auszuweichen. Zu seiner Überraschung gehorchte jedoch das Boot dem Ruder nicht und hielt direkt auf die Klippe zu.

»Nach hinten!« schrie er.

Die Männer gehorchten, obwohl sie noch versuchten, das Boot anzuhalten. Doch wahrscheinlich gab es hier eine Strömung, die ihre Anstrengung vergeblich werden ließ. Zehn Sekunden vergingen. Das Boot war dicht an der Klippe; anstatt des starken Stoßes, den Kiddy erwartete, bemerkte der Korporal freilich nur ein leichtes Knirschen. Dann steckte die Schaluppe unbeweglich inmitten der Felsklippe.

»Uff!« murmelte der Korporal. »Das ging noch mal gut. Macht das Boot wieder flott!«

Sofort stemmten sich die Ruderer gegen den Granitblock und versuchten, indem sie all ihre Kräfte anstrengten, das Boot wieder flottzumachen. Vergebens! Es rührte und regte sich nicht. Man hätte meinen können, eine unsichtbare Kraft hielte es an dem Felsen fest.

Sie starrten sich mit einem Anflug von Entsetzen im Gesicht an. Was denn? War das Boot etwa verhext? Was zog sie denn so unwiderstehlich zu den Felsklippen?

Plötzlich tauchte eine riesige, mit einem Lederhandschuh bekleidete Hand aus dem Wasser und hielt sich an der Bordwand der Schaluppe fest; unmittelbar darauf ragte eine runde Kugel, auf der sich die Sonne spiegelte, über die Bordwand. Die verwirrten Kanoniere, die nicht wußten, was ein Taucheranzug war, ließen ihre Ruder los und bedeckten sich die Gesichter. Kiddy wich so erschreckt zurück, daß er von der Ruderbank ins Hintere der Schaluppe purzelte.

Als er sich wieder aufgerappelt hatte, war die Erscheinung verschwunden, aber an der Stelle, wo sie über die Bordwand geblickt hatte, steckte ein Dolch. Und dieser Dolch spießte ein Blatt Papier auf. Nachdem es Kiddy mit einiger Anstrengung gelungen war, den Dolch aus der Bordwand herauszuziehen, las er erstaunt, was auf dem Zettel stand:

Um euch herum sind lauter Elektromagneten angebracht. Wir werden euch von dem Felsen, an dem ihr klebt, wieder losmachen, aber wir raten euch, kehrt unverzüglich in die Bucht zurück. Falls ihr darauf besteht, das offne Meer zu erreichen, werden wir ernsthaft böse. Ihr habt erlebt, wie euer Boot angezogen wird. Genausogut könnte es auch in die Tiefe gezogen werden.

Es gab keine Unterschrift auf diesem Zettel, trotzdem zweifelte keiner der Soldaten daran, daß dahinter Korsar Triplex steckte. Kiddy wollte von seinem Vorhaben, ihn aufzuspüren, nicht ablassen, Mic, Piff, Mach und Flok dagegen weigerten sich, weiterzurudern. Gewiß, sie waren tapfere Soldaten, doch keiner von ihnen fühlte sich berufen, gegen diesen Teufel von Korsaren zu kämpfen, der so stark war, daß er sogar ein Ruderboot festhalten konnte.

Übrigens trennte sich das Boot schon beim ersten Versuch von dem Felsen und konnte ohne neuerlichen Zwischenfall in die Bucht zurückkehren. Allerdings wollte der Korporal nicht auf das Flaggschiff zurückkehren. Er hatte sich gegenüber Lord Strawberry zu zuversichtlich gezeigt, als daß er gleich beim ersten Hindernis aufgeben wollte.

Der Weg auf die hohe See war ihm versperrt, nun gut, dann würde er es eben mit seinen vier Getreuen auf dem Land versuchen. Er würde die Insel um- und umkrempeln, die Büsche durchkämmen, die Felsspalten absuchen und früher oder später ganz gewiß den Unterschlupf dieses verdammten Korsaren entdecken, der ihnen bisher seinen Willen diktiert hatte. Denn das hatte es noch nicht gegeben, daß ein hergelaufener Korsar einem Korporal Seiner Huldreichen Majestät Befehle erteilte.

Kurz, die Schaluppe landete bald darauf an der Stelle des Strandes, an der sich Lavarède mit Sir Joe Pritchell eingeschifft hatte, und die kleine Besatzung sprang an Land.

Alles in allem war den Soldaten fester Boden unter den Füßen lieber als die schwankende Planke eines Schiffes, und einmal auf der Insel, fühlten sie sich gleich zehnmal stärker und mutiger als auf den Wellen des Ozeans.

Von ihrem Korporal geführt, setzten sie sich in Marsch. Quer über die mit Steingeröll gesegneten Abhänge und durch die mit Baumdickicht bestandenen Täler drangen sie vorwärts, Augen und Ohren aufgesperrt.

Aber vergeblich klopften sie mit ihren Gewehrkolben die Felsen ab, umsonst schlugen sie mit ihren Buschmessern durch Lianen- und Dornengestrüpp einen Weg, völlig nutzlos riskierten sie, sich auf den schmalen Pfaden und Stegen der Klippen den Hals zu brechen, von einer Unterkunft des Korsaren keine Spur!

Währenddessen stieg die Sonne immer höher. Es war bald Mittag. Die Hitze machte den Männern zu schaffen, denn sie hatten sich seit Tagesanbruch nicht einen Augenblick Ruhe gegönnt. Die Nachforschungen wurden weniger eifrig geführt, mühsam schleppten die Männer ihre Beine nach, und selbst Kiddy wischte sich mit einem großkarierten Taschentuch unablässig die schweißtriefende Stirn. Der Korporal vermutete, daß dem Korsaren wahrscheinlich irgendeine Grotte als Unterschlupf dienen mochte. Und damit kam er der Wahrheit immerhin beträchtlich nahe.

»Wir müssen eine Stelle finden, wo wir auf den Gipfel der Klippe gelangen können. Dort machen wir halt und ruhen uns erst einmal aus.«

Durch die Aussicht auf baldige Ruhepause stimuliert, legten die Soldaten einen Schritt zu. Bald auch erreichten sie eine Einbuchtung, von wo ein direkter Pfad auf den Gipfel der Felsklippe zu führen schien. Sie machten sich an den Aufstieg. Nach einiger Anstrengung hatten sie den Gipfel erreicht. Auf der anderen Seite bot sich ihnen der Anblick eines schattigen Tales, in dem ein Bach munter rauschte. Ein schmaler Trampelpfad führte von der Spitze der Klippe zu ihm. Er wirkte wie eine Einladung an die Männer.

Fünf Minuten brauchten sie noch, dann saßen sie an dem rauschenden Bach. Sie holten etwas zu essen aus ihren Feldbeuteln: kaltes Roastbeef, Trockengemüse und zur Stärkung der Seele Gin, den jeder in seiner Feldflasche mit sich führte.

»Eßt!« forderte sie der Korporal auf und tat sich selbst an seinem Roastbeef gütlich.

»Trinkt!« sagte er, als das Roastbeef verzehrt war. »Auf Ihre Majestät Queen Victoria!« rief er aus und griff hinter sich, wo seine Feldflasche auf dem Rasen lag.

Aber seine Finger tasteten ins Leere.

Verwundert wandte der tapfere Soldat den Kopf, drehte sich vollends um, kniete nieder und suchte die Stelle ab, auf der er – das wußte er genau – seine Feldflasche abgelegt hatte. Doch er sah nichts weiter als Gras und Moos. Seine Feldflasche war verschwunden.

Und wie er seine Untergebenen so anschaute, da bemerkte er, daß deren Gesichter zumindest genauso verblüfft wie sein eigenes waren.

»Was denn …?« fragte er.

»Meine Feldflasche«, begann Mic.

»Verschwunden!« fuhr Piff fort.

»Gestohlen!« vermutete Mach.

»Kein Gin mehr«, seufzte Flok mit erbärmlicher Stimme, deren Trauer sogar das Moos seufzen ließ.

Die fünf Engländer glotzten sich blöde an.

»Sollte das wieder einer von den Scherzen dieses Korsaren sein?« fragte der Korporal schließlich.

Die Soldaten schüttelten den Kopf.

»Das ist schäbig. Das tut ein Gentleman nicht. Man tötet seine Feinde in allen Ehren, aber, zum Teufel! man trinkt ihnen nicht den Schnaps weg!«

»So was Hinterhältiges!« schimpfte auch Kiddy los. »Es bleibt uns nichts weiter übrig, als Wasser aus dem Bach zu unserer Mahlzeit zu trinken.«

Gesagt, getan.

Sie knieten sich am Ufer des Baches nieder und tranken in kräftigen Zügen von dem klaren Wasser. Dann kehrten sie zu ihrem Platz zurück. Dort erwartete sie eine weitere Überraschung.

Die Feldflaschen waren wieder da. Einschließlich Gin.

Sie rieben sich die Augen, schauten einmal, zweimal, kosteten. Nichts dagegen zu sagen …, der Gin war Gin.

Ein ausgiebiges Glucksen in ihren Kehlen bewies, daß sie diesmal auf Nummer Sicher gingen und den Schnaps lieber in ihre eigenen Kehlen rinnen ließen, als daß ihn ein anderer bekäme. Falls jemand Appetit auf leere Feldflaschen haben sollte – na bitte. Und da Gin in diesen Mengen bekanntlich müde macht, war es nur zu natürlich, wenn sie jetzt ein kleines Nickerchen hielten. Das sah auch ihr Vorgesetzter, der eifrige Kiddy, ein.