Bei dem nun einsetzenden Lärm und Geraune achtete niemand mehr auf den Polizeichef. Der hatte die Hände nämlich an die Brust gepreßt und glotzte stumpfsinnig die grüne Maske des Matrosen an, dabei murmelte er nur vor sich hin: »Joe Pritchell …, das Tribunal …, die grünen Masken. Alles ist gegen mich …«
Der Admiral war inzwischen aufgestanden und wandte sich an den grün maskierten Matrosen: »Sie sind demnach der Führer, der uns angekündigt wurde.«
»Ja, Euer Ehren. Mein Kapitän entschuldigt sich, nicht selbst gekommen zu sein, aber was er sie sehen lassen will, kann hier nicht gezeigt werden.«
»Gut, die Männer im Park begleiten mich, sie sind meine Wache.«
»Wie Euer Ehren beliebt.«
»In diesem Fall, mein Freund, führen Sie uns!«
Der Matrose grüßte militärisch und ging auf der Treppe, die durch den Keller des Hauses ins Innere der Insel führte, voran. Das bewaffnete Peloton bildete den Schluß.
Lavarède ging neben dem Admiral und Sir Toby. Man hatte den Eingang zu den unterirdischen Gewölben wieder geöffnet. Langsam stiegen die Männer die Stufen der in den Fels gehauenen Treppe hinab. Kurze Zeit darauf befanden sie sich am Ufer des unterirdischen Sees. Wie groß auch immer der Gleichmut der englischen Marineoffiziere sein mochte, diesmal konnten sie einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken.
Alle Lampen waren angezündet, und auf dem See lagen die drei Unterseeboote exakt ausgerichtet nebeneinander. Packs Matrosen, alle grün maskiert, standen am Ufer.
»Bewundernswert«, murmelte Lord Strawberry, der angesichts dieses Bildes für einen Augenblick vergessen hatte, daß er ja mit der Mission eines unparteiischen Richters beauftragt war.
»Nicht wahr?« erwiderte Joe Pritchell.
Das war alles. Der Weg führte sie weiter. Die Gruppe schwenkte in einen der vom See ausgehenden Gänge ein. Nach einigen Biegungen erreichten sie eine weiträumige Grotte, deren Ausmaße noch einmal die Bewunderung der Engländer herausforderte.
Man hätte diese Grotte gut und gern für einen Theatersaal halten können. Im Hintergrund war ein weiter samtener Vorhang gespannt, vor dem Bänke aufgestellt waren. Zwischen Vorhang und Bänken stand ein Tisch, der mit einem grünen Tuch bedeckt war, auf dem mehrere Stapel Papier aufgeschichtet waren. Federkiele und Tintenfässer deuteten darauf hin, daß jene, die sich an dem Tisch niederlassen würden, zu schreiben hatten.
Joe deutete auf den Tisch und sagte: »Die für die Mitglieder des Tribunals reservierten Plätze.«
Dann zeigte er auf einen Stuhl zur Rechten.
»Der Platz für Sir Toby Allsmine.«
Er selbst ging zu einem Stuhl, der links von dem Richtertisch stand, setzte sich darauf und sagte: »Und hier sitzt derjenige, der im Namen von Korsar Triplex die Verhandlung führen wird.«
Armand war am Eingang zum Saal stehengeblieben. Unter den Grünmaskierten hatte er Aurett und auch Maudlin, Joan und Robert erkannt. Aber sosehr er Ausschau hielt, Lotia entdeckte er nicht.
Er war erstaunt, Lotia nicht zu sehen, drängte sich deshalb zu seinem Cousin durch und fragte diesen: »Robert, wo ist Lotia?«
Der Angesprochene antwortete dumpf: »Sie konnte uns nicht begleiten.«
»Warum denn nicht?«
Robert schwieg. Erst nach einiger Zeit kam die Antwort genauso dumpf wie beim erstenmaclass="underline" »Sie stirbt.«
Die leise gesprochenen Worte dröhnten im Ohr des Journalisten. Eine Minute stand er wie angewachsen, ohne einen Gedanken fassen zu können, und es bedurfte seiner ganzen Willensanstrengung, um wieder Herr seiner selbst zu werden.
In der Stunde, in der seine Neugier endlich befriedigt werden sollte, drohte seinem Cousin, seiner Geliebten, diesen jungen, guten, liebenden, jeder Gefahr furchtlos ins Auge blickenden Wesen ein Unglück, das nicht wiedergutzumachen war.
Endlich gelang es ihm, die Worte auszusprechen: »Du übertreibst, Cousin.«
Lotias Geliebter schüttelte den Kopf.
»Nein. Seit acht Tagen steht sie nicht mehr auf. Die Hoffnungslosigkeit hat sie übermannt. Sie ist bleich und abgemagert, sagt kein Wort mehr und scheint nicht einmal mehr an irgend etwas zu denken. Man könnte meinen, sie wartet so ungeduldig auf den Tod wie ein Gefangener auf die Möglichkeit der Flucht. Wenn ich daran denke, daß sie vielleicht morgen ihre Augen für immer schließt, fühle ich, daß ich allmählich wahnsinnig werde. Ich verfluche diejenigen, die versucht haben, mein Schicksal zu wenden. Ich verfluche dich, weil ich denke, daß du gegen die Vorsehung gehandelt hast, die uns auf ewig trennen wollte.«
Armand fühlte, wie sich ihm das Herz zusammenpreßte bei dieser wahnwitzigen Anschuldigung.
Während Armand mit Robert sprach, hatten die übrigen Platz genommen. Joe Pritchell war aufgestanden und hatte das Wort ergriffen.
»Mylord Admiral, meine Herren Offiziere«, sagte er. »Gestatten Sie, daß ich daran erinnere, daß Korsar Triplex, mein Mandant, ein getreuer Untertan Ihrer Majestät der Königin ist. Durch Sir Toby Allsmines Stellung gezwungen, zu nicht alltäglichen Mitteln zu greifen, hat er sich dennoch gegenüber englischen Mitbürgern nichts zuschulden kommen lassen. In diesem Augenblick, wo die Wahrheit im Begriff ist, sich Bahn zu brechen, wo Sie selbst, verehrte Herren, den Schuldigen bestimmen werden, ist es mir eine angenehme Pflicht, derjenigen meine Dankbarkeit zu bezeigen, die Gerechtigkeit wollte. Dank sei der Königin.«
Die Anwesenden erhoben sich. Es gab ein andächtiges Schweigen, bis Joe fortfuhr.
»Noch ein Wort, bevor die Debatte beginnt. Eines Nachts entführte Kapitän Triplex den Polizeichef der Pazifikpolizei. Er hätte ihn töten können, doch er zog es vor, legal zu handeln. Dennoch wollte er diese Anklageverhandlung nicht vergessen, die Erinnerung an die Haltung des Angeklagten bewahren; ein Phonograph hat Rede und Gegenrede aufgezeichnet. Ein fotografisches Gerät hat von der Begegnung kinematographische Klischees in großer Zahl angefertigt, die zu einem Film montiert wurden. Diese Dinge möchte ich Ihnen als erstes zeigen.«
Er wies mit der Hand zu dem Vorhang.
»Die Anklageverhandlung von Korsar Triplex gegen Sir Toby Allsmine, meine Herren.«
Im Saal gingen die Lichter aus.
Da erklang plötzlich eine Stimme in der Dunkelheit, die sagte: »Ein Scherz! Eine kinematographische Aufzeichnung ist doch nichts Seriöses.«
Das war Allsmine, der da mit vor Angst zusammengepreßter Kehle protestierte. Was denn? Man wollte die Verhandlung vor dem Tribunal der grünen Masken zeigen? Er erinnerte sich, was er in dieser Nacht des Sydneyer Dockerfestes für Ängste ausgestanden hatte. Gewiß, er hatte seine Zunge im Zaume gehabt, er hatte nichts gestanden. Der Phonograph konnte ihm wenig anhaben. Aber was würde die Fotografie ergeben? Wie war sein Gesichtsausdruck angesichts der Anklage gewesen? Würde man anhand seiner Physiognomie seine Schuld erkennen können?
Ein Surren war zu vernehmen. Der Vorhang hob sich, undeutliche Formen waren zu erkennen, wurden klarer, nahmen Gestalt an. Auf der Leinwand, die hinter dem Vorhang gespannt war, begann das Tribunal der grünen Masken.
Auf dem ersten Bild sah man einen Saal mit nacktem Mauerwerk. Hinter einem mit einem grünen Tuch bedeckten Tisch saßen unbeweglich wie Statuen drei merkwürdige Gestalten. Lange Gewänder verhüllten sie. Ihre Köpfe verschwanden unter Kapuzen, die statt der Augen und des Mundes jeweils drei Löcher hatten.
»Film ab!« ordnete Joe an.
Der Kinematograph surrte.
Die Gestalten belebten sich. Eine Tür wurde geöffnet. Mehrere Matrosen betraten den Saal und führten einen Mann mit sich, dessen Kopf mit einem Tuch verhüllt war. Dieser Mann wurde auf einen Stuhl gesetzt und von dem Tuch befreit.